Erneuerbare sollen Staaten unabhängiger von Öl- und Gaslieferungen aus dem Ausland machen. Aber machen sie die Welt deshalb auch friedlicher?

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Es waren klare Worte, die UN-Generalsekretär Antonio Guterres vor kurzem zur Energiewende fand. Hätten wir schon früher stärker in erneuerbare Energien investiert, wären wir heute nicht dem instabilen Markt der fossilen Energien ausgeliefert. "Erneuerbare sind der Friedensplan des 21. Jahrhunderts", sagte Guterres und bezog sich damit auch auf die aktuelle Energiekrise aufgrund des Ukraine-Kriegs. Denn Erneuerbare würden günstigere und verlässlichere Energie erzeugen, was der Ernährungssicherheit und der wirtschaftlichen Stabilität helfe.

Ähnlich formulierte es kürzlich die US-amerikanische Energieministerin Jennifer Granholm: Eine Wende hin zu Erneuerbaren könne die beste Möglichkeit für die Welt sein, die Gefahr von Konflikten zu minimieren. Noch nie sei ein Land besetzt worden, um Zugang zu Sonne oder Wind zu erhalten. Noch nie habe ein Land deshalb militärisch aufgerüstet und werde es auch nie tun, sagte Granholm während einer Konferenz in Sydney.

Eine weltweite Energiewende hin zu Erneuerbaren könne der größte Friedensplan seit jeher sein. Und freilich spielen dabei auch die USA eine große Rolle: Das Land habe als Exporteur von grüner Energie die Aufgabe, diesen Friedensplan in die Welt hinauszutragen, so Granholm. Aber wie viel ist dran an der friedensstiftenden Wirkung von erneuerbaren Energien?

Konfliktpotenzial von Öl

Den Vergleich, den die Vertreter der These häufig ziehen, ist jener zu Öl – jenem Rohstoff, der unsere Wirtschaft bis heute antreibt und den Sonne- und Windenergie eines Tages ablösen sollen. Öl hat nicht unbedingt das Image eines Friedensstifters. Der Rohstoff war laut einigen Wissenschaftern direkt oder indirekt an einer Reihe von Konflikten in den vergangenen Jahrzehnten beteiligt: Etwa am Zweiten Golfkrieg in Irak und Kuwait von 1990 bis 1991, am Irakkrieg von 2003 bis 2011, am Konflikt im Nigerdelta, der bis heute andauert, oder am Konflikt zwischen Südsudan und Sudan im Jahr 2012.

Die Gründe, die Forschende für das Konfliktpotenzial von Öl nennen, sind etwa, dass der Rohstoff Staaten autoritärer und aggressiver machen könne, dass er terroristische Aktivitäten verstärke und Kämpfe um Schiffsrouten und Ölleitungen begünstige. Doch einige, wie die Wissenschafterin Emily Meierding, argumentieren, dass wirkliche Ölkriege in Wahrheit äußerst selten sind. Tatsächlich würden Länder hauptsächlich wegen anderer Gründe, etwa Machtansprüche, Nationalstolz oder dem strategischen Nutzen von Territorien, in den Krieg ziehen.

Gleichmäßige Verteilung

Ungeachtet dessen werden Erneuerbare die Welt noch friedlicher machen, glauben einige. Einer der Gründe, der von Befürwortern genannt wird: Erneuerbare Energiequellen wie Sonne oder Wind seien relativ gleichmäßig über die gesamte Welt verteilt – abgesehen von leichten Unterschieden zwischen wärmeren Wüsten- oder etwa windreichen Meerregionen. Staaten hätte daher wenig Anreiz, sich Territorien im Ausland zu sichern, das Konfliktpotenzial sei dadurch niedriger.

Zudem könnten erneuerbare Energien auch ärmere und abgelegenere Regionen mit Energie versorgen, dort den Lebensstandard verbessern und damit indirekt auch zu einer Verringerung von gewaltsamen Konflikten beitragen, glauben einige Forschende. Auch indem Staaten durch erneuerbare Energien energieunabhängig von anderen, meist autoritären Regierungen, würden, könne das Konfliktpotenzial verringert werden. Nicht zuletzt sollen Erneuerbare den Klimawandel verlangsamen, was etwa den Migrationsdruck verringere und dadurch wiederum Spannungen reduziere.

Eigene Gefahren

Aber stimmen die Argumente auch? "Dass Erneuerbare die Welt friedlicher machen werden, ist ein verlockendes Narrativ, das aber ziemlich naiv ist", sagt Andreas Goldthau vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam im STANDARD-Gespräch. Der Ausbau von Erneuerbaren sei zwar ein wichtiges Anliegen, berge aber vielfältige Konfliktpotenziale, von denen sich einige bereits jetzt abzeichnen.

Eines davon: Bei der Energiewende werde es unweigerlich Gewinner und Verlierer geben. Zu den Verlierern gehören etwa die sogenannten Petrostaaten, wie etwa Algerien, Saudi-Arabien oder Nigeria, die einen Großteil ihres Einkommens mit Öl erwirtschaften und denen künftig ebenjene Einnahmen fehlen werden.

Sozialvertrag bröckelt

Mit den Öleinnahmen seien diese Staaten bisher einen Sozialvertrag mit der Bevölkerung eingegangen, sagt Goldthau. Dieser laute: Ihr lasst uns regieren und wir geben euch niedrige Energiepreise, eine Grundversorgung und Jobs. Mit den Öleinnahmen finanzierten die Staaten meist eine aufgeblasene Verwaltung, um Jobs zu schaffen, ein überdimensioniertes Militär und einen großen Sicherheitsapparat, um Unruhen in Schach zu halten.

Gehen die Ölpreise aufgrund der Energiewende nach unten, werde auch dieser Sozialvertrag bröckeln, sagt Goldthau. Welche Auswirkungen das hat, habe man zuletzt beim Arabischen Frühling und den Protesten in Venezuela sehen können.

Wachsende Ungleichheit

Eine weitere Gefahr bei der Energiewende sei, dass nicht alle Staaten diese gleich schnell vollziehen. Reichere Staaten werden schneller umsteigen, ärmere wahrscheinlich langsamer. "Das führt dazu, dass ärmere Staaten an Wettbewerbsfähigkeit verlieren", sagt Goldthau. Durch Maßnahmen wie eine CO2-Abgabe auf klimaschädliche Importe, wie sie etwa die EU-Kommission plant, könnten Drittländer diskriminiert werden und noch weiter in der internationalen Wertschöpfungskette zurückfallen. Die Folge wäre wiederum ein höheres Konfliktpotenzial in diesen Ländern.

Nicht zuletzt sind für den Ausbau von Erneuerbaren seltene Erden notwendig, deren Abbau problematisch sein kann, warnen Forschende. Denn ein großer Prozentsatz der seltenen Erden wie etwa Kobalt oder Silizium, die für die Energiewende gebraucht werden, befinden sich in Ländern, die von hoher Korruption und Instabilität geprägt sind, heißt es in einem Bericht. 63 Prozent des Kobalt-Vorkommens, das unter anderem für die Batterieproduktion gebraucht wird, liegt in der Demokratischen Republik Kongo.

Weiterhin abhängig

Auch das Argument, wonach Staaten durch den Ausbau von erneuerbaren Energien unabhängiger werden, ist nicht unbedingt stichhaltig. Denn je nachdem, wann die Sonne scheint und der Wind bläst, schwankt auch die Stromproduktion. Sofern die Speichermöglichkeiten künftig nicht besser werden, muss daher zu bestimmten Zeiten nach wie vor Energie aus anderen Staaten importiert werden. (Ohnehin stellt sich die Frage, ob es überhaupt erstrebenswert ist, energieunabhängig zu werden. Denn eine bessere wirtschaftliche Vernetzung von Ländern könne auch friedensstiftend sein, sagen Forschende.)

Auch deshalb wollten Projekte wie etwa Desertec günstigen Strom in der Wüste in Nordafrika produzieren und diesen dann nach Europa liefern. Frei von Konflikten war auch dieses Vorhaben nicht: Entwicklungsländer und lokale Bewohner fürchteten, nicht von den neuen Solarparks zu profitieren. Letzten Endes scheiterte das Projekt an diesen Unstimmigkeiten.

Auch andere erneuerbare Energien, wie beispielsweise größere Dämme und Wasserkraftwerke, provozierten in der Vergangenheit bereits einige Konflikte. Ein Beispiel ist der Grand Ethiopian Renaissance Dam, der zu Spannungen zwischen Ägypten und Äthiopien geführt hat. Bei nicht wenigen Dammprojekten in Schwellen- und Entwicklungsländern ist es zu Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen gekommen, kritisieren Organisationen.

Mit Risiken umgehen

"Der Ausbau von erneuerbaren Energien ist alles andere als konfliktfrei", fasst es Goldthau zusammen. Wie aber können Staaten künftig mit den Gefahren durch die Energiewende umgehen?

Staaten wie Saudi-Arabien, die niedrige Öl-Förderkosten und hohe Cash-Reserven haben, können auch in Zukunft vom Ölgeschäft profitieren, wenn sie sich in der Wertschöpfungskette nach oben arbeiten und etwa mehr in die Petrochemie einsteigen, sagt Goldthau. In Ländern wie Venezuela, Nigeria oder Algerien werden hingegen irgendwann die Lichter ausgehen.

Entwicklungsländer einbinden

Es sei auch die Aufgabe der EU, Entwicklungsländer wie etwa Algerien in die Wertschöpfungskette durch die Energiewende einzubinden, was momentan jedoch kaum passiere. Das bedeute, diesen Ländern Zugang zu Finanzmitteln, grünen Technologien und Know-How zu geben und ihnen beim Aufbau von grünen, wettbewerbsfähigen Sektoren zu helfen. "Der Green Deal sollte nicht nur nach Innen, sondern auch nach Außen gedacht werden", sagt Goldthau.

Letzten Endes würde das wiederum dazu führen, dass auch in diesen Ländern neue, gute Jobs entstehen, was das Konfliktpotenzial minimiere. Profitieren möglichst viele von der Energiewende, könnte diese am Ende vielleicht doch noch ein wenig zum Frieden auf der Welt beitragen. Nur neue Solar- und Windanlagen zu bauen, ist dafür allerdings zu wenig. (Jakob Pallinger, 22.7.2022)