OMV hat durch Ersteigerung von Transportkapazitäten die Voraussetzung geschaffen, dass Gas aus anderen Richtungen als aus Russland nach Österreich gelangen kann. Neben norwegischem Gas müssen zusätzliche Mengen aber erst noch akquiriert werden, um Österreich bei einem Ausfall russischer Lieferungen gut durch den Winter zu bringen.

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Die Abhängigkeit von Gas aus Russland reduzieren und sich darauf einstellen, dass keines mehr aus Russland kommt, weil Putin den Gashahn zudreht: Das ist die Leitidee, die Entscheidungsträger in ganz Europa umtreibt. Während Länder wie Deutschland es geschafft haben, alternative Gasquellen anzuzapfen und den Anteil von russischem Gas am Gesamtverbrauch zu verringern, ist die Abhängigkeit Österreichs von Gas aus Sibirien zuletzt sogar gestiegen. Jetzt hat sich der größte Gasimporteur Österreichs, die teilstaatliche OMV, Leitungskapazitäten in Nord-Süd-Richtung gesichert. Damit will man dem Umstand Rechnung tragen, dass Lieferungen in Ost-West-Richtung von den Gasfeldern diesseits des Ural nach Zentral- und Westeuropa zunehmend unsicher werden.

Frage: Die OMV spricht von 40 Terawattstunden (TWh) Gas, das sind 40 Milliarden Kilowattstunden (kWh), für die Transportkapazitäten erworben wurden. Was heißt das?

Antwort: Das Gasnetz in Europa ist vergleichbar mit dem Schienennetz. Wenn ein Zug darauf fahren will, muss sich das Unternehmen, ob ÖBB, Voest oder wer auch immer, eine Trasse sichern, damit der Zug an einem bestimmten Tag um eine bestimmte Uhrzeit unterwegs sein kann. Züge sind schienengebunden, Gas ist leitungsgebunden. Folglich müssen Leitungskapazitäten gebucht werden, um Gas von A nach B leiten zu können.

Frage: Gibt es das Gas, das die OMV durchleiten will, oder muss es erst gefunden werden?

Antwort: Teils, teils. Die OMV produziert selbst seit rund 15 Jahren Gas vor der Küste Norwegens, in der Nordsee. Es sind etwa 28 TWh pro Jahr. Dieses Gas könnte also ab 1. Oktober nach Österreich geliefert werden. Ab 1. Oktober deshalb, weil ab diesem Zeitpunkt die Transportkapazität für exakt ein Jahr ersteigert worden ist. Wie hoch die Kosten waren, darüber schweigt sich die OMV aus. Weitere Gasmengen müssen erst akquiriert werden.

Frage: Wieso hat die OMV 40 TWh Leitungskapazität ersteigert, nicht mehr und nicht weniger?

Antwort: Weil die OMV Lieferverträge für Kunden in Österreich in dieser Höhe hat. 40 TWh entsprechen etwa 45 Prozent des österreichischen Jahresverbrauchs an Gas, der Marktanteil der OMV in Österreich beträgt 45 Prozent.

Frage: Und wer liefert die anderen 55 Prozent?

Antwort: Das sind kleinere österreichische Gashändler oder große internationale Player wie Uniper aus Deutschland.

Frage: Die OMV hat Langfristverträge mit Russland, die bis 2040 laufen und bisher das Rückgrat der Gasversorgung in Österreich dargestellt haben. Was ist mit diesen?

Antwort: Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich die Situation dramatisch verändert. Russland hat in den vergangenen Wochen über diverse Routen um 70 Prozent weniger Gas nach Österreich geliefert als vertraglich vereinbart. Schwankungen gibt es immer wieder, reduzierte Lieferungen über einen so langen Zeitraum eher nicht.

Frage: Warum die Einschränkung jetzt?

Antwort: Zum einen kommt weniger Gas über die Ukraine nach Österreich, zum anderen war zuletzt auch die Route über die Ostsee eingeschränkt – angeblich wegen einer kaputten Kompressorstation. Nun ist die Gaspipeline Nord Stream 1 seit Anfang der Woche wegen Wartungsarbeiten ganz zu. Ob Ende nächster Woche nach Abschluss der Arbeiten wieder Gas fließt und in welchem Umfang, ist völlig offen.

Frage: So gesehen sind die Leitungskapazitäten, die sich die OMV jetzt in Nord-Süd-Richtung gesichert hat, ein wichtiges Backup?

Antwort: Sie sind die Voraussetzung dafür, dass alternative Gasmengen überhaupt nach Österreich gelangen können, sollte Russland aus welchem Grund immer nicht mehr liefern.

Frage: Die OMV hat eigenes Gas in Norwegen, das bisher hauptsächlich an Kunden in Deutschland verkauft wurde. Wird dieses Gas künftig zur Gänze nach Österreich geliefert?

Antwort: Die OMV ist vertraglich nicht gezwungen, das zu tun, wird es aber wohl machen, um zumindest ihre eigenen Kunden in Österreich zu beliefern, sollte an der Übergabestation Baumgarten tatsächlich kein Gas mehr aus Russland ankommen. Ein Teil dieses Gases wird aber wohl auch weiterhin zur Bedienung von Kunden in Deutschland verwendet werden müssen, will die OMV nicht vertragsbrüchig werden. In Deutschland hat die OMV große Industriekunden unter Vertrag und einen Marktanteil von etwa sechs Prozent.

Frage: Die OMV hat eine Beteiligung am LNG-Terminal Gate in Rotterdam und auch auf der Gasleitung von und nach Italien Leitungskapazitäten ersteigert. Welche Bedeutung hat das?

Antwort: In Rotterdam bezieht die OMV derzeit umgerechnet 14 TWh verflüssigtes Erdgas (LNG) aus Katar. Basis dafür ist ein Vertrag aus dem Jahr 2017, der noch vom früheren CEO Rainer Seele unterschrieben wurde. Dieses Gas könnte künftig zumindest theoretisch auch nach Österreich gelangen. Theoretisch kann ab Herbst auch von LNG-Terminals in Italien Gas über die TAG (Trans Austria Gasleitung) nach Österreich gebracht werden. Liefervertrag gibt es aber noch keinen einzigen.

Frage: Putins Truppen sind am 24. Februar in der Ukraine einmarschiert, die Verwundbarkeit Europas und speziell Österreichs bei Gas ist seit fast fünf Monaten offensichtlich. Warum hat sich die OMV erst jetzt Leitungskapazitäten gesichert?

Antwort: Die Jahresauktion findet immer Anfang Juli statt. Davor hätte man für kürzere Zeiträume Transportkapazitäten buchen können – einen Tag, eine Woche, einen Monat. Warum das nicht geschehen ist, darüber kann nur spekuliert werden. Man wollte wohl Russland nicht verärgern. Dorthin gab es von Wien aus seit Jahrzehnten beste Verbindungen. Schließlich war Österreich das erste Land in Westeuropa, mit dem Moskau 1968 einen Gasliefervertrag abgeschlossen hat. Insgesamt hat man wohl gehofft, dass Russland wie in all den Jahren bisher zuverlässig Gas liefern wird, allen Widrigkeiten zum Trotz. Durch die Liefereinschränkungen, die jetzt auch Österreich treffen, ist offenbar gesickert, dass man sich aktiv um alternative Bezugsquellen kümmern muss. Und es gibt seit kurzem auch das Versprechen finanzieller Hilfen.

Frage: Wie sehen die Hilfen aus?

Antwort: Auf Basis des Gasdiversifizierungsgesetzes, das vor kurzem beschlossen wurde, werden heuer und in den Folgejahren bis längstens 2025 jeweils 100 Millionen Euro aus Budgetmitteln zur Verfügung gestellt, mit denen die Mehrkosten des Transports von nichtrussischem Gas zu den Übergabepunkten in Oberkappl (Oberösterreich) und Arnoldstein (Kärnten) abgedeckt werden. Das betrifft freilich nur die Mengen, die tatsächlich nach Österreich gelangen.

Frage: Wie teuer wird das Gas sein, das über diese neuen Routen nach Österreich kommt?

Antwort: Es wird zum Marktpreis verrechnet und wird damit sicher nicht billiger sein als bisher, im Gegenteil. In Norwegen gefördertes Gas war und ist um einiges teurer als Gas aus Russland. Das liegt an den deutlich höheren Produktionskosten. Auch LNG ist teurer. Sollten die Lieferungen aus Russland stoppen, ist von einem weiteren Preisschub auszugehen.

(Frage und Antwort: Günther Strobl, 14.7.2022)