Das Anreizmodell soll Österreichs Wettbewerbsfähigkeit am internationalen Film-, TV- und Streamingmarkt stärken. Dass eine Netflix-Serie wie "The Empress" über Kaiserin Elisabeth ausschließlich in Deutschland gedreht wird, sollte dadurch im Idealfall ebenso der Vergangenheit angehören wie Drehs von "Freud" und "Vienna Blood" in Ungarn und Tschechien.

Foto: Netflix

Noch im Mai sehen Österreichs Filmemacherinnen und Produzenten schwarz: Während anderswo der Film- und Serienboom zu einem Höchststand an Produktionen führe, drohe Österreich den Anschluss zu verlieren, warnen sie. Steuerliche Begünstigungen, wie sie in vielen Ländern gang und gäbe sind, fehlen, dazu kommt, dass der wichtige Fisa-Fördertopf bereits im April leer war.

Es folgt ein Aufschrei, der die Regierung wachrütteln soll: Die Berufsgruppe stehe "vor dem Nichts", "der österreichische Film stirbt", heißt es. Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer bittet um Geduld. Doch damit ist die Branche schon fast am Ende.

Anfang Juli dann das große Aufatmen: Die Regierung stellt das lang erwartete Anreizsystem vor, das Österreich bei Film, TV und Streaming im europäischen Standortwettbewerb stärkt.

Das Modell

Am 1. Jänner 2023 tritt das neue Fördersystem in Kraft, bei dem bis zu 35 Prozent der in Österreich investierten Mittel refundiert werden – für internationale Filme, TV- und Streamingprojekte ebenso wie für heimische Vorhaben. Verbunden damit ist ein nicht rückzahlbarer Zuschuss von 30 Prozent für in Österreich realisierte Projekte. Werden zudem ökologische Kriterien erfüllt, steigt die Förderung um weitere fünf Prozent. Einen Bonus von 25.000 Euro gibt es zudem für Projekte mit hohem Frauenanteil. Das System ist im Gegensatz zu den bisherigen Konstruktionen nicht gedeckelt, um das Ausschöpfen von Fördertöpfen im Laufe eines Jahres zu verhindern.

Was kommt, was es bringt

Laut Arbeitsminister Martin Kocher soll das Anreizmodell bis zu 80 Millionen Euro jährlich zusätzlich an Bundesmitteln ausschütten. Im Moment macht die Branche 2,5 Milliarden Euro Jahresumsatz. Filmproduzent Alexander Dumreicher-Ivanceanu, Obmann des WKÖ-Fachverbands der Film- und Musikwirtschaft der Grünen Wirtschaft, rechnet mit einem zusätzlichen Umsatz von rund 250 Millionen Euro. Von einer Steigerung geht Dumreicher-Ivanceanu auch bei der Wertschöpfung aus. Diese betrug 2019 eine Milliarde Euro. Zehn Prozent mehr erwartet Dumreicher-Ivanceanu in den ersten beiden Jahren, langfristig mehr.

Ein Plus an Produktionen heißt auch mehr Arbeitsplätze. Derzeit sind in der Filmbranche rund 15.000 Vollzeitäquivalente beschäftigt, 6.000 Unternehmerinnen sind bei der Wirtschaftskammer im Film- und Musikbereich gemeldet. "Wenn das einmal ins Laufen kommt, gehen wir davon aus, dass 1.500 neue Arbeitsplätze entstehen."

Ist das der Gamechanger?

Wie einem Rundruf unter Produzentinnen und Filmemachern zu entnehmen ist, ja. "Das ist sicher die starke Maßnahme, auf die wir so gedrängt haben, um zum europäischen Filmmarkt aufzuschließen", sagt Oliver Auspitz von MR Film. "Nun gibt es gleiche Möglichkeiten, um wirtschaftlich die kulturellen Vorteile unseres Landes auszuspielen. Produktionen werden damit nach Österreich zurücksiedeln und hier wirtschaftlich positive Effekte ins Land bringen."

John Lüftner von Superfilm stimmt zu: "Treffsicher, clever und nachhaltig ist das. Bringt uns wieder auf Augenhöhe!" Filmemacherin und Produzentin Sabine Derflinger begrüßt das Modell, es sei "längst überfällig".

"Das ist ein großer Wurf", sagt Dumreicher-Ivanceanu. Erstmals gebe es in Österreich somit keine Deckelung bei der Förderung. Zweitens sei an die Förderung ein grüner Bonus geknüpft, was nachhaltiges Produzieren attraktiver mache. Drittens gebe es die Förderung für alle Formen – nicht nur für Fiction, sondern auch für Dokumentarfilm, Animation, Virtual Reality – und viertens ebenso für alle Bereiche der Postproduktion.

"Ein positives Signal", sieht Jan Mojto. Der slowakische Rechtehändler ist als Boss der Beta-Film-Gruppe mit Unitel und der Holding Gamma größter Produzent in Österreich und denkt gleich weiter: "Die Frage ist, was man daraus macht."

Eine Frage der Haltung

Die Finanzierung eröffne die Möglichkeit, sich international zu positionieren. Damit das gelänge, brauche es aber auch die nötige Grundhaltung, sagt Mojto zum STANDARD. "Die Voraussetzungen für Gamechanging sind vorhanden, aber das Game muss auch gespielt werden."

Es gehe nun darum, sich auf dem internationalen Parkett zu bewegen und auf Partner zuzugehen. Die Bereitschaft dazu sei in Österreich grundsätzlich "mehr vorhanden als in Deutschand", sagt Mojto. "Weil Österreich fast immer eine zusätzliche Finanzierung gebraucht hat. Das ist ähnlich zu den Ländern in Skandinavien, die durch ihre Dimension schon immer gezwungen waren zu kooperieren." Mojto nennt Italien als weiteres Beispiel, wo der Einstieg ins internationale Serien- und Streamingbusiness geglückt ist. "Italien ist ein offenes Land, die Produzenten haben die Möglichkeiten der Grundfinanzierung und des Steuermodells genützt und internationale Serien geschaffen wie 'The Young Pope' oder 'Gomorrha'."

Rennen uns jetzt Streamer wie Netflix oder Disney die Türe ein?

Dumreicher-Ivanceanu ist optimistisch: "Das Interesse ist schon jetzt groß. Die ersten Streamer haben sich bereits gemeldet und bitten um Zusendung von Informationsunterlagen." Dass eine Netflix-Serie wie "The Empress" über Kaiserin Elisabeth ausschließlich in Deutschland gedreht wird, sollte dadurch im Idealfall ebenso der Vergangenheit angehören wie Drehs von "Freud" und "Vienna Blood" in Ungarn und Tschechien.

Aber ist die Branche überhaupt bereit für nachhaltiges Produzieren?

Es wird zumindest daran gearbeitet. Derzeit hapert es gewaltig an Einrichtungen, die es für Green Producing braucht. Es mangelt an Elektrofahrzeugen, Generatoren fehlen, weitere Herausforderungen sind beim Transport und beim Catering zu erwarten: "Am Anfang wird es gewisse Engpässe geben, räumt Dumreicher-Ivanceanu ein. "Es braucht sicher eine Offensive mit Expertinnen und Beratern für Green Filming."

Helfen soll zudem ein neues Filmstudio. In den Hallen des Hafens Wien entsteht auf rund 60.000 Quadratmetern ein energieautarkes Haus für den Film. Die Bauarbeiten stehen offenbar kurz vor der Ausschreibung. Das Studio könnte schon 2023 in Betrieb gehen. "Wir brauchen das Studio, die grünen Dienstleistungen, ein Plus an Ausbildungen. Das Anreizmodell ist ein Katalysator", sagt Dumreicher-Ivanceanu.

Wäre da noch der Facharbeitermangel. Was ist damit?

"Wir haben im Moment einen Braindrain", sagt Dumreicher-Ivanceanu. "Es gibt viele Filmschaffende, die toll ausgebildet worden sind und aktuell in Deutschland, der Schweiz oder anderen Ländern arbeiten, wo die Bedingungen besser sind und wo sie vor allem Arbeit haben. Das ist problematisch, weil wir gute Leute verloren haben."

Auch das sollte sich mit dem Anreizsystem ändern: "Ich nehme an, dass da eine gute Zahl von kreativen Menschen zurückkommen wird. Wir kommen außerdem sicher in eine höhere Rotation von Projekten", sagt Dumreicher-Ivanceanu.

Das Modell werde "die Volumina und damit auch die Fachkräfte nach Österreich zurückholen", ist auch Oliver Auspitz überzeugt. "Die Menschen sind nach Deutschland abgewandert, weil es dort einfach mehr zu tun und damit Planungssicherheit gibt. Mit dem Anreizmodel wird die Gegenbewegung gefördert. Alle Gewerke können nun wieder sicher sein, dass sie zu hundert Prozent und mehr in ihrer Heimat in Österreich ausgelastet werden und damit gutes Geld zu Hause verdienen werden."

Und die Energiekosten?

Die hohen Energiekosten schlagen sich auf die Herstellungskosten nieder. Eine Filmproduktion verteuert sich gegenwärtig mit Strompreiserhöhungen und allgemeiner Teuerung, und das dämpft den Optimismus. Auspitz: "Ich denke, jetzt sitzen wir sozialpolitisch alle einmal wie das Kaninchen vor der Schlange, was Energiekrise, Inflation, Corona und Russland betrifft. Sobald wir im späten Herbst wissen werden, wie schlimm es wird, werden auch konkrete Produktionsentscheidungen getroffen werden. The Show must go on, aber um ehrlich zu sein, es wird alles etwas überlagert von der geopolitischen Lage, leider." (Doris Priesching, 22.7.2022)