Atomkraft spielt vor allem in Frankreich eine bedeutende Rolle.

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Das EU-Parlament hat den delegierten Rechtsakt der Kommission zur Taxonomieverordnung angenommen – wenngleich die Mehrheit der Abgeordneten dagegen stimmten oder sich der Stimme enthielten. Für die Ablehnung wäre eine absolute Mehrheit von 353 Abgeordneten nötig gewesen (hätten sich nicht 33 Abgeordnete ihrer Stimme enthalten, dann wäre sich das mit 361 Stimmen wohl auch ausgegangen). So aber tritt die Verordnung der Kommission, die Gas und Atomkraft als "grün" einstuft, am 1. Januar 2023 in Kraft. Warum Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) dagegen klagen will, ist erst über Umwege verständlich.

Keine Änderungen bei Kernenergieerzeugung

Zunächst ist aber mit einem Missverständnis aufzuräumen: Durch die Verordnung kommt es zu keinerlei Änderungen hinsichtlich der Nutzung von Kernenergie. Jene Staaten, die (wie Frankreich) auf Atomkraft setzen, können, dürfen und werden das wohl weiterhin tun. Für jene Staaten, die sich gegen die Nutzung von Atomkraft aussprechen (wie Österreich), ergeben sich dadurch grundsätzlich auch keine Änderungen.

Die Verordnung ist nämlich lediglich im Kontext des sogenannten Taxonomiepakets erlassen worden – und die Taxonomie regelt lediglich die Kriterien zur Bestimmung, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist, um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können (Art 1 der TaxonomieVO). Auf die Zulässigkeit oder auch die Unzulässigkeit der Nutzung von Kernenergie und Gas zur Energiegewinnung hat das alles also keinen Einfluss – wohl aber auf deren Finanzierung.

Atomstrom und Gas als wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz?

Die Kommission ist der Auffassung, dass private Investitionen in Erdgas- und Atomkraftaktivitäten beim ökologischen Wandel eine Rolle spielen. Deshalb schlug sie vor, bestimmte Erdgas- und Atomkraftaktivitäten als Übergangstätigkeiten einzustufen, die zum Schutz des Klimas beitragen. Die Aufnahme bestimmter Erdgas- und Atomenergieaktivitäten in die entsprechende Liste ist nur vorübergehend und an bestimmte Bedingungen und Transparenzanforderungen geknüpft.

Allerdings hat die Kommission damit aus Sicht der österreichischen Bundesregierung ihre Kompetenzen zur Erlassung sogenannter delegierter Rechtsakte überschritten. Sie kann nämlich durch einen solchen delegierten Rechtsakt eine Wirtschaftstätigkeit dann als "grün" einstufen, wenn sie wesentlich dazu beiträgt, die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu stabilisieren, das eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert. Dieser Beitrag zum Klimaschutz muss im Einklang mit dem langfristigen Temperaturziel des Pariser Übereinkommens Treibhausgasemissionen verringern oder die Speicherung von Treibhausgasen verstärken.

Kernenergie nicht von der Taxonomieverordnung erfasst?

Laut Kritikern ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die Kernenergie das in Artikel 17 der Taxonomieverordnung geregelte Nachhaltigkeitskriterium auch erfüllt – nämlich die dort genannten Umweltziele nicht wesentlich zu beeinträchtigen (zu denken ist an Störfälle, aber auch an die Endlagerung der Brennelemente). Wenn dem aber so wäre, dann hätte die Kommission selbst mit dem befristeten "green labeling" der Kernenergie die ihr in den Artikeln 8, 10 und 11 der Taxonomieverordnung eingeräumten Kompetenzen überschritten. Auch der Euratom-Vertrag kommt als Rechtsgrundlage nicht in Betracht, da jene für die Taxonomieverordnung der Vertrag über die Arbeitsweise der EU ist (AEUV) ist.

Wenn diese Annahme stimmt, dann könnte die vom Klimaschutzministerium bereits als beschlossen verkündete Klage gegen diesen delegierten Rechtsakt vor dem EuGH durchwegs Chancen auf Erfolg haben – aufschiebende Wirkung hat sie jedoch für die Dauer des Verfahrens nicht. (Peter Sander, 15.7.2022)