Auf dem Set von Sex School Hub können Performer:innen (hier Sadie Lune, Lina Bembe und Parker Max von links) einfach aufhören und aufstehen, wenn sie eine Pause brauchen.

Foto: Sex School Hub

Pornografie. Es gibt kaum ein Produkt, bei dem wir lieber über unseren Konsum schweigen. Während der Trend bei Kleidung, Haushaltsartikeln oder Lebensmitteln dahin geht, bewusster einzukaufen und auf Labels wie "fair" oder "ethisch produziert" zu achten, zeigt kaum einer stolz, wie fair die Pornos in seinem Browserverlauf sind. Doch Porno ist nicht gleich Porno. Spätestens nach einer Reihe von Enthüllungen zu User-Generated-Content-Plattformen, also Websites, bei denen Nutzer:innen selbst Videos hochladen können, ist die Online-Pornografie gebrandmarkt. Die beliebte Site Pornhub hostete Bildmaterial, das ohne Einvernehmen gefilmt oder verbreitet wurde, sowie Videos, die Vergewaltigungen zeigten. Auf Pornhub und seinem größten Konkurrenten X-Videos befanden sich auch Videos von Kindesmissbrauch.

2020 veröffentlichte die "New York Times" eine Reportage, die Personen vorstellte, die als Minderjährige in Videos zu sehen waren, die auf Pornhub landeten. Darauf reagierte die Plattform mit verschärften Regeln für Uploads. Nutzer:innen konnten Videos nicht ohne Verifizierung hochladen, und Millionen Videos von nichtverifizierten Accounts wurden von Pornhub gelöscht. Weniger als zwei Jahre später erschütterte allerdings ein Bericht des "New Yorkers" die Plattform erneut. Wieder stand der Online-Pornoriese aufgrund von nicht einvernehmlich gedrehten oder veröffentlichten Videos, in denen unter anderem auch Minderjährige zu sehen waren, in den Schlagzeilen. Die Verifizierungsmaßnahmen reichen dem Bericht zufolge nicht aus. Nach der Veröffentlichung traten der COO und der CEO von Mindgeek, dem Mutterkonzern hinter Pornhub, zurück, sie stritten jedoch einen Zusammenhang mit den Enthüllungen ab. Trotz der Anschuldigungen zählen Pornhub und X-Videos weiterhin zu den meistaufgerufenen Seiten im Internet. Sie verzeichnen jeweils mehr Klicks als Netflix oder Reddit. Für Porno-Konsumierende stellt sich also die Frage: Wer achtet darauf, dass die Menschen hinter den Videos fair behandelt werden?

Ungleiche Bezahlung

Shine Louise Houston ist Regisseurin, Drehbuchautorin und Porno-Urgestein und hält von einem eigenen Label für faire Pornos nichts. Vielmehr setzt sie auf Vertrauen innerhalb der Branche und auf den Anstand. "Ethische Grundsätze drehen sich für mich vor allem um die Beziehung zum anderen," meint Houston im Gespräch mit dem STANDARD. 2007 gründete sie in den USA die Website für queere Pornos Crashpadseries. 2012 folgte PinkLabel.tv als selbsternannte "umfassende Sammlung für Indie-Pornos". Die Filme, die sie produziert oder lizensiert, sind laut Houston fair, weil sie dafür sorgt, dass die Bedürfnisse aller befriedigt sind, sei es in finanzieller oder technischer Hinsicht.

Doch faire Bezahlung ist in der Branche nicht selbstverständlich. Während einige großes Geld machen, müssen sich andere Darstellende mit vielen kleinen Jobs über Wasser halten. Grundsätzlich ist die Pornoindustrie eine der wenigen, in denen Frauen mehr verdienen als Männer. Ein Argument für die Gehaltskluft ist, dass die durchschnittliche Laufbahn von Frauen in der Erwachsenenfilmindustrie kürzer ist als die von Männern. Doch der Pay-Gap betrifft nicht nur das Geschlecht, sondern auch auf Ethnie. Laut Genderforscherin Mireille Miller-Young verdienen schwarze Frauen im Porno nur halb so viel wie ihre weißen Kolleginnen.

Konsequenzen des Pornhub-Skandals

In einem Feld mit hohem Konkurrenzdruck fürchten viele, gerade am Anfang, einfach ersetzt zu werden. Wer gewisse sexuelle Handlungen ablehnt, riskiert, den Job an jemand anderen zu verlieren. Zumal lohnen sich bestimmte sexuelle Handlungen vor der Kamera auch finanziell. So schrieb Performer Alex Saint auf Quora, dass er als Mann mehr Geld für Sex mit Männern erhält. Dass auch Heteromänner für mehr Geld mit Männern drehen, sei nicht selten. Saint nennt es "Gay for Pay" (schwul für Bezahlung). Der US-Sender CNBC ermittelte, dass Darsteller:innen für "extremere" Sexualakte wie Analsex oder Sex mit mehreren Partnern mehr Geld bekommen – vor allem, wenn sie diese noch nicht vor der Kamera gezeigt haben. Das könnte die Akteur:innen wiederum zu Szenen ermutigen, die sie ohne finanziellen Druck nicht gedreht hätten. Gerade diejenigen am Anfang ihrer Karriere, haben es schwer, solche Angebote abzulehnen.

Bei Drehs sorgt Shine Louise Houston (im Bild) dafür, dass Darsteller:innen ungeachtet ihrer Hautfarbe, Herkunft, ihres Geschlechts oder Alters gleich bezahlt werden.
Foto: Crashpadseries

Regisseurin und Produzentin Houston bezahlt hingegen nicht für einzelne sexuelle Akte, sondern eine Flatrate pro Drehtag. Darsteller:innen machen bei Houston nur das, was sie für das Gehalt für angemessen halten, sagt Houston. Die Regisseurin betont aber, dass sie niemandes gesamte Karriere mit ihren limitierten Aufträgen finanzieren kann. Auch für Houstons Website PinkLabel.tv wurde das Geschäft in den letzten Jahren komplizierter. Sie beklagt, dass sich Abrechnungsunternehmen und Versicherungspartner aufgrund der Kontroversen aus dem Pornogeschäft zurückgezogen haben. "Seit dem Pornhub-Debakel mussten wir andere Wege finden, um bestimmte betriebliche Versicherungen zu bekommen, es wurde also noch schlimmer. Der schlechte Ruf des Pornogiganten schade auch ihr. "Die Leute denken, dass Pornhub die gesamte Industrie ist, was es nicht ist." Dennoch betont Houston, dass es auch Mainstreamproduktionsfirmen gibt, die faire Arbeitsbedingungen schaffen. Pornos von großen Produzenten auf Pornhub und anderen Mainstreamplattformen sind nicht automatisch unethisch. Doch ob die Videos unter fairen Bedingungen gemacht wurden, ist bei Plattformen mit wenig Überblick über Millionen von Videos schwer nachvollziehbar.

Freelance im Porno

Eine "Dämonisierung" des Mainstream lehnt auch die Performerin Manon Praline ab. Sie arbeitete sowohl für kleinere Indie-Filme als auch für größere Mainstreamproduktionen. Dabei betont Praline, dass Filme mit klaren ästhetischen und künstlerischen Vorgaben oft mehr Zeit brauchen, dafür aber nicht automatisch besser sind. "Für Mainstreamproduktionen habe ich auch gearbeitet, und es ist am Ende für mich günstiger gewesen", meint Praline. "Ich geh hin und mach mein Ding. Das dauert eine Stunde oder zwei, dann bin ich raus und habe mein Geld. Ich wüsste nicht, was daran weniger ethisch ist als bei feministischen Produktionen." Allerdings sind feministische Pornos, also Pornos aus einem feministischen Blickwinkel, nicht gleichbedeutend mit fairen Pornos, wo es vielmehr um Arbeitsbedingungen geht. Praline stand als erste Transfrau im Porno namens "We Are The Fucking World" der bekannten feministischen Produzentin Erika Lust vor der Kamera. Daher ist es ihr wichtig, dass Transpersonen auf den Sets gehört und angemessen repräsentiert werden – egal, ob bei einer Mainstream- oder Nischenproduktion.

Manon Praline war die erste Transfrau, die für die Produzentin Erika Lust vor der Kamera stand.
Foto: Manon Praline/My Garage My Rules

Praline selbst ist auch Regisseurin und achtet dabei darauf, wie lange die Vorbereitung dauert. "Ich wünsche mir oft, anstatt alles an nur einem Tag drehen zu müssen, zwei Tage zu haben. Ich wünschte die Zeit, um ein Konzept zu entwickeln, wäre auch bezahlt", sagt die Sexarbeiterin. Doch die Arbeit, die außerhalb der Drehs in ein Projekt hineinfließt, ist nach Pralines Erfahrung oft unbezahlt. Um genug zu verdienen, arbeitet sie neben ihren Tätigkeiten als Darstellerin und Produzentin auch als Escort und Domina. Zusätzlich verfolgt Praline einen Job außerhalb der Sexarbeit. In ihrem Umfeld sei es, wie die Performerin erzählt, nicht selten, wie sie selbst in vielen unterschiedlichen Freelancejobs zu arbeiten.

"Wer ist das vor mir?"

Um selbst Pornos zu drehen, braucht Praline Geld. Dieses kommt oft aus eigener Tasche und der ihrer Kollaborationspartner. Geld kommt auch von Lizenzen, die Praline für ihre Pornos an Plattformen wie AORTA Community Hardcore, PinkLabelTV, das Houston betreibt, oder Cheex vergibt. Die 2020 in Berlin gegründete Plattform hostet Videos von kleineren Produktionen, oftmals von Pärchen oder einzelnen Performenden. Cheex-CEO Denise Kratzenberg wollte eine Alternative zu den Platzhirschen der User-Generated-Content-Plattformen schaffen. Ein wichtiger Aspekt für die Unternehmerin ist die Authentizität. Cheex prüft, von wem Pornovideos kommen. Auf der Plattform für Sexualität und Pornos werden die Darsteller:innen in Kennenlernvideos vorgestellt und namentlich genannt. Kratzenberg betont, dass es diese Transparenz auf User-Generated-Content-Plattformen nicht gibt. "Du weißt eigentlich nicht mal, wer das vor dir ist", erzählt die Cheex-Mitgründerin dem STANDARD. Selbst wenn ein Film Gewalt oder Unterwerfung beispielsweise in einer Bondage-Szene zeigt, arbeiten laut Kratzenberg alle Parteien in Videos auf Cheex einvernehmlich. Wer sich unsicher ist, sollte laut Kratzenberg hinter die Fassade des Films blicken und herausfinden, wer in den Szenen gezeigt wird – nachfragen lohne sich. Einvernehmen, Alters- und Gesundheitsvorgaben werden vertraglich abgesichert.

Die Darstellerinnen (im Bild Bunny BBW) konnten über den Sex im ersten Porno von Cheex selbst entscheiden.
Foto: Cheex

Im Frühling ließ Cheex auch einen ersten eigenen Porno produzieren. Am ersten Drehtag filmte das Team eine Szene über einen Aktzeichenkurs, jedoch ohne sexuelle Handlungen. "Es wurde viel gesprochen, und man hat sich viel ausgetauscht, um ein Set zu schaffen, in dem man sich gerne aufhält", erzählt Kratzenberg. Über die sexuellen Handlungen konnten die Darstellerinnen selbst bestimmen. Somit hätten sie weniger Leistungsdruck und könnten über ihre eigene Präsentation mitentscheiden. Bei Cheex werden lizensierte Filme und Eigenproduktionen mit Einnahmen aus Abos gedeckt. Interessierte können damit neben Videos auch auf Blogbeiträge, Podcasts, Audiostorys und Workshops rund um Sexualität zugreifen.

Trink Wasser

Auch Anarella Martínez bietet eine Art Sex-Workshop an, denn für sie ist bewusster Pornokonsum eine Sache der Erziehung. Martínez ist CEO von Sex School Hub, einer Website, die explizite Sexualerziehung mithilfe von pornografischem Material für Erwachsene anbietet. In Videos können Interessierte mehr über Themen wie Küssen, Selbstbefriedigung oder Dreier erfahren. Dabei gewinnen sie auch Einblicke darin, wie ein Pornodreh im Bestfall abläuft. "Eine Regel ist, dass niemand jemand anderen zwingen kann, etwas zu machen, das die Person nicht will", erzählt Martínez dem STANDARD. Andere Punkte für ein faires Arbeitsumfeld sind für sie: Essen am Set, ein Ort zum Ausruhen und die faire Bezahlung aller Performenden.

Bei den Filmen auf Sex School Hub ist der Grat zwischen Performance und Realität verschwommen. Wenn jemand während eines Drehs für Sex School Hub aufsteht und sich ein Glas Wasser holt, wird weitergefilmt. Pausen werden nicht rausgeschnitten, um den Akt nicht mit einem "Cut" zu unterbrechen. "Wir wollen zeigen, wie es bei einer echten sexuellen Erfahrung aussehen würde. Zuvor habe ich beim Recherchieren meistens Videos aus der männlichen Ich-Perspektive gesehen", erklärt Martínez. "Der Mann sagt dann höchstens: 'Oh, gefällt dir das?' Bei Sex School hast du ein ganzes Gespräch." In den Clips erscheinen während des Sexualakts auch eingeblendete Pfeile, die Hinweise geben wie "Mach eine Atempause" und "Trink Wasser" oder "Seid sicher – benutzt Kondome". Manchmal würden die Personen vor der Kamera auch einfach miteinander lachen. Diese Freiheit ist ein Luxus. Dieser Luxus kostet. Daher appelliert die Sex-School-Hub-Chefin an Gratisporno-Nutzende: "Wir haben viele Menschen, die dafür arbeiten, euch glücklich und geil zu machen, und es ist schön, wenn alle, die mitarbeiten, zufrieden sind, weil sie wissen, dass sie danach bezahlt werden."

Laut Anarella Martínez (im Bild rechts) ist es wichtig, Sex trotz des Pornosettings auf authentische Art darzustellen.
Foto: Sex School Hub

Im Internet wird allerdings nur für einen geringen Anteil an Pornos bezahlt. Und solange das so ist, entziehen sich gratis Zuschauende der Verantwortung für faire Entlohnung und angemessene Bedingungen. Ein erster Schritt in den fairen Konsum ist das Hinterfragen des Inhalts. Laut Martínez kann jemand, der sich unsicher ist, ob es beim Porno am Bildschirm mit rechten Dingen zugeht, als Allererstes den Titel des Videos überprüfen. Stehen die Namen der Performenden im Titel? Steht der Name einer Firma oder eines Studios da, das man kontaktieren könnte? Es gibt viele Plattformen und Produktionsfirmen, die ihre Arbeitsbedingungen transparent machen. Solange es kein Gütesiegel gibt, das die Fairness eines Videos garantiert, lohnt es sich also, für Pornos nicht gleich das erste Suchergebnis anzuklicken. (Isadora Wallnöfer, 19.7.2022)