Bürgermeisten wissen oft nicht, was sie eigentlich ausrichten können. Dabei hat die Gemeinde immer die Planungskompetenz, auch am See.

Illustration: Maik Novotny

Der Neusiedler See hat in diesen Tagen eine gute und eine schlechte Nachricht für uns. Die gute zuerst: Das umstrittene 100-Millionen-Euro-Hotelprojekt in Fertőrákos mit 800 geplanten Parkplätzen wurde jetzt begraben. Die schlechte: Der Wasserstand ist durch die klimakatastrophale Hitzewelle auf Niedrigniveau. Was haben diese beiden Nachrichten außer dem Ort gemeinsam? Einiges.

"Am Neusiedler See gab es immer einen schwankenden Wasserstand", sagt Nikolaus Gartner, stellvertretender Obmann des Architekturhauses Architektur Raumburgenland. "Das Problem ist aber, dass sich der Tourismus, je mehr am Ufer gebaut wird, immer mehr in Abhängigkeit vom Wasserhaushalt des Sees begibt. Dann drohen weitere Eingriffe in die Naturlandschaft, deren Auswirkungen wir nicht abschätzen können. Das Ziel sollte eher sein, den Tourismus in die Orte zu verlagern, wo er auch zur Stärkung der historischen Ortskerne beitragen kann."

"Exklusiver Seezugang"

Erweitert man das Spannungsfeld Seeufer und Tourismus um die Baukultur, versteht man, warum die Ziviltechnikerkammer kürzlich zum zweiteiligen Treffen "Bauwut versus Baukultur: Seenlandschaft" am Neusiedler See und am Attersee bat. Klimakrise, Pandemie und Krieg haben die Österreicher ins Auszeit-Cocooning mit Heimatfilmkulisse getrieben. Urlaubend, zweitwohnsitzend und investierend. Die Worte "exklusiver Seezugang" sind der Diamantbesatz auf dem Developer-Betongold. Das setzt auch die Seegemeinden unter Druck.

Wie man sich dessen erwehren kann? Beispiele dafür liefert Kärnten, das sich in den letzten Jahren zum baukulturellen Musterschüler unter den Bundesländern entwickelt hat. Dort fanden 2018 und 2019 fünf Seenkonferenzen statt, die von Raffaela Lackner, Leiterin am Architektur Haus Kärnten und Elias Molitschnig, grüner Gemeinderat in Klagenfurt und für die Raumordnung und kommunales Bauen bei der Kärntner Landesregierung zuständig, konzipiert wurden.

Vorbild Velden

Handlungsbedarf war geboten, denn Kärnten hat zwar viele schöne Seen, aber auch die wenigsten öffentlichen Zugänge dazu. 76 % des Ossiacher-See-Ufers und 82 % des Wörtherseeufers sind in privater Hand. Wer hier ans Wasser will, muss sich durch enge Lücken quetschen. "Am Anfang stand die Frage, was man überhaupt noch ausrichten kann", erinnert sich Elias Molitschnig. "Aber die Bevölkerung hat viele Impulse und Wünsche geliefert: Gestaltung, Förderung, klare Regeln." Auch die Gemeinde Velden, die früh mit radikalen Baustopps und Rückwidmungen auf die Bremse trat, erwies sich als Vorbild. Am Ende des mit breiter Beteiligung angelegten Konferenzreigens stand ein Handbuch mit klar formulierten Empfehlungen wie etwa der wiedereinzuführenden Zweckwidmung der Motorbootabgabe für den Ankauf von Uferflächen.

Die Renaissance des Gemeinsinns, die an den Seen begann, hat sich inzwischen aufs ganze Bundesland ausgeweitet. Denn auch hier war viel zu tun, wie Elias Molitschnig sagt: "Der Seeuferbereich ist der sensibelste, aber wir gehen auch sonst zerstörerisch mit Landschaftsräumen um." So wurde Kärnten das erste und bisher einzige Bundesland, das die ambitionierten baukulturellen Leitlinien des Bundes von 2017 in erweiterter Form auf Landesebene beschlossen hat. Heute ist man dabei, sie umzusetzen, und hat der Zersiedelung an Kreisverkehr und Umfahrungsstraße den Kampf angesagt.

Distanz und Transparenz

"Wichtig ist neben der gezielten Förderung die Unterstützung der Zuständigen in den Gemeinden", so Molitschnig. "Viele Bürgermeister wissen gar nicht, welche Instrumente sie eigentlich in der Hand haben, und geben den Investoren nach, aus Angst, Rechtsbruch zu begehen. Dabei hat die Gemeinde immer die Planungskompetenz. Wir haben an der Verwaltungsakademie einen Lehrgang und drei Crashkurse eingerichtet, und das Interesse war enorm. Auf Landes- und Gemeindeebene merken wir, dass die Baukultur kein Randthema mehr ist."

Als baukulturelle Motoren haben sich hier die Gestaltungsbeiräte bewährt, die erstmals 1993 in Salzburg eingeführt wurden: Fachleute, die Bauvorhaben beurteilen und Bürgermeistern und Öffentlichkeit klare Pro- oder Kontra-Argumente liefern. Wichtig dabei: Die beteiligten Architekten sollten keine Eigeninteressen am Ort haben, und es sollte Transparenz herrschen – wie in Salzburg, wo die Sitzungen öffentlich sind. In Vorarlberg hat fast jede Gemeinde einen Beirat, im Burgenland fast keine. Wien hat einen Fachbeirat, dessen Mitglieder eifrig bauen und dessen Entscheidungen nicht öffentlich sind.

Wechselnde Mitglieder

Dabei ist die persönliche Distanz der Mitglieder zur Gemeinde elementar, betont Architekt Ernst Beneder, der seit 1994 in verschiedenen Gemeinden beratend tätig ist. "So garantiert man die wirtschaftliche Unbefangenheit, kann aber auch eine strategische Naivität einsetzen, die mit Blick von außen scheinbar Selbstverständliches hinterfragt. Aus diesem Grund braucht es auch einen regelmäßigen Wechsel der Mitglieder." Was heute immer wichtiger werde, so Beneder, ist, das gesamte Umfeld eines Projekts ins Auge zu fassen. Dadurch ließen sich sowohl Gefahren als auch Chancen von Bauvorhaben besser beurteilen.

Dabei müssen die Architekten keineswegs als Lehrmeister auftreten, vielmehr werden die Gemeinderäte durch die dauerhafte Beschäftigung mit dem Thema selbst zu Experten. Die Kärntner Orte, die die einen Gestaltungsbeirat haben, sagt Elias Molitschnig, würden die Uhr nie wieder zurückdrehen wollen. "Denn die Bürgermeister sagen heute nicht mehr "Jo, werma scho schauen", wenn ein Investor kommt, sondern: Dies und jenes sind unsere Kriterien."

Inklusiv statt exklusiv

Zusätzlicher Booster fürs Selbstbewusstsein ist die Vernetzung der Beteiligten untereinander – so waren neben Architekten auch Bürgermeisterinnen beim Doppelmeeting an Neusiedler und Attersee zugegen. Ein guter Impuls zum Weiterarbeiten, resümiert Daniel Fügenschuh, Sektionsvorsitzender der Architekten in der Bundeskammer. "Ein Gestaltungsbeirat setzt sich für die Anliegen der Bevölkerung und der politischen Verantwortlichen ein. Es geht darum, das öffentliche Interesse zu wahren, die Qualität zu steigern, auch über den konkreten Bauplatz hinaus. Auch die Projektwerber profitieren davon. Private Investoren lassen sich zwar ungern etwas sagen, aber sie verstehen alle, dass die Projekte durch den Beirat besser werden. Es kann sich auch ergeben, dass ein anderer Bauplatz besser geeignet wäre." Eine Chance, um die erhitzte Bauwut abzukühlen – mit Seeufern, die nicht exklusiv sind, sondern inklusiv. (Maik Novotny, 16.7.2022)