Aus Sicht von Europarechtler Peter Hilpold bietet das EU-Recht Handhabe bei Postenschacher.

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Der das ganze Staatswesen betreffende Postenschacher in Österreich – gleichzeitig Sublimierung der Korruption und weitere Wegbereitung dazu – muss bekämpft werden. Darüber scheint gesamtgesellschaftlich und politisch Einigkeit zu herrschen.

Doch wie vorgehen? Die allgemeine Ratlosigkeit in dieser Frage ist auch Ausdruck grober Mängel in den Rechtskenntnissen und weitgehenden Fehlens von Vertrautheit mit EU-Recht in Österreich.

Kaum Handhabe

Die Tatsache, dass manifest rechtswidrige Stellenbesetzungen von diskriminierten Bewerbern in Österreich de facto kaum bekämpft werden kann, sollte zu denken geben. Selbst die eng formulierten Diskriminierungstatbestände gemäß Art. 19 AEUV (Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung) sind in Österreich nur unter hohem Kostenaufwand und Prozessrisiko gerichtlich verfolgbar. Und selbst im Fall eines Obsiegens fällt die finanzielle Entschädigung bescheiden aus – die Stellenvergabe wird ohnehin nicht revidiert.

In allen anderen Fällen existiert in Österreich überhaupt keine Klagsmöglichkeit, und zwar aufgrund einer schon nach nationalem Recht bedenklichen Auslegung der österreichischen Zivilprozessordnung, die zu einer Ablehnung der Konkurrentenklage führt.

EU-Recht unberücksichtigt

Noch weit gravierender ist aber der Umstand, dass diese Rechtsprechung die EU-rechtliche Seite völlig unberücksichtigt lässt. Stellenausschreibungen fallen – soweit sie nicht den eng definierten hoheitlichen Bereich betreffen – gemäß Art. 45 AUEV in den Anwendungsbereich des EU-Rechts, wodurch zusätzlich die Grundrechtecharta zur Anwendung kommt. Dies hat zur Folge, dass die gesamte tradierte Rechtsprechung zum Ausschluss der Konkurrentenklage schon aus diesem Grund hinfällig wird. Diskriminierte Mitbewerber haben damit einen subjektiven Rechtsanspruch auf ein rechtskonformes Verfahren, den sie im Wege eines individuellen Klagerechts auch vor den Gerichten durchsetzen können. Und mehr noch: Sie kommen in den Genuss aller Rechtsverbürgungen, die die Grundrechtecharta auch im Wege der Rechtsprechung im Lichte des Allgemeinen Rechtsgrundsatzes der "guten Verwaltung" den Unionsbürgern zuspricht, was beispielsweise zur Untersagung von Befangenheitssituationen führen muss. Die politische Vorabbestimmung des Siegers/der Siegerin von Ausschreibungsverfahren mit nachfolgender Konstruktion eines Scheinverfahrens, vielleicht "abgesichert" durch hochbefangene Kommissionen, besetzt mit Günstlingen, ist nicht nur an sich eine Absurdität, die schon nach nationalem Recht untersagt werden müsste, sondern eindeutig und krass EU-rechtswidrig.

Den Höchstgerichten ist diese Problematik bekannt. Sie halten aber an der eingangs beschriebenen Rechtsprechung fest und legen diese Fragen – zum Teil sogar ohne Begründung! – dem EuGH nicht vor. Das Problem des Postenschachers wäre in weiten Teilen (im hoheitlichen Bereich, etwa bei Richterbesetzungen, müssten natürlich auch Rechtsbehelfe geschaffen werden, und insbesondere müsste Sorge getragen werden, dass die Auswahlkommissionen neutral, beispielsweise unter Einbeziehung von Externen, besetzt werden) unter simpler Anwendung von EU-Recht lösbar. Es würde genügen, dass man in Österreich zur Kenntnis nimmt, seit 1995 der EU anzugehören. (Gastbeitrag: Peter Hilpold, 16.7.2022)