Bei lockeren Anlässen gibt sich Johanna Mikl-Leitner leutselig und herzlich. In der politischen Auseinandersetzung wird sie hingegen meist direkt.

Foto: starpix / picturedesk.com

Der Andrang war so groß, dass sogar Promi-Anwalt Manfred Ainedter auf dem Gehsteig parken musste. Wenn Johanna Mikl-Leitner zum Heurigen einlädt, sagt man eben nicht ab: Schlagerstars wie Francine Jordi und Simone waren in Hagenbrunn vergangene Woche ebenso zu Gast wie eben Ainedter, der Schönheitschirurg Artur Worseg oder Hofreitschulen-Chefin Sonja Klima.

Mikl-Leitner steht erst seit 2017 an der Spitze des Bundeslands – und ist dennoch schon eine Institution, an der man nicht vorbeikommt. Das gilt nicht nur für Wirtschaftstreibende und Schlagersängerinnen, sondern vor allem für ihre eigene Partei – nicht nur in Niederösterreich.

So leutselig und herzlich Mikl-Leitner sich bei lockeren Anlässen wie ihrem Heurigen gibt, so direkt und machtbewusst tritt sie in der Politik auf. Zuletzt bekam das Kanzler Karl Nehammer zu spüren, als die Landeshauptfrau wegen der massiv steigenden Strompreise öffentlich mehr Leadership von der türkis-grünen Koalition einforderte – also auch von ihm. "Da braucht es Führungsqualitäten der gesamten Bundesregierung", sagte Mikl-Leitner: "Da nehme ich niemanden aus." Kein anderer Landesparteichef könnte sich das leisten.

Und dennoch ist Mikl-Leitner kein unverwundbares Machtzentrum in der Volkspartei. Ihre Macht ist bedingt – und kann genauso schnell wegbröckeln, wie sie erarbeitet wurde. Worauf gründet sich ihr Einfluss? Und wann würde sie ihn verlieren?

Im Jänner 2018 hatte sich die Landeshauptfrau ihre Machtbasis erkämpft: Die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl.
Foto: apa / helmut fohringer

Den Ruf als mächtigste Person in der ÖVP verdankt Mikl-Leitner mehreren Umständen: Die ÖVP Niederösterreich ist eine schlagkräftige, straff organisierte und im Wesentlichen hochmotivierte Truppe, die nicht nur in Wahlkampfzeiten gut funktioniert. Das ist allerdings nicht erst seit Mikl-Leitner so, sondern vor allem auf 25 Jahre Erwin Pröll als Landeshauptmann zurückzuführen, in denen er das Land und die Partei mit strenger Hand führte. Und Partei war nicht nur auf die Landespartei beschränkt. Pröll war in Wien immer auch gefürchtet, er konnte sehr direkt werden und seine Interessen ohne höfliche Floskeln vorbringen und durchsetzen. Diesen Ruf und diese Berufung hat Mikl-Leitner quasi mit ihrer Angelobung mit übernommen.

Das wichtigste Erbe aus der Pröll-Ära hat sich Mikl-Leitner allerdings erkämpft: die absolute Mehrheit. 49,6 Prozent erreichte sie nach einem intensiven Landtagswahlkampf 2018. In Mandaten bedeutete das die absolute Mehrheit, es ist die letzte davon für die Volkspartei. Kaum jemand hatte der Niederösterreicherin das zugetraut, die ein Jahr zuvor Prölls Erbe angetreten hatte. Ihre eigene Landespartei hoffte auf die Sensation, gewiss war sie aber keineswegs. Die Landeshauptfrau sicherte sich an diesem Tag ihre Macht, auch ihre innerparteiliche.

Dass Mikl-Leitner nun hier steht, ist das Ergebnis unermüdlicher Arbeit. Von der Parteisekretärin zur Landeshauptfrau: Den Aufstieg hätte nicht jeder geschafft, sagt ein Involvierter. Die Volkspartei Niederösterreich ist ja kein Sozialverein, wo man von allein nach oben gelangt.

Gesunde Finanzen

Nun kann sie in ihrem Bundesland im Wesentlichen tun, was sie will – und umsetzen, was sie fordert. Kompromisse mit lästigen Koalitionspartnern sind nicht notwendig. SPÖ und FPÖ, die, Proporz sei Dank, ebenfalls in der Landesregierung sitzen, hat sie mit Arbeitsübereinkommen an sich gebunden. Je näher der Wahltermin rückt, desto mehr scheren Rot und Blau aber auch aus dem "Miteinander" aus. Mikl-Leitner mag das nerven, tatsächlich stören kann es sie nicht.

Hinter der niederösterreichischen Volkspartei, und damit auch hinter Mikl-Leitner, stehen sehr gesunde Finanzen, mit denen sich die Landespartei gut bewegen kann und von denen auch die Bundespartei profitiert. Ein Teil der Mitgliedsbeiträge, die in Niederösterreich eingesammelt werden, landen in der Parteizentrale in Wien.

Die anderen Parteien im niederösterreichischen Landtag vermuten schon länger, dass die finanzielle Schlagkraft der Landespartei auch durch öffentliche Inserate in parteinahen Medien zustande kommt – die Volkspartei bestreitet das entschieden, der Landesrechnungshof prüft.

Dazu kommt die schiere Größe des Bundeslands: Bei der jüngsten Nationalratswahl 2019 steuerte Niederösterreich mit 42 Prozent für die neue, türkise ÖVP zwar nicht das beste Wahlergebnis aller Bundesländer bei, sehr wohl aber in der absoluten Zahl der ÖVP-Wählerinnen und ÖVP-Wähler: 435.000. Das sind etwa 125.000 Stimmen mehr, als aus Oberösterreich, dem zweitstärksten Bundesland, kamen. Jeder Bundesparteichef der ÖVP weiß also, dass seine Macht ganz maßgeblich auch an Niederösterreich hängt. Verändert sich dort etwas in der Wählerstruktur, wird das mittelbar auf Bundesebene schlagend.

Zaghaft und zögerlich

Mikl-Leitner hat ihren Einfluss in der Bundespartei zuletzt nur sehr zaghaft und zögerlich wahrgenommen und ausgenutzt. Andere Landeschefs setzten sich in Szene und versuchten die geballte innerparteiliche Macht Niederösterreichs durch das Schmieden der Westachse auszugleichen. Salzburg, Tirol und Vorarlberg traten gemeinsam sehr selbstbewusst auf, in der Steiermark war Hermann Schützenhöfer ohnedies sein eigener Kosmos. Schützenhöfer und Platter sind weg, Markus Wallner in Vorarlberg ist zumindest vorübergehend weg und jedenfalls angeschlagen – in dieses Machtvakuum scheint jetzt Mikl-Leitner zu stoßen. Sie übernimmt wieder die Führung, und niemand widerspricht ihr.

Unterstützung? Nie bedingungslos

Sie selbst wird der Darstellung, sie sei bei der Einsetzung von Karl Nehammer als Nachfolger von Sebastian Kurz die Königsmacherin gewesen, nicht widersprechen. Mehrere glaubhafte Quellen erzählen allerdings eine andere Geschichte: Es sei Günther Platter, mittlerweile als Landeshauptmann in Tirol abgetreten, gewesen, der die Initiative ergriff, Nehammer vorschlug und forcierte. Mikl-Leitner habe letztlich nur zugestimmt. Und die Achse zwischen Nehammer und Mikl-Leitner ist längst nicht so stark, wie das dargestellt wird. Das machte zuletzt die doch heftige Kritik der niederösterreichischen Landeshauptfrau an der Regierung in Wien deutlich, bei der sie auch die mangelnde Führungsqualität ansprach.

Mikl-Leitner stützt Kanzler Karl Nehammer. Doch Unterstützung aus Niederösterreich ist nie bedingungslos.
Foto: apa / tobias steinmaurer

Das Verhältnis zu Nehammer ist weder besonders eng noch zerrüttet. Mikl-Leitner unterstützt ihn – vorerst. Unterstützung aus Niederösterreich ist nie bedingungslos, das weiß sie genauso gut wie der Kanzler. Dass der Streit – in diesem Fall um einen Strompreisdeckel – in der Volkspartei so offen ausgetragen wird, ist zumindest in der jüngeren Zeit ein Novum.

Mikl-Leitners Umfeld erzählt, dass die Bundesländer (und sie im Speziellen) auch während der Ära Kurz nicht an Macht eingebüßt hätten – dass es nur nicht notwendig gewesen sei, sie öffentlich auszuspielen.

Mikl-Leitners Leadership-Ansage war aber womöglich weniger eine Botschaft an den Kanzler als an die Wählerschaft in Niederösterreich: Sie habe das Ohr bei den Leuten. Das hatte Erwin Pröll immer, darum bemüht sich auch seine Nachfolgerin, die beim Großmeister der Bürgernähe ja in die Schule ging. Das Unterwegssein bei den Leuten ist mühsam und zeitraubend, bringt aber, konsequent betrieben, eine starke Bindung zwischen Partei und Bürgern.

Doch Mikl-Leitner ist klar: Macht ist immer nur geborgt. Derzeit schaut es so aus, als ob sich in Niederösterreich etwas ändern könnte, als ob die Tage der letzten absoluten Mehrheiten in Österreich gezählt wären. Umfragen bescheinigen der ÖVP eine Zustimmung um die 40 Prozent – von einem solchen Wert kann Karl Nehammer auf Bundesebene nur träumen, aber in Niederösterreich würde das ein handfestes Minus von acht bis neun Prozentpunkte bedeuten.

Das Schreckensszenario für Mikl-Leitners Team: ein Wahlergebnis unter 40 Prozent. Fällt die Volkspartei bei der Landtagswahl im Frühjahr 2023 tatsächlich unter diese Marke, wird es auch für die Landeshauptfrau persönlich eng. Wenn Niederösterreich nicht mehr Stimmen und Geld liefert, können die Zeiten, an denen man an Johanna Mikl-Leitner nicht mehr vorbeikommt, auch in Niederösterreich ganz schnell vorbei sein. (Sebastian Fellner, Michael Völker 16.07.2022)