Endlich einmal eine gute Nachricht zur Energiekrise! Vor allem für hunderttausende Menschen in Österreich, die das Problem explodierender Preise für Strom und Wärme verzweifeln lässt, das durch gedrosselte Gaslieferungen aus Russland verschärft wird.

Das könnte man glauben, seit der börsennotierte Energiekonzern OMV mitteilte, dass er sich für das Gasjahr von Herbst 2022 bis 30. September 2023 beträchtliche Gaspipelinekapazitäten in Westeuropa gesichert hat – zusätzlich zu den bestehenden mit Russland.

Der börsennotierte Energiekonzern OMV teilte mit, beträchtliche Gaspipelinekapazitäten in Westeuropa gesichert zu haben.
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Die Basisfakten klingen überzeugend. Satte 40 Terawattstunden könnten via Deutschland und Italien geliefert werden. Sie kämen großteils aus Gasbeständen in Norwegen, auf die die OMV direkten Zugriff hat. Das entspräche fast der Hälfte des Bedarfs hierzulande.

Kein Wunder also, dass sofort das große Aufatmen der Spitzenvertreter der Industrie einsetzte. Und auch Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) trat vor die Mikrofone, um die Nation wissen zu lassen, dass das zusätzliche Gas auch "dort verbraucht oder gespeichert wird", wo der Konzern seinen Sitz hat: in Österreich. Bundeskanzler Karl Nehammer wie Finanzminister Magnus Brunner sprangen gleich auf: Die Regierung setze gemeinsam mit der OMV alles daran, die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Dafür sorge das Diversifizierungsgesetz, welches 100 Millionen Euro aus der Staatskasse zum Ersatz der Mehrkosten im Gastransport vorsieht.

So weit, so gut. Es ist tatsächlich erfreulich, dass der Mineralölkonzern die Vorsorge vertraglich gesichert hat. Er ist jedoch ein privatisiertes Unternehmen, an dem die Republik mit einem Drittel zwar einen großen Anteil hat, ohne jedoch bestimmen zu können, was mit dem Gas geschieht. Das Gas gehört nicht dem Staat, sondern dem Konzern. Und die OMV-Manager sind zuvorderst den Aktionären verpflichtet, nicht der Regierung. Sie müssen Gewinn machen.

Gesicherte Leitungskapazitäten

Genau deshalb ist Skepsis angebracht, wenn Regierungspolitiker den Pipelinedeal vorschnell feiern und sogar für sich reklamieren nach dem Motto: Mögen die Russen den Gashahn abdrehen – "wir" haben vorgesorgt! Genau das ist nicht der Fall, zumindest noch nicht. Die OMV hat sich Leitungskapazitäten gesichert, so wie Fluglinien sich Landerechte sichern, ohne zu wissen, ob Flüge auch wirklich stattfinden. Ob und wie viel Gas ab Herbst ins Land fließen wird und zu welchem Preis, ist völlig offen. Das gilt auch in der Frage, ob es in Österreich lebenden Menschen zukommen oder an Bestbieter im Ausland verkauft wird.

Die OMV hat die Pflicht, Lieferverträge einzuhalten, den Preis bestimmt der Markt, nicht die Politik. Billiger wird es nicht unbedingt. Regierungen können Gas zukaufen, als Notreserve, oder Konsumenten bei Strom- und Gasrechnungen finanziell entlasten. Direkten Zugriff auf bestimmte Mengen hat die Regierung nicht. Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck, ein Grüner, wies auf diese wichtigen Umstände im STANDARD-Interview explizit hin. Es wäre schön, wenn auch heimische Politiker den Menschen reinen Wein einschenkten.

Klappt es mit zusätzlichen Gaskapazitäten, muss man der OMV herzlich gratulieren. Es ist richtig, zur Bewältigung der Gaskrise nicht auf nationale Alleingänge zu setzen, sich an Deutschland, an Ländern in Nordwesteuropa zu orientieren, sich von Russland abzukoppeln. Diese Krise lässt sich nur mit einem gemeinsamen europäischen Vorgehen bewältigen.(Thomas Mayer, 15.7.2022)