Die Tram fügt sich in den Autoverkehr ein.
Foto: Reiner Riedler

Die Straßenbahnfahrt beginnt mit einer Durchsage: "Dieser Zug wird schaffnerlos geführt. Bitte kaufen Sie Ihr Ticket am Fahrschalter." Ein junger Mann steigt am Gmundner Bahnhof ein und fährt in die Stadt, um seine Freundin zu besuchen. Weiter hinten sitzen zwei Mädchen. Die eine schaut ein Video auf dem Handy, die andere hat ihre Schuhe auf dem Stoffbezug des Sitzes gegenüber abgestützt. Zwei Frauen steigen bei der Gmundner Keramik zu und sagen: "Wir haben die Gmundner Keramik nicht gefunden. Jetzt fahren wir runter zum See, auf ein Eis. Bis wohin fahren wir da am besten?" Ein Ortskundiger hilft, er steigt mit ihnen bei der Station Kuferzeile aus.

Hier, einen Häuserblock vom Traunseeufer entfernt, hat die Betreiberin der Gmundner Straßenbahn, die Firma Stern & Hafferl, ihren Firmensitz. Geschäftsführer Günter Neumann kennt das schlechte Image der sogenannten Traunseetram: Er weiß, dass die Bevölkerung gerne betont, wie leer die Fahrgarnituren und wie umstritten die Kosten für den Ausbau der Linie vor einigen Jahren gewesen seien. Aber lieber spricht er von "einer der interessantesten Straßenbahnen der Welt". Gmunden ist steil: Zwischen Rathausplatz am Seeufer und dem Bahnhof liegen etwas mehr als ein Kilometer Luftlinie – und 60 Höhenmeter. Die Straßenbahn bewältigt Steigungen von bis zu zehn Prozent. Seit 1894 ist sie in Betrieb.

Bunte Balken, keine Zahlen

128 Jahre später sprechen Gmundnerinnen und Gmundner über die Tram gerne von einem "Wahrzeichen", aber besonders stolz scheinen sie darauf nicht zu sein. Manche kritisieren, die Routenführung sei nicht ideal. Die Tram sollte zum Strandbad im Südwesten fahren, sagen sie. Oder zum Krankenhaus etwas nördlicher. Dann würde sie auch besser angenommen werden. Viele spotten über die Auslastung und schließen Wetten ab: Wie wenige Personen sitzen in der nächsten Straßenbahn? Manche bezeichnen die Tram als "Geisterbahn".

Dabei freut sich Stern & Hafferl über Rekordzahlen, zumindest behauptet es das Unternehmen. Dem STANDARD legt Neumann ein Balkendiagramm vor, in dem der Juni 2022 als der am stärksten frequentierte Monat überhaupt aufgelistet ist. Nur: Zahlen fehlen auf dem Diagramm. Auch auf Nachfrage will das Unternehmen keine konkreten Angaben zur monatlichen Auslastung machen. Dafür waren die Balken schön bunt. Für 2022 erwartet der Betreiber ein Rekordjahr, 800.000 Fahrgäste sind prognostiziert. Das will man aus den Daten aus dem ersten Halbjahr hochgerechnet haben. 2019 fuhren noch 733.000 Fahrgäste mit der Traunseetram.

In der Alois-Kaltenbrunner-Straße bewältigt die Gmundner Straßenbahn mit bis zu zehn Prozent Steigung ihr steilstes Stück.
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Knapp 30 Millionen Euro für 800 Meter

Vor etwas mehr als vier Jahren fuhren in Gmunden sogar noch zwei Straßenbahnen, die parallel betrieben wurden. Eine im Westen verlief vom Bahnhof bis ins Zentrum. Die andere fuhr im Osten als Regionalbahn in Gmundens Vororte. Der Verein Pro Gmundner Straßenbahn setzte sich in der Öffentlichkeit stark dafür ein, die beiden Bahnen zusammenzulegen. "Auf Dauer war es nicht sinnvoll, zwei Bahnen parallel zu betreiben", sagt Obmann Otfried Knoll. Die Alternative wäre gewesen, die Bahnen einzustellen. Die Fahrzeuge waren veraltet, nicht barrierefrei.

Also wurde in der Gmundner Innenstadt gebaut, vier Jahre lang. 800 Meter zusätzliche Gleise waren notwendig, um beide Linien zu vereinen – unter anderem über die Traunbrücke, die den Westen mit dem Osten der Stadt verbindet. "Das war bautechnisch nicht einfach", sagt Knoll, Professor auf der FH St. Pölten für Bahntechnologie. Unter den Schienen wurden Wasser-, Gas- und Stromleitungen erneuert, Regenrückhaltebecken errichtet. Das Budget betrug 30 Millionen Euro, rund 80 Prozent zahlten der Bund und das Land Oberösterreich. "Uns ist es gelungen, deutlich unter dieser Summe zu bleiben", sagt Neumann von Stern & Hafferl. 28,6 Millionen Euro sollen tatsächlich ausgegeben worden sein.

Durch das Trauntor führt eine Begegnungszone. Da allerdings häufig Autokolonnen durch die Innenstadt ziehen, bekommt man das oft gar nicht mit.
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Harsche Kritik vom Rechnungshof

Dem gegenüber steht ein vernichtender Bericht des Rechnungshofs. Das Projekt hätte aus finanzieller und verkehrswirtschaftlicher Sicht nie realisiert werden dürfen. "Die Kosten inklusive Betrieb und Erhalt der Traunseetram übersteigen den Nutzen um das Dreifache", hieß es im Oktober 2020. Bei der Potenzialanalyse wurden grobe Mängel festgestellt: Die prognostizierten Fahrgastzahlen waren zu hoch angesetzt, zudem beauftragte Stern & Hafferl die Analysen im Auftrag des Landes offenbar selbst und verrechnete dem Land die Kosten zum Teil im Nachhinein. Für den Zeitraum von 2003 bis 2030 errechnete der Rechnungshof Gesamtkosten von 169 Millionen Euro. Über laufende Betriebskosten machte Stern & Hafferl auf Anfrage keinerlei Angaben.

Ökologisch gesehen ist der Betrieb einer Straßenbahn sinnvoll. Robert Tichler, Experte für Umweltökonomie an der Uni Linz, fordert, Straßenbahnen nicht nur auf Großstädte wie Linz, Graz oder Wien zu beschränken. Die Gmundner Tram sei eine Investition in die Zukunft, wenn auch eine riesige.

Heute fährt die Straßenbahn alle 15 Minuten durch die Gmundner Innenstadt, bis zum Bahnhof Engelhof im Nordosten. Jede zweite davon fährt die Richtung weiter durch kleinere Orte ins 15 Kilometer entfernte Vorchdorf. An einem Nachmittag in der ersten Ferienwoche sitzen etwa 15 Personen in der Tram: Familien, Teenager, Pendlerinnen. Die Haltestellen heißen etwa wie Kaiser und Bundespräsidentschaftskandidaten, Franz-Josef-Platz und Rosenkranz. Eine Durchsage: "Nächster Halt auf Verlangen: Rathausplatz." Ein Pensionist aus St. Pölten erzählt, er sei für einen Tagesausflug an den Traunsee gekommen. Weil sein E-Roller bergauf zu viel Akku verbraucht, nimmt er für den Rückweg zum Bahnhof die Tram. Der Fahrplan der Straßenbahn ist auf jenen der ÖBB gut abgestimmt.

"Taxi-Mama in den Ruhestand schicken"

Gmunden will die Auslastung seiner modernen Straßenbahn steigern. Die Stadt versucht es auf ihrer Homepage mit der sperrigen Frage: "Warum nicht ein Auto einsparen und den Arbeitsweg mit der Bahn zurücklegen oder Taxi-Mama in den Ruhestand schicken und die Kids mit der Bahn zum Shoppen, zur Musikschule, ins Kino oder zu anderen Freizeitaktivitäten schicken?"

Erfolge verspricht man sich von Park-and-Ride-Anlagen im Umland. Im Vorort Kirchham wurde an der Haltestelle bereits ein Parkplatz errichtet, bei der Station Engelhof soll im Herbst mit dem Bau begonnen werden. Auf der Strecke im Norden in den Vororten sei die Nachfrage an Baugrund gestiegen. Die Orte erwarten weiteren Zuzug. Experte Tichler begrüßt, dass Gmunden ein Öffi-Netz geschaffen hat, schon bevor die Nachfrage ein Mobilitätskonzept zum Platzen bringt.

Der Verein Pro Straßenbahn will sich zudem für die Erweiterung der Linie nach Laakirchen einsetzen. Die Gemeinde nördlich von Gmunden ist laut Knoll bisher noch nicht am Öffi-Netz angebunden. Doch er ist sich bewusst, dass die Chancen darauf vorerst gering stehen. "Wir sind keine Träumer, Freaks oder Fantasten", sagt Knoll. Laut Neumann von Stern & Hafferl laufen zudem Gespräche, dass die Benutzung der Tram für Veranstaltungen im Rahmen der Kulturhauptstadt 2024 gratis möglich sein würde. Dieses Angebot sei über das Festjahr hinaus für den Tourismus denkbar, etwa in Kombination mit dem Vorweisen einer Nächtigungskarte.

Die Traunbrücke wurde im Zuge der Zusammenlegung der zwei Straßenbahnlinien renoviert.
Foto: Reiner Riedler

Unternehmer im Verein

Im Verein Pro Straßenbahn sitzen im Übrigen auch Personen, die bei Stern & Hafferl arbeiten. Geschäftsführer Neumann fungiert etwa als Schriftführer. Obmann Knoll erkennt darin keinen Interessenkonflikt. Vertreter des Unternehmens können als Besitzer der Trassen "den richtigen Blickwinkel" liefern, sagt er. Finanziert werde der Betrieb ja von der öffentlichen Hand, argumentiert er.

Am Ende des Gesprächs sticht hervor, dass Knoll die Tram ein Anliegen ist. Ob der Artikel des STANDARD gut oder kritisch angelegt sei, fragt er. Auch Stern & Hafferl will wissen, was der Artikel bezwecken wolle. Man könne ja den Artikel noch einmal gegenlesen, bevor er veröffentlicht wird – um etwa zu sehen, dass alle verwendeten Zahlen korrekt sind. DER STANDARD hat dankend abgelehnt. (Lukas Zahrer aus Gmunden, 17.7.2022)