Händewaschen verhindert Infektionskrankheiten.

Foto: Echo/Nadège Mazars

Vorbereitung einer Blutprobe.

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Im April verirrte sich eine Rotte Wildschweine nach San Pedro de Tipisca, von dem Festmahl sprachen die Dorfbewohner noch Wochen später.

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Wenn in San Pedro de Tipisca im kolumbianischen Amazonasgebiet ein Patient ins Spital in der Provinzhauptstadt Leticia gebracht werden muss, hat Gesundheitsassistent Giovanny Pinto alle Hände voll zu tun. Es gilt jemanden zu finden, der ein "peque-peque" – eines der motorisierten Kanus, mit denen sich die Bevölkerung auf dem Amazonas fortbewegt – zur Verfügung stellen kann, und dann muss er auch noch eine Spendensammlung organisieren, um den Treibstoff für den kleinen Außenbordmotor bezahlen zu können.

In der 260-Einwohner-Gemeinde, die an einem Nebenarm des Amazonas zweieinhalb Fahrstunden mit einem schnellen Boot von der Provinzhauptstadt Leticia entfernt liegt, ist Malaria endemisch. Die Infektionskrankheit kann tödlich verlaufen. Heuer hatte Giovanny bereits zwei Patientinnen, bei denen der Schnelltest positiv ausfiel: eine Schwangere und ein Kind. Beide überlebten, weil sie rechtzeitig ins Spital gebracht wurden.

Eine Gallone Benzin kostet mit 20.000 bis 30.000 Pesos (1,25 bis 1,90 Euro der Liter) zwei-bis dreimal so viel wie in Leticia, für die kleinen Zweitaktmotoren der Peque-Peques kommt noch teures Schmieröl dazu. Der Treibstoff wird aus Puerto Asís, der Hauptstadt der Nachbarprovinz Putumayo, auf dem gleichnamigen Fluss geliefert, im Februar brachen die Versorgung und damit das Transportwesen zusammen, weil der Putumayo wegen Niedrigwassers nicht schiffbar war. Straßenverbindungen in die südlichste Region Kolumbiens gibt es keine, die Hauptstadt Bogotá ist nur mit dem Flugzeug erreichbar.

Benzin als Wegzoll

Dazu kommt, dass die improvisierten Labore, in denen die Kokablätter zu Kokapaste verarbeitet werden, große Mengen Kerosin oder Benzin als Lösungsmittel verwenden. Die Drogenbanden überfallen Reisende und lassen sie nur weiterfahren, wenn sie ihnen einen Teil des Kraftstoffs an Bord überlassen. Der kolumbianische Staat hat es nach der offiziellen Beendigung des Bürgerkriegs zwischen Militär und Farc-Guerilla im Jahr 2016 nicht geschafft, hier die Kontrolle zu erlangen – statt der Aufständischen kontrollieren nun Drogenbanden weite Landstriche.

Wer im Krankenhaus Leticia nicht behandelt werden kann, muss mit dem Ambulanzflugzeug evakuiert werden. "Das Flugzeug schläft in Bogotá", erklärt allerdings ein Wachmann, es startet dort erst, wenn es angefordert wird, allein der Anflug dauert zwei Stunden. Wenn die Maschine dauerhaft hier stationiert wäre, kämen die Notfallpatienten schneller ins Spital.

Ordination in der Holzhütte

Giovanny empfängt seine Patienten in seiner Holzhütte, seine Ausrüstung besteht neben Malaria- und Covid-Schnelltests aus einer Flasche Desinfektionsmittel, ein paar Schachteln Tabletten und einer Packung Objektträger – Glasstreifen, auf die er das Blut der an Malaria Erkrankten tropft, um dieses dann im Labor in der nächstgelegenen Stadt Puerto Nariño analysieren zu lassen. Nur so kann festgestellt werden, ob die Medikamente funktionieren oder weitere Maßnahmen erforderlich sind.

Giovanny nimmt eine Blutprobe.
Foto: Echo/Nadège Mazars

Allerdings komme es oft vor, dass das Labor seine Proben wegen Überlastung nicht auswerten könne, berichtet Giovanny und zeigt eingetrocknete Blutstropfen vor. Wenn er sein eigenes Mikroskop hätte, würde er sich viele Wege ersparen, erklärt er der Gruppe aus NGO-Angestellten, EU-Vertretern und Journalisten, die heute das Dorf besuchen. "Dann müsstest du aber auch eine Einschulung machen", wirft Lehrer Rubén Coeto ein.

Dieser hätte gern ein Solarpanel und einen Laptop für die Dorfschule, der Kuraka (gewählte Dorfchef) Joel Vázquez und seine Stellvertreterin Sirley Valentin wünschen sich ein Rettungsboot, das immer für den Patiententransport bereitsteht, und ein Gemeinschaftshaus.

Manuel Gómez Peña mit seinem Amtsstab.
Foto: Echo/Nadège Mazars

Manuel Gómez Peña, der 82-jährige Kommandant der örtlichen Indigenengarde, betont, dass seine Truppe ohne Transportmittel kaum einsatzbereit ist. Jugendvertreter Daniel Flores erzählt uns, wie schwer es ist, höhere Bildung zu erlangen, und dass er befürchtet, dass seine Altersgenossen stattdessen über den Amazonas nach Peru gehen, um dort Koka zu ernten. Die harte, aber gut bezahlte Arbeit hinterlässt ihre Spuren an den Handflächen der "Raspachines" ("Abstreifer"), die die Blätter von den Stielen lösen.

Daniel Flores würde gern studieren.
Foto: Echo/Nadège Mazars

Am Ende des Besuchs haben die Mitglieder der "Amazonasallianz", die aus den NGOs Action against Hunger, dem Norwegischen Flüchtlingsrat und Ärzte der Welt besteht und von der EU-Katastrophenhilfeagentur Echo mit 2,5 Millionen Euro finanziert wird, eine lange Liste erstellt. Die Organisation ist seit September 2021 in Amazonien aktiv, beschäftigt 18 Personen und betreut 10.000 Menschen in bisher 19 Dorfgemeinschaften. Der Besuch in San Pedro Tipisca war eine Premiere, andere Siedlungen werden schon länger regelmäßig aufgesucht.

Menschenrecht medizinische Grundversorgung

Nicht alle Wünsche werden sich erfüllen lassen. Echo-Projektleiter Daniele Pagani betont, dass medizinische Grundversorgung und sauberes Trinkwasser Menschenrechte sind, für deren Einhaltung der kolumbianische Staat Sorge tragen müsste. Die EU hat nicht vor, dauerhaft Geld für die Verbesserung der Lebensumstände auszugeben, sondern leistet lediglich Nothilfe.

Wenn die kolumbianische Regierung in der Region Investitionen tätigt, versickern diese oft im Korruptionssumpf. Auftragnehmer würden bezahlt, ohne die vereinbarten Leistungen zu erbringen, erzählt Pagani, und Vize-Kuraka Sirley Valentin ist der Ansicht, dass es den Staatsvertretern sowieso nur darum gehe, öffentlichkeitswirksame Bilder ihrer Besuche in sozialen Medien posten zu können.

Die Pandemie traf San Pedro de Tipisca besonders hart. Im Juni 2020 wurde ein 40-tägiger Lockdown angeordnet, später wurde es einzelnen Personen gestattet, das Dorf zu verlassen, um lebenswichtige Güter wie Öl, Salz sowie Angelschnüre und -haken zu beschaffen. Traditionelle Heilmittel wie Zitrone, Ingwer, Kurkuma und Knoblauch halfen, die Symptome zu lindern.

Der Echo-Einsatz wurde beschlossen, als zu Pandemiebeginn nur noch einer der 35 Ärzte und Ärztinnen im Spital von Leticia am Arbeitsplatz erschien. Ohne grundlegende Schutzmaßnahmen wie Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel und Einwegkittel, erklärten die anderen, könnten sie ihren Dienst nicht verrichten.

Mittlerweile ist das Medizinpersonal zurückgekehrt. "Man hat ihnen eine Gehaltserhöhung und in Zukunft pünktliche Lohnauszahlung versprochen", berichtet Mediziner José Moises, der gerade mit seinem Ärzte-der-Welt-Team im nahegelegenen Dorf San Martín de Amacayacu Station macht.

Schule als Medizinstützpunkt

Die Schule dient zwölf Tage lang als Medizinstützpunkt, Plastikvorhänge trennen die Behandlungsräume ab. Vor allem Durchfallerkrankungen, Hautpilze und Atemwegsinfektionen behandelt Moises hier, Frauen, die eine Schwangerschaft vermeiden wollen, lassen sich Hormonspiralen implantieren.

Hormonspirale zur Verhütung
Foto: Echo/Nadège Mazars

San Martín de Amacayacu kennen die Mitarbeiter der Amazonas-Allianz schon länger, heute werden hier 160 Hygienekits, die aus Putz- sowie Desinfektionsmittel, Chlorbleiche, Toilettenpapier, Zahnpasta und einem Putzkübel bestehen, ausgeteilt.

Die Kits werden auf die Wünsche der Dorfbevölkerung abgestimmt. Hier besonders beliebt: die blaue "Estrella"-Seife.
Foto: Echo/Nadège Mazars

"Wozu dient das Wasser?", fragt die Gesundheitspromotorin in ihrem blauen Papierkittel in die Runde. Die erste Antwort ist: "Um uns darauf fortzubewegen", erst dann wird erwähnt: "Zum Trinken."

Großes Interesse am Vortrag.
Foto: Echo/Nadège Mazars

In der Maloka, dem hölzernen Gemeinschaftshaus ohne Seitenwände, erklärt eine Ärztin, wie sich Gesundheitsrisiken verringern lassen und die Ausbreitung infektiöser Krankheiten eingedämmt werden kann. Die Dorfbevölkerung hat aus Karton ein Modell der Siedlung gebastelt, auf dem Gefahrenquellen markiert werden.

Mexikaner spendeten Wassertank

Die Infrastruktur in der 600-Einwohner-Siedlung ist besser ausgebaut als in San Pedro de Tipisca. Die Dorfschule verfügt über einen 5000-Liter-Wassertank und eine leistungsfähige Filteranlage, die die staatliche mexikanische Entwicklungshilfeagentur Amexcid vor zwei Jahren zur Verfügung gestellt hat. Um das Budget der Schule aufzubessern und Reparaturen am Trinkwassersystem zu bezahlen, verkauft Lehrerin Loida Angél Wasser, das nicht benötigt wird, um 500 Pesos (11 Cent) den Liter.

Der Wassertank der Schule.
Foto: Echo/Nadège Mazars

Die 115 Schulkinder erhalten am Vormittag eine warme Mahlzeit aus dem staatlichen Ausspeisungsprogramm, erzählt Loida, allerdings funktioniert das nicht immer. Die italienische NGO Kenda errichtet am Rand des Dorfes, wo früher Drogenflugzeuge starteten und landeten, ein Gesundheitszentrum. "Casa de Paz", "Haus des Friedens", soll es heißen, wenn es fertiggestellt ist.

In Kolumbiens abgelegenster Provinz kommen auf einen Quadratkilometer 8,2 Menschen – in Österreichs am dünnsten besiedelten Bundesland Kärnten sind es beispielsweise 59. Die Sterblichkeitsrate in der indigenen Bevölkerung ist 35 Prozent höher als der Provinzdurchschnitt. Bisher hat sich der kolumbianische Staat wenig um die Bevölkerung hier gekümmert. Ob das Gesundheitswesen im Amazonas-Trapez unter dem neuem Präsidenten Gustavo Petro ohne EU-Unterstützung auskommen wird, bleibt offen. (Bert Eder, 25.7.2022)