Pamela Rendi-Wagner glaubt, dass der Krieg in der Ukraine nur durch Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin beendet werden kann – und Österreich als neutralem Land dabei eine besondere Rolle zukäme. Mit diesen Aussagen ließ die SPÖ-Chefin, die nach den Wahlen aus der Opposition raus und Bundeskanzlerin werden will, wie sie erklärte, am Donnerstagabend beim "Sommergespräch" des Senders Puls 24 aufhorchen.

Pamela Rendi-Wagner glaubt, dass der Krieg in der Ukraine nur durch Verhandlungen beendet werden kann.
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Gefragt, ob sie als Regierungschefin nach Russland fahren und mit Putin sprechen wollte, sagte sie: "Wenn wir Friedensverhandlungen ernst nehmen, muss man sich mit beiden Seiten ernsthaft auseinandersetzen. Ja". Rendi-Wagner meinte damit sowohl die russische Seite mit Putin als auch die ukrainische mit Präsident Wolodymyr Selenskyi. Der Besuch von Kanzler Karl Nehammer in Moskau und Kiew im Frühjahr sei "im Grunde richtig" gewesen, aber "es wurde falsch gemacht", stellte sie fest.

Der Kanzler hätte sich davor ein Mandat bei den europäischen Partnern, bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem deutschen Kanzler Olaf Scholz holen sollen, um dann "mit diesem Mandat Putin und Selenskyi stärker entgegenzutreten".

Wie realistisch das sei, wie sie sich das konkret vorstelle, wo Nehammer doch nichts erreicht hatte, darauf ging sie nicht ein. Die SPÖ-Chefin löste aber in sozialen Medien eine Debatte zu Neutralität und Pazifismus in Ukraine-Krieg aus. Denn sie nahm weder eindeutig Stellung zu Putins Kriegsverbrechen noch bekannte sie sich ohne Einschränkungen zu den von den EU-Staaten einstimmig – auch mit der Stimme Österreichs – beschlossenen und aus dem EU-Budget finanzierten Waffenlieferungen an die Ukraine bzw. zu den Sanktionen gegen Russland.

Gegen Waffenhilfe

Diese mögen für die Selbstverteidigung der Ukrainer wichtig sein, erklärte Rendi-Wagner, würden "aber den Krieg nicht beenden". Das ginge nur "mit diplomatischen Anstrengungen". Österreich sei jedenfalls ein neutrales Land, sagte sie. Waffenlieferungen lehnte sie mit Hinweis auf die Neutralität dezidiert ab.

Der frühere Staatssekretär im österreichischen Außenministerium, Hans Winkler, sah darin auf Twitter "hohle Phrasen": Nicht die Neutralität, sondern das Kriegsmaterialiengesetz verbiete Waffenlieferungen.

Für Irritation sorgte auch ein Tweet der SPÖ, in dem Rendi-Wagner erklärt, dass sich Österreich in Sachen Neutralität nicht von "Trends" und "Stimmungen" leiten lassen sollte. Sie meinte damit offenbar die Entscheidung von Schweden und Finnland zum Nato-Beitritt, die eine direkte Folge des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine und der Drohungen gegen Europa war. Das als "Trend" abzutun, stieß vielen in sozialen Medien sauer auf. Diese Art von Pazifismus sei gerade im Ukraine-Krieg zynisch.

ZDFheute Nachrichten

Einer, der Rendi-Wagners Meinung ganz und gar nicht teilt, ist Joachim Gauck. Deutschlands ehemaliger Bundespräsident (2012–2017) fand Mittwochabend in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" deutliche Worte gegen Pazifismus im Ukraine-Krieg. Nicht nur Moderator Lanz war davon überrascht. Denn der frühere DDR-Bürgerrechtler und ehemalige Pastor Gauck gilt in Deutschland vielen als Gesicht der friedlichen Revolution von 1989.

Und doch ist für Gauck die Bewaffnung der Ukraine alternativlos. "Wie kann ich auf Verhandlungen setzen und gleichzeitig den Überfallenen dadurch schwächen, dass ich ihm nicht aufhelfe? Verzicht auf Waffenlieferung ist im Prinzip Begünstigung des Aggressors", so sein unmissverständliches Statement. Der pazifistische Ansatz ist für Gauck "ehrenvoll", erreiche aber in der Realität seine Ziele nicht.

"Keine Kapitulation vor dem Gewissenlosen"

"Wir brauchen in dieser Welt nicht die Kapitulation vor dem Gewissenlosen. Der fragt sich nicht, ob es Recht ist, seine Ansprüche mit der Waffe durchzusetzen. Wenn die Gewissenhaften sagen, ich mache mir die Finger nicht schmutzig, dann verraten sie die Wertebasis, die ihnen das Leben so ermöglicht hat, wie sie es gerade leben." Er selbst würde, falls nötig, schießen.

In einer Rede zum 25-Jahr-Jubiläum der friedlichen Revolution in der DDR ließ Gauck 2014 keinen Zweifel daran, dass er den Umsturz ohne Waffengewalt für eine der größten Errungenschaften der deutschen Geschichte hält. Am Mittwoch zeigte er auf, dass dem russischen Angriffskrieg so nicht beizukommen ist. (Thomas Maier, Thomas Mayer, 15.7.2022)