Georg Kreisler, wie man ihn jahrzehntelang liebte und fürchtete: gut gekleidet am Klavier, den Schalk im Nacken.
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Aphorismus

Die Kunst des kurzen, geistreichen Satzes, am besten auch noch satirisch gewendet, war im Wien des frühen 20. Jahrhunderts eine Domäne jüdischer Intellektueller. Was Alfred Polgar, Egon Friedell oder Karl Kraus vorexerzierten, trieb der am 18. Juli 1922 in Wien geborene Georg Franz Kreisler munter vorwärts: "Als wir noch dünner waren, standen wir uns näher", ist so ein Satz, oder: "Zahl deine Steuern, denn Waffen sind teuer." Apropos: Politisch bezeichnete sich Georg Kreisler als gewaltfreien Anarchisten. Der Satz "Keine Macht für niemand" stammt zwar nicht von ihm, darauf verwiesen hat er aber gerne.

Couplet

Das gewitzte, oft zynisch Missstände anklagende Theaterlied wurzelt tief im Alt-Wiener Volkstheater und wurde gerade von den Nachkriegsatirikern im Kabarett zur eigenständigen Kunstform erhoben. Georg Kreisler, der sieben Jahre Ausbildung am Klavier genossen hatte, war ein Meister darin. Seine Komponiermethode beschrieb er so: "Man nehme einen gar grausigen, hochaktuellen Anlass, übertreibe ihn maßlos, bis er all seinen Schrecken verliert, und spiele eine Musik dazu, die gar nicht recht zu passen scheint. Fertig." Über 700 Lieder soll Kreisler geschrieben haben, seine dutzenden Plattenveröffentlichungen trugen so großartige Titel wie Lieder zum Fürchten, Hurra, wir sterben, Wenn die schwarzen Lieder wieder blüh’n oder Die alten, bösen Lieder.

Exil

Am Beginn von Kreislers Karriere stand die Flucht. Als Schüler von den Nazis verfolgt, schaffte er es gerade noch ins amerikanische Exil, bevor die Vernichtung begann. Zurück kam er erstmals wieder 1943 in der Uniform der US-Army. Als Übersetzer war er bei Verhören von Nazigrößen wie Julius Streicher, Herausgeber des antisemitischen Hetzblatts Der Stürmer, involviert. In den USA verhalfen ihm Verwandte zu ersten Auftritten mit satirischen Chansons in Hollywood. Doch am bigotten Nachkriegsamerika biss Kreisler sich mit provokanten Nummern wie Please Shoot Your Husband die Zähne aus – dass er damit seiner Zeit voraus war, sollten erst US-Comedians späterer Jahre mit ihren angriffigen Stand-ups bestätigen. Zu seiner Heimat konnte der Vertriebene kein ungetrübtes Verhältnis mehr aufbauen. Kreisler lebte geradezu nomadisch, neben Hollywood zeitweise in New York, Wien, München, Berlin, Salzburg und Basel. Im Lied Ich fühl mich nicht zu Hause, zu findenauf der Platte Nichtarische Arien (1966),beschreibt er die nach dem Krieg fortwirkende Entwurzelung eines Juden auf humorige Art.

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Frauen

Seine große Zuneigung zu Frauen im Allgemeinen besang Kreisler in vielen Liedern. Zu den einschlägigen Hits zählen Zwei alte Tanten tanzen Tango, Das Mädchen mit den drei blauen Augen oder natürlich das Skandalon Bidla Buh – ein Lied über einen Frauenmörder, was in Österreich mit Falcos Jeanny in späteren Jahren erneutmusikalisch Niederschlag finden sollte. Privat wird Kreisler als Romantiker und fürsorglicher Mensch beschrieben. Erstmals heiratete er mit 19 Jahren in den USA. Mit seiner dritten Ehefrau, der Sängerin Topsy Küppers, verband ihn eine Bühnenpartnerschaft. Seit 1985 war Kreisler mit der Schauspielerin Barbara Peters verheiratet, mit der er seine Zeit in Basel, den USA und Salzburg verbrachte.

Kabarett

Ab 1956 trieb Kreisler seine Karriere in Wien voran. Er traf auf den gleichaltrigen Kabarettisten Gerhard Bronner (Jubiläum im Oktober), der in seiner Marietta-Bar (Cabaret Fledermaus) gemeinsam mit Helmut Qualtinger, Carl Merz, Louise Martini und anderen die Geburtsstunde des bald schon enorm populären Nachkriegskabaretts einläutete. Kreisler verwehrte sich allerdings zeitlebens dagegen, als Kabarettist bezeichnet zu werden. Gerade später schrieb er u. a. Opern, Stücke und Romane, für die er sich mehr öffentliche Aufmerksamkeit gewünscht hätte.

Männer

Nicht nur über das weibliche Geschlecht wusste Kreisler viel Augenzwinkerndes zu sagen, auch die Herren der Schöpfung bedachte er in seiner Liedkunst unablässig mit Spott, stellte Eitelkeiten und Verschrobenheiten in die Auslage. Der ausgesprochen schöne Heinrich, der – warum auch immer – jede Frau abblitzen lässt, zählt dazu. Herberts blaue Augen und Max auf der Rax dürfen nicht fehlen. Der guate alte Franz, der sich jede Frau ausspannen lässt, oder auch das Lied für den Kärntner Männerchor sollen erwähnt sein.

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N-Wort

Wer an Kreislers Werke aktuelle "Wokeness"-Maßstäbe anlegen will, wird freilich so manches finden, das heute nicht unwidersprochen durchginge. Dass ein Stück wie "Die schöne Negerin" nie aufgeführt wurde, mag im Sinne der Ehrenrettung des Gesamtwerks schon damals nicht die schlechteste Entscheidung gewesen sein. Cancel-Debatten gab es um Kreisler jedenfalls zeitlebens.

Österreich

Mit seinem Geburtsland konnte sich Kreisler nie mehr vollends versöhnen. Er nahm es dem immer noch postfaschistisch durchsetzten Nachkriegsösterreich übel, dass ihm die Rückgabe der von den Nazis entzogenen Staatsbürgerschaft nie angeboten wurde. Immerhin das von Kreisler so bitterbös-vielbesungene Wien bedachte ihn 1996 mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Stadt.

Plagiat

Skurrile Blüten trieben zuweilen eine Vielzahl an Rechtsstreitigkeiten rund um die Urheberschaft verschiedener Werke. Zum Zerwürfnis kam es u. a deswegen mit Gerhard Bronner. Ausgerechnet eines der berühmtesten Kreisler-Lieder steht im Verdacht: Tauben vergiften (im Park), das wie kaum ein anderes Werk auf die sehr Wienerische Weltanschauung verweist, wonach sich hinter jeder vordergründigen Idylle morbide Abgründe auftun können, soll Kreisler vom US-Songwriter Tom Lehrer (Poisoning Pigeons in the Park) gestohlen haben. Kreisler bestritt dies in seiner Autobiografie süffisant auf gut Kreisler’sche Art: "Ich möchte aber keineswegs behaupten, dass Lehrer das betreffende Lied von mir gestohlen hat, denn dann wäre ich ja nicht klüger als er."

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Rezeption

Der Einfluss, den Georg Kreisler auf Nachkommende hatte, ist enorm. Im Kabarettboom der Neunzigerjahre, allen voran die schwarzhumorige Variante mit Josef Hader, aber auch in verschiedenen Spielarten des Austropop findet sich viel Kreisler: die Morbidität bei Ludwig Hirsch und heute Voodoo Jürgens, das Schlawinertum und die ironische Männlichkeit bei Rainhard Fendrich (vergleiche Kreislers Sport ist gesund mit Fendrichs Es lebe der Sport). Zum 100. Geburtstag hat aktuell der Puppenspieler Nikolaus Habjan mit der Gruppe Franui das Album Kreisler-Lieder veröffentlicht. Bei Theater im Park gibt’s am 18. Juli einen ganzen Abend unter dem Titel "100 Jahre Bronner und Kreisler".

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Tod

Kreislers Lied Der Tod, das muss ein Wiener sein, veröffentlicht 1969, brachte ein lang tradiertes Stadtklischee plakativ auf den Punkt und muss wohl oder übel auch heute noch als identitätsstiftend gelten. Kreisler selbst ereilte der Tod 2011 im Alter von 89 Jahren – und zwar in Salzburg.

Wiener

Die leergefegten Straßen der Corona-Lockdowns hat Kreisler nicht mehr erlebt. Dass sich sein originellstes (Anti-)Wienerlied überhaupt – Wie schön wäre Wien ohne Wiener – noch einmal derart erfüllen würde, hätte Kreisler sicherlich einen Schmunzler entlockt: "Wie schön wäre Wien ohne Wiener, ein Gewinn für den Fremdenverkehr! / Die Autos ständen stumm, das Riesenrad fallet um, und die lauschigen Gassen wärn leer, / in Grinzing endlich Ruh – und’s Burgtheater zu! / Es wär herrlich, wie schön Wien dann wär." (Stefan Weiss, 17.7.2022)