Es gibt fähige Politiker, die dennoch unterschätzt werden – das ist Mario Draghi nicht passiert: Seit er im Februar 2021 die Regierungsgeschäfte übernahm, wurde ihm mit höchstem Respekt begegnet. Nicht wenige finden, Draghi sei das, wofür sich Silvio Berlusconi immer gehalten hatte: Italiens bester Ministerpräsident.

Premier Mario Draghi hat genug von politischen Machtspielen all'italiana.
Foto: AP / Gregorio Borgia

Draghi wurde nicht unterschätzt, aber missverstanden – zumindest von den römischen Politikern: Sie glaubten, als Regierungschef sei der Spitzenökonom nun einer von ihnen. Einer, der sich auf Tausch- und Kuhhändel einlässt. Einer, der auch nach den nächsten Wahlen Premier bleiben will und sich damit erpressen lässt. Einer, der bereit ist, Spielchen mitzuspielen und faule Kompromisse einzugehen.

Sie hätten bedenken müssen, dass Draghi – der als 15-Jähriger Vater und Mutter verlor und mit seinen Geschwistern bei einer Tante aufwuchs, bei den Jesuiten zur Schule ging und in den USA studierte – nie einer von ihnen werden würde. Nicht er, der viele Jahre im Ausland verbracht hatte, vor allem in London, New York und Frankfurt.

Roms Politikbetrieb hätte sie es besser wissen lassen müssen: Mit der Aussage "Whatever it takes" hatte Draghi als EZB-Chef im Sommer 2012, als Spekulanten und Hedgefonds gegen die spanischen Banken und die italienischen Staatsschulden wetteten, sein Land und den Euro vor dem Kollaps bewahrt. Alles, was nötig ist: Das ist unverhandelbar, schließt halbe Sachen und halbseidene politische Deals aus. Nach dem gleichen Motto wollte Draghi sein Land aus der Krise führen.

Seine Rezepte hätte man nachlesen können: Sie standen in dem Brief, den Draghi 2011 als Chef der italienischen Notenbank an Premier Berlusconi richtete. Dort listete Draghi alle Reformen auf, die er für überfällig hielt. Es waren dieselben wie heute. In dem Brief stand auch, was er unter seriöser Budgetpolitik versteht.

Wie Roms Politikerinnen und Politiker auf die Idee kommen konnten, Draghi werde die von ihm seit Jahrzehnten geforderten Reformen ausgerechnet jetzt verwässern, wo er die Macht hat, sie durchzusetzen, bleibt rätselhaft. Und dass nun immer noch viele in Rom hoffen, er werde seinen Rücktritt zurücknehmen, wenn man ihm nur blinden Gehorsam und ewige Treue schwöre, zeigt, dass sie den Mann immer noch nicht verstanden haben. Denn Draghi weiß: Versprechungen und Abmachungen sind im römischen Politbetrieb das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. (Dominik Straub, 16.7.2022)