Wer in der muttersprachlichen Bubble bleibt, wird hier keine Freundschaften schließen, sagt der in Österreich lebende britische Journalist Liam Hoare im Gastkommentar.

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Platz 51 von 52, das ist kein Ergebnis, das man sich gerne hinter den Spiegel steckt.
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Österreich ist ein unfreundliches Land. Das kann man laut sagen. Die einzige Überraschung, die die jährliche, von der Expat-Netzwerkplattform Internations durchgeführte "Expat Insider"-Studie bietet, ist, dass Österreich von im Ausland lebenden und arbeitenden Menschen nur für das zweitunfreundlichste Land weltweit gehalten wird. An letzter Stelle steht Kuwait.

Privilegierte Elite

Naturgemäß sind Befragungen wie diese problematisch. Expats sind eine eigene Gruppe unter den Immigrantinnen und Immigranten. Die in Österreich lebenden Befragten sind ein Teil einer internationalen, größtenteils englischsprachigen, aufstrebenden Community. 40 Prozent davon verdienen zwischen 50.000 bis 100.000 US-Dollar pro Jahr. Diese Expats sind eine privilegierte Elite unter Einwanderern. Es ist unwahrscheinlich, dass viele Pflegerinnen oder Pfleger aus der Slowakei oder afghanische oder syrische Flüchtlinge eine Internations-Mitgliedschaft haben.

Das heißt aber nicht, dass die Umfrage völlig wertlos ist. Sie stellt ein Fenster dar, durch das man Österreich mit anderen Augen sehen kann. Laut der Studie schätzen Expats sowohl die Geschichte und die Architektur als auch die Öffis, das Gesundheitssystem und die Natur. Doch bezeichnen 41 Prozent der Befragten die österreichische Bevölkerung als unfreundlich und fremdenfeindlich. Es sei schwierig, sich an die österreichische Kultur zu gewöhnen, und sie fühlen sich in Österreich unwillkommen. Österreich ist also ein Land, in dem Expats sich wegen einer gefühlten Unfreundlichkeit nicht heimisch fühlen können. Nur ein hartherziges Land täte diese Ergebnisse pauschal ab.

"Die ersten Konfrontationen mit dem österreichischen Schmäh, der Direktheit, dem Zynismus oder dem Grant sind ein Kulturschock."

Als in Wien lebender Brite kann ich aus Erfahrung über die Freuden sowie die Frustrationen des Lebens eines Ausländers oder Expats in Österreich sprechen. Wenn man aus einem Land wie Großbritannien kommt, in dem eine gewisse oberflächliche, triviale Höflichkeit im Alltagsleben die Schmiere ist, die unsere Räder rollen lässt, sind die ersten Konfrontationen mit dem österreichischen Schmäh, der Direktheit, dem Zynismus oder dem Grant ein Kulturschock, um es gelinde auszudrücken. Aber das Gleiche gilt für die amerikanische Mentalität des Anpackens – eine andere Kulturkluft, die oft auch schwer zu überwinden ist. So ist es eben.

Sprachbarriere überwinden

Aus der "Expat Insider"-Studie kann man ableiten, dass Entfremdungsgefühle nicht nur von diesen kulturellen Unterschieden stammen, sondern auch von der Sprachbarriere, die Missverständnisse und Fehlkommunikationen hervorbringen und die Expats auf muttersprachliche Bubbles beschränkt. Für Internations-Mitglieder sei es weder einfach, in Österreich ohne Deutschkenntnisse zu leben, noch Deutsch zu lernen. Ein britischer Befragter sagte defätistisch, fließend Deutsch zu sprechen wäre ihm zugutekommen, aber er halte es für ein unrealistisches Ziel.

Nicht nur ein Fenster ist diese Befragung, sondern auch ein Spiegel, in dem die Befragten ihr eigenes Abbild sehen können. Es falle ihr sehr schwer, sich mit Einheimischen anzufreunden, sagte eine in Österreich lebende Chilenin. Für Fremdsprachige ist die deutsche Sprache eine knifflige – eine Tatsache, die mehr Österreicherinnen und Österreicher anerkennen und berücksichtigen sollten –, aber ohne Deutsch kann man nicht erwarten, einheimische Freunde zu finden oder sich ganz heimisch zu fühlen. In diesem Sinne sind die Firmen, die Expats einstellen, auch dafür verantwortlich, ihnen Deutschkurse sowie Unterricht über die österreichische Kultur und Lebensart anzubieten.

Das österreichische Paradox

Die Expats sollen Österreich auf halbem Weg entgegenkommen, aber auch Österreich den Expats. Die Tücken und Macken eines Gastgeberlandes kann man nicht verändern, aber die in der Studie festgestellte Unfreundlichkeit deckt eine bittere Wahrheit auf, nämlich das österreichische Paradox, dass Österreich ein Land ist, das Einwanderung braucht – aber keine will. Zu viele Österreicherinnen und Österreicher wollen die Arbeit, aber nicht die Arbeitskräfte, die Einwanderung ohne Einwandererinnen und Einwanderer. Das galt für die ersten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, das galt für die Zugewanderten aus den ehemaligen Ostblockstaaten, und das gilt noch heute. Es ist ein altes Lied.

Der Weg zur Integration ist keine Einbahnstraße. Es ist auch die Aufgabe des Gastgebers, dass sich seine Gäste wohlfühlen. Dazu braucht es einen Top-down-Prozess, denn die Unfreundlichkeit geht von der Politik aus. Das müsste mit einer inklusiveren politischen Kultur und Sprache beginnen. Es tut immer noch weh, dass der Bundeskanzler a. D. sich nur an "Österreicherinnen und Österreicher" wandte und den Rest von uns ausschloss. Aber auch ein modernes und sensibles Einwanderungs- und Staatsbürgerschaftskonzept, das die Realitäten des Lebens eines Einwanderers anerkennt, die Hürden für die Integration beseitigt und ein neues Wir-Gefühl fordert, gehörte dazu.

Ein gastfreundlicheres Österreich ist möglich, wenn wir es wollen. (Liam Hoare, 17.7.2022)