Der noch amtierende Premierminister Italiens Mario Draghi.

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Rom – In Rom hat ein langes Wochenende politischer Gespräche begonnen. Die Parteien warten gespannt auf die Erklärung von Premier Mario Draghi zur aktuellen politischen Lage, die für Mittwoch im Parlament angesetzt ist. Der Verbleib des seit Februar 2021 amtierenden Ministerpräsidenten ist in der Schwebe. Die Zahl der Parlamentarier, die ihn zum Amtsverbleib auffordern, nimmt zu.

Stecker ziehen – oder nicht?

"Es gibt gute Gründe zu gehen und gute Gründe zu bleiben", zitierte die römische Tageszeitung "La Repubblica" den 74-jährigen Draghi. Der Premierminister sei sich über den Ausgang der politischen Krise nicht im Klaren, er bleibe aber in einem Punkt standhaft: Nur ein uneingeschränktes Vertrauen der Mehrparteienkoalition würde die Voraussetzungen für seinen Amtsverbleib schaffen. Nur so könne die Regierung in den nächsten Monaten wieder voll handlungsfähig sein.

Mit Spannung erwartete Erklärung am Mittwoch

Nach einem Kurzbesuch in Algier am Montag zur Unterzeichnung wichtiger Energieabkommen für Italien wird der Regierungschef am Mittwoch zunächst vor dem Senat und dann vor der Abgeordnetenkammer erklären, warum seiner Meinung nach die Regierungskoalition nicht mehr steht. In dieser Rede könnte er seinen Rücktritt ankündigen und Präsident Sergio Mattarella zwecks Demission aufsuchen, ohne an der parlamentarischen Debatte nach seiner Ansprache überhaupt teilzunehmen. Draghi könnte sich aber auch die Stellungnahmen der Parteien anhören und dann entscheiden, ob die Voraussetzungen für seinen Amtsverbleib vorhanden sind.

Sollte Draghi sich entschließen, das Handtuch zu werfen, rückt Mattarella zum Hauptakteur auf. Das 80-jährige Staatsoberhaupt könnte versuchen, eine Übergangsregierung auf die Beine zu stellen, die das Land bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2023 führt. Dieses Kabinett hätte die ausdrückliche Aufgabe, ein Budgetgesetz für das nächste Jahr zu entwerfen und Maßnahmen gegen die Energiekrise und die Inflation zu ergreifen. Sollten die Bedingungen für den Aufbau einer Übergangsregierung nicht vorhanden sein, bleibt nur noch der Weg der Neuwahlen offen.

Möglicher Sommerwahlkampf

Das Szenario eines Wahlkampfs im Sommer versetzt die Parteien in Aufruhr. Ex-Premier Matteo Renzi, Chef der Kleinpartei Italia Viva, sammelte bereits 30.000 Unterschriften für eine Petition, die den Premierminister auffordert, mit Ministern seiner Wahl weiterzumachen. Auch die Sozialdemokraten (PD) hoffen auf einen Amtsverbleib Draghis. "Wir arbeiten für einen Verbleib der Regierung der nationalen Einheit. Wir hoffen, dass die Debatte in der Fünf-Sterne-Bewegung eine Abwendung vorgezogener Parlamentswahlen ermöglicht", so Arbeitsminister Andrea Orlando, Spitzenpolitiker der PD.

Unklar ist, wie sich die Fünf-Sterne-Bewegung, die bisher stärkste Einzelpartei im italienischen Parlament, in dieser Regierungskrise positionieren wird. Die Partei von Ex-Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte den Rücktritt Draghis provoziert, als deren Mitglieder einer Vertrauensabstimmung im Senat – der kleineren der zwei Parlamentskammern – über ein Hilfsdekret von rund 26 Mrd. Euro zur Unterstützung italienischer Familien wegen der Folgen des Ukraine-Krieges und der hohen Energiepreise fernblieben. Draghi sah daraufhin keine Basis mehr für eine Zusammenarbeit. Nicht ausgeschlossen wird jedoch, dass die Cinque Stelle Draghi weiterhin unterstützen könnten, sollte dieser Konzessionen machen und ihren Forderungen entgegenkommen.

Option Vorgezogene Wahlen

Die zur Regierungskoalition gehörenden Rechtsparteien Lega und Forza Italia schließen vorgezogene Wahlen nicht aus: "Die Mitte-Rechts-Allianz wird weiter die Interessen der Italiener ernsthaft und konsequent verteidigen und gewiss keine Angst vor dem Urteil der Italiener haben", betonten die beiden Parteien. Auch die oppositionelle postfaschistische Fratelli d'Italia (FdI) betrachtet Neuwahlen als einzige Lösung für Italien. "Die Niederlande, Deutschland, Portugal und Frankreich sind nur einige der Länder, in denen im vergangenen Jahr zwischen Pandemie und Ukraine-Krieg Parlamentswahlen stattgefunden haben. Neuwahlen sofort!", verlangte FdI-Chefin Giorgia Meloni.

Seit dem 18. April 1948, dem Datum der ersten nationalen Abstimmung nach der Gründung der Republik, finden die Parlamentswahlen in Italien immer zwischen Februar und Juni statt. Die Italiener haben bisher noch nie im Sommer oder Herbst gewählt. Im Herbst ist das Parlament mit dem Entwurf des Budgetgesetzes beschäftigt. Der Zeitplan ist jedes Jahr derselbe und muss unbedingt eingehalten werden.

Auch die USA verfolgen die politischen Entwicklungen in Rom, wie ein hoher Beamter des Weißen Hauses am Freitag mitteilte. "Präsident Joe Biden hat großen Respekt vor Premierminister Draghi und verfolgt daher sehr genau, was sich in Rom abspielt", sagte der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, gegenüber Reportern, die über Bidens Besuch in Saudi-Arabien berichteten. (APA, 16.7.2022)