Ein vom ukrainischen staatlichen Dienst für Notfallsituationen veröffentlichtes Video zeigt laut Ukraine Wohnhäuser in Tschuhujiw, die nach russischen Raketenangriffen am einstürzten.

Foto: Reuters/State Emergency Service of Ukraine

Kiew/Moskau – Russland hat die Ukraine Angaben aus Kiew zufolge von der Region des Kaspischen Meeres aus mit Raketen beschossen. Vier von insgesamt sechs Raketen seien am Samstag über den Gebieten Dnipro im Osten und Saporischschja im Süden abgefangen worden, teilten die ukrainischen Luftstreitkräfte mit. Zwei weitere seien auf landwirtschaftlich genutztem Gebiet in der zentralukrainischen Region Tscherkassy eingeschlagen. Der Schaden werde noch untersucht.

An das Kaspischen Meer grenzen neben Russland unter anderen auch die Südkaukasus-Republik Aserbaidschan und das zentralasiatische Kasachstan. Nach ukrainischer Darstellung sollen bei dem Beschuss Langstreckenbomber vom Typ Tupolew Tu-95 zum Einsatz gekommen sein. Aus Moskau gab es zunächst keine Bestätigung.

Luftalarm in praktisch der gesamten Ukraine

Russland hatte zuvor allerdings angekündigte, knapp fünf Monate nach Kriegsbeginn die Angriffe auf das Nachbarland wieder ausweiten zu wollen. Nachdem bereits am Freitag zwischenzeitlich in der gesamten Ukraine Luftalarm ausgelöst worden war, heulten die Sirenen auch am Samstag wieder in fast allen Landesteilen.

Moskau bestätigte auch einen russischen Raketenangriff auf die ukrainische Millionenstadt Dnipro in der Nacht auf Samstag, bei dem laut der ukrainischen Behörden drei Menschen getötet und 15 verletzt wurden. Der Generalstab in Kiew teilte am Samstag mit, die Ukraine habe in den vergangenen 24 Stunden russische Sturmversuche in Richtung Bachmut und vor Donezk abgewehrt. "Nach einer Umgruppierung hat der Feind den Angriff auf das Wärmekraftwerk Wuhlehirsk wieder aufgenommen, die Kampfhandlungen halten an", heißt es zudem.

Auch in der Stadt Tschuhujiw in der ostukrainischen Region Charkiw sollen laut dem dortigen Gouverneur Oleh Synehubow durch russische Raketenangriffe drei Menschen getötet und drei weitere verletzt worden sein.

Verschnaufpause Russlands scheint zu Ende

Hinweise für eine Verstärkung der Kämpfe sahen auch die Militärexperten des in den USA angesiedelten Institute for the Study of the War (ISW). Es gebe Anzeichen, dass die russischen Truppen die Verschnaufpause beendeten, die sie nach der Einnahme des Ballungsraums Sjewjerodonezk/Lyssytschansk eingelegt haben, heißt es in der Analyse des ISW am Samstag. Derzeit handle es sich noch um kleinere Gefechte. "Wenn die operative Pause tatsächlich zu Ende ist, werden die Russen wahrscheinlich in den nächsten 72 Stunden ihre Angriffe fortsetzen und verstärken", so die Experten weiter.

Seit knapp fünf Monaten führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nach anfänglichen Misserfolgen im Norden des Landes konnten die russischen Truppen später durch massiven Artillerieeinsatz im Donbass Geländegewinne erzielen und die für Moskau symbolisch wichtige Eroberung des Gebiets Luhansk vermelden. Durch den Einsatz der Himars-Raketenwerfer auf ukrainischer Seite musste das russische Militär in den vergangenen zwei Wochen allerdings empfindliche Rückschläge einstecken, weil hochrangige Kommandopunkte sowie Munitions- und Waffendepots im besetzten Hinterland zerstört wurden.

Vereinigtes Königreich warnt vor falschen Angaben

Angaben über russische Erfolge sind nach Ansicht britischer Geheimdienstexperten mit Vorsicht zu genießen. Russland habe zum wiederholten Mal falsche Angaben zu angeblichen Erfolgen bei seiner Invasion in die Ukraine gemacht, hieß es in dem täglichen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg des Verteidigungsministeriums in London am Samstag. Umfang und Ausmaß russischer Vorstöße seien weiterhin begrenzt. Die Behauptung der Russen vor einigen Tagen, sie seien in die Stadt Siwersk vorgestoßen, seien nicht wahr gewesen.

"Russland hat auch zuvor voreilige und falsche Behauptungen über Erfolge gemacht", hieß es in der Mitteilung weiter. Grund dafür sei wohl zumindest teilweise der Wunsch, der Bevölkerung zuhause Erfolge vorzuweisen und die Kampfmoral der eigenen Truppen zu stärken.

Die Ukrainer hätten hingegen seit dem Rückzug aus der Stadt Lyssytschansk erfolgreich russische Angriffe zurückgeschlagen, so die Angaben der britischen Experten. Die Verteidigungslinie sei seitdem verkürzt und gestärkt worden, was sich als wesentlich erwiesen habe, um der russischen Offensive den Schwung zu nehmen. (APA, 16.7.2022)