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Harry Styles live im Rahmen seine "Love on Tour" 2022. In Wien waren keine Fotos erlaubt.

Foto: Getty Images

Das euphorische und wirklich durch Mark und Bein gehende Kreischen von 11.000 meist sehr jungen Besucherinnen in der Wiener Stadthalle deutet schon vor dem Konzert darauf hin, dass Harry Styles längst schon im Ernst-Happel-Stadion im Prater besser aufgehoben wäre. Der britische Sänger gastierte dort bereits 2015 mit seiner damals enorm erfolgreichen Boyband One Direction vor 45.000 Fans – und etwas weniger enthusiastischen Eltern. Heute sind einige Fans vielleicht schon selbst Eltern – oder sie brauchen zumindest keine Begleitpersonen mehr.

Das hier in der bis auf den letzten Platz ausverkauften Stadthalle ist nicht länger nur das kindliche Kreischen für eine Boyband oder ein Kreischen für Synchrontanz-Pop der Marke Justin Bieber oder Justin Timberlake. Wir haben es mit einem erwachseneren Kreischen zu tun. Aufgeregte Hysterie wird zur genüsslichen Euphorie. Immerhin befindet sich der 28-jährige Brite auf bestem Weg, weltweit zum aktuell größten aller Popstars aufzusteigen. Das zeigen auch die 20 Meter langen Warteschlangen vor den T-Shirt-Ständen in der Stadthalle. Bittere Tränen gab es vor dem Konzert leider auch. Einige Dutzend Fans mussten vor der Halle abgewiesen werden. Im Internet waren über eine seriös wirkende Plattform letzte Restplatztickets verkauft worden.

Sympathisch und bestgelaunt

Ursprünglich hätte Harry Styles schon vor zwei Jahren in der Stadthalle gastieren sollen. Aus den bekannten Gründen stellt der sympathische junge Mann nun sein aktuell bereits drittes Soloalbum in Wien vor. Es nennt sich Harry’s House und wird mit sechsköpfiger, paritätisch besetzter Begleitband live relativ unspektakulär, aber druckvoll auf die Bühne gebracht. Großartige Showeffekte wären schließlich die falsche Investition gewesen. Der knapp zweistündige Auftritt wird neben wenigen optischen LED-Effekten ohnehin vom Charisma des schlaksigen, wirklich sehr sympathischen und bestgelaunten Sängers, den dazugehörigen Kamera-Close-ups für die hinteren Ränge und einem Laufsteg hinein ins Publikum getragen.

Nach einer Wiener Konzertwoche, die mit The Killers, Guns N’Roses und The Rolling Stones eher der Gleitzeit von den Best Agern über die Frührentner bis zu den Greisen gewidmet war, ist es jedenfalls erfrischend zu sehen, dass auch junge Menschen erfolgreich Musik machen können.

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Der quirlige, wie sonst nur der 50 Jahre ältere Mick Jagger über die Bühne sprintende Harry Styles setzt im Gegensatz zu den oft ein wenig glatt produzierten Songs seiner bisher drei Soloalben live also auf mehr Druck. Mitunter brettert seine fröhliche, nette und an Größen wie George Michael oder Robbie Williams geschulte Mischung aus Pop und Soulelementen, etwa im Song Medicine, Richtung Rock.

Als zentrale Botschaft verkündet der für alle Generationen taugliche freundliche und skandalfreie Popstar das große Miteinander und die Inklusion. Der sich sexuell nicht eindeutig deklarierende Harry Styles, das zeigt auch die in den Regenbogenfarben leuchtende Bühne, unterstützt die LGBTQI-Szene und steht für Offenheit und Toleranz.

Auch in Wien wird sich Harry Styles, der sich in seinen Songtexten mit politischen Botschaften allerdings schwerstens zurückhält und mehr auf ein gutes Gefühl bezüglich der Gesamtsituation setzt, aus vollem Herzen für die Verbesserung der Lebensumstände einer Besucherin starkmachen. Die junge Frau hält ein Schild hoch, auf dem steht: "Help me come out please." Harry macht das mit wehender Pride-Flagge ebenso sehr gern, wie er sich in Wien auch noch als Paartherapeut betätigt und das Publikum dazu aufruft, sich in guter Stuhlkreistradition und Familienaufstellung gegenseitig die Hände zu geben und zu versichern, dass man sich liebt.

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Vielleicht ist das dann ein wenig zu viel des Guten. Vielleicht aber brauchen wir das alle derzeit auch. Das Kreischen im Saal wird diesbezüglich jedenfalls nicht weniger. Im Bereich der Popmusik in Stadiongröße, das zeigt das Publikum mit seinen Reaktionen eindeutig, werden das Testosteron und männliche Aggression in Zukunft entschieden zurückgefahren werden. Songs von Harry’s House wie Music for a Sushi Restaurant oder Cinema kommen live mit zünftig reingrätschender Gitarre trotzdem deutlich schärfer über die Bühne als auf dem Album. Das Publikum singt das gesamte Konzert völlig aus dem Häuschen mit.

Sein großer Themensong wird allerdings Treat People With Kindness bleiben. Der stammt vom etwas mehr als derzeit mit Popversatzstücken aus den 1970er- und 1980er-Jahren wie David Bowie, Queen und Fleetwood Mac spielenden Album Fine Line von 2019. Darin heißt es: "Maybe we can find a place to feel good and we can treat people with kindness." Nett zueinander sein, Spitzenidee! Zeitlos. Diese Botschaft bedeutet 2022 nicht nichts.

Und auch der Song Watermelon Sugar dient im Zugabenblock dem Miteinander. Es geht darum, dass sich Harry oral zwischen den Beinen einer Geliebten versenken und den Geschmack des Sommers auskosten möchte. Hoffentlich lesen das jetzt keine Eltern. Harry Styles. Guter Typ. Geile Party. Kreisch! (Christian Schachinger, 17.7.2022)