"Ich habe mich auf das in dieser Form nicht vorbereitet", beteuerte ein überrumpelter Wolfgang Sobotka. Der türkise Nationalratspräsident ist für gewöhnlich Vorsitzender im ÖVP-U-Ausschuss. Vergangene Woche war er allerdings als Auskunftsperson geladen und wurde unter anderem über mutmaßliche Postenschiebereien im Polizeiapparat während seiner Zeit als Innenminister befragt. Gegen Ende der Sitzung brachte die Fraktionsführerin der Neos im Ausschuss, Stephanie Krisper, noch ein für Sobotka unerwartetes Thema auf.

Krisper befragte den langgedienten ÖVP-Politiker zur bisher größten Ermittlungsaktion gegen den sogenannten politischen Islam in Österreich: der Operation Luxor. Im Zuge dieser fanden eine Woche nach dem Terroranschlag am 2. November 2020 in Wien landesweit dutzende Razzien gegen mutmaßliche Muslimbrüder und angebliche Mitglieder der terroristischen Hamas statt. Knapp 100 Beschuldigte – teils natürliche Personen, teils Verbände – stehen seither unter Terrorverdacht. Nach eineinhalb Jahren kann die zuständige Staatsanwaltschaft Graz aber bisher keinen nennenswerten Ermittlungserfolg vorweisen. Vielmehr wurden in einigen Fällen die Razzien bereits für rechtswidrig befunden.

Will der Frage nachgehen, wie es zur Operation Luxor kam: die Neos-Fraktionsführerin im U-Ausschuss, Stephanie Krisper.
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Was von der Operation Luxor übrigbleibt, ist auch deshalb relevant, weil sie indirekt Auswirkungen auf das Attentat in Wien gehabt haben könnte. Wegen der Ermittlungen wurde im November 2020 eine Gefährderansprache des Terroristen K. F. verschoben, der vier Menschen töten und etliche weitere verletzen sollte. Zuvor flossen 21.000 Observationsstunden in die Operation Luxor. Allein eine halbe Million Euro an Steuergeld kostete das Abhören dutzender Telefongespräche. Währenddessen organisierte sich K. F. mitten in Wien unbehelligt eine Kalaschnikow. Für Krisper stellt sich in diesem Kontext die Frage der Verhältnismäßigkeit.

Und was hat Sobotka aus Krispers Sicht damit zu schaffen? Dafür muss man in das Jahr 2017 zurückblicken. Wie heute bekannt ist, planten Altkanzler Sebastian Kurz und seine türkise Truppe damals akribisch ihren Einzug ins Bundeskanzleramt. Sämtliche Schritte wurden im sogenannten Projekt Ballhausplatz festgehalten. Darin findet sich neben strategischen Grundlagen auch ein Unterpunkt, der "Muslimbruderschafts-Studie & Salafisten-Studie (in Planung)" heißt.

Auch in dem "Projekt Ballhausplatz", dem Fahrplan des türkisen Teams um Altkanzler Sebastian Kurz aus dem Jahr 2017, wurde der Muslimbruderschaft ein eigener Punkt gewidmet.
Foto: Projekt Ballhausplatz/ÖVP

Eine Studie zur Muslimbruderschaft wurde dann auch im Wahlkampf 2017 veröffentlicht. Auf diese bezogen sich später die Ermittler in der Operation Luxor. Verfasst hat sie der Extremismusforscher Lorenzo Vidino von der George-Washington-Universität, den Krisper "dem Umfeld der rechtsstehenden Republikaner aus den USA" zurechnete. Zur Co-Finanzierung von 80.000 Euro trug vor allem der Integrationsfonds bei, 10.000 Euro steuerte der Verfassungsschutz bei, der dem Innenministerium untersteht. Und Sobotka dachte kurz darauf in Interviews laut über einen neuen Inlandsgeheimdienst nach, der auch Netzwerke wie die Muslimbruderschaft "detektieren" könnte.

Anhand dieser Chronologie deutet für Krisper viel darauf hin, dass der Fokus auf die Muslimbruderschaft ins türkise Narrativ gepasst hatte. Daher wollte sie bei der Befragung wissen, wie es zur Operation Luxor gekommen war. Aber der Ex-Minister war nicht hilfreich. Er höre den Namen "Lorenzo Vidino oder Videno das erste Mal", erklärte Sobotka. Er wisse nicht, wer die Studie bezahlt oder wer kooperiert habe. "Ich habe ein Gesicht vor mir, und das ist es."

Sobotka will keine "Geheimnisse" verraten

Im Verlauf der Fragerunde wurde Sobotka dann geheimnisvoll. Die Muslimbruderschaft sei eine "in Europa im Untergrund agierende Gruppierung, die nach außen hin oft sehr harmlos auftritt, aber ein klares System hat", sagte der Ex-Minister. Mehr wolle er in einer öffentlichen Sitzung dazu nicht sagen. "Aber ich bin gerne bereit, in nichtöffentlicher Sitzung etwas zu sagen, um nicht Geheimnisse zu verraten –, (da) die (die Gruppierung, Anm.) auch heute dementsprechend im Augenmerk der Sicherheitsorgane ist", erklärte Sobotka.

Wie es zur Operation Luxor kam, sei Sobotka nicht mehr erinnerlich. Die Bruderschaft stehe nicht erst seit seiner Ministerzeit im Fokus. Sobotka wollte aber nicht gelten lassen, dass die Aktion per se unrechtmäßig gewesen sei oder fahrlässig gehandelt worden sei. "Wenn die Gerichte dann eine andere Meinung und ein anderes Urteil fällen, ist das zu respektieren."

Interessant ist auch, dass sich Sobotka speziell auf Ägypten bezog, als er von der Muslimbruderschaft "als krimineller Organisation" sprach. Denn in den Fällen von ein paar Beschuldigten kooperierten die österreichischen Behörden laut Luxor-Akt mit Interpol Kairo. Im Gegensatz zur Europäischen Union und Österreich gilt die Muslimbruderschaft in Ägypten als Terrorgruppe. Hierzulande sind nur ihre Symbole verboten. Auch das Oberlandesgericht Graz befand den pauschalen Terrorvorwurf in den Luxor-Ermittlungen als unzulässig. Deutsche Verfassungsschützer sehen in der Bruderschaft eine verfassungsfeindliche Organisation, die mit einem "Marsch durch die Institutionen" versuche, einen Staat nach islamischen Normen zu etablieren.

Inhaltlich Relevantes zur Operation Luxor lieferte Sobotka nicht. Der Ex-Minister sah sich nicht imstande, ohne Akten vor Augen konkrete Angaben zu machen. Genau diese forderte nun Neos-Abgeordnete Krisper gemeinsam mit der SPÖ und den Freiheitlichen aus dem Innen- und Justizressort an. Die beiden Beweismittelanträge wurden angenommen.

Bestellung der Gutachter wird Thema im Herbst

In der Herbstrunde des U-Ausschusses sollen zwei Stränge besprochen werden: Zum einen die Medienarbeit des Innenministeriums an jenem 9. November 2020, an dem die Razzien stattfanden. Die Operation Luxor wurde damals groß inszeniert. Unter anderem ließ sich Ex-Ressortchef Karl Nehammer dafür mit schwerbewaffneten Cobra-Beamten ablichten.

Zum anderen wollen sich SPÖ, FPÖ und Neos mit der Bestellung des Gutachterduos der Operation Luxor beschäftigen. Dieses wurde erst kürzlich wegen des Anscheins der Befangenheit abberufen. Die Oppositionsparteien vermuten eine Nähe eines Sachverständigen zu Institutionen mit ÖVP-Nähe, wie es in den Anträgen heißt. Jener Gutachter, Heiko Heinisch, sei 2020 in den Beirat der Dokumentationsstelle Politischer Islam aufgenommen worden – ein türkises Prestigeprojekt. Und Heinisch präsentierte im Wahlkampf 2017 gemeinsam mit dem späteren Kanzler Sebastian Kurz etwa auch eine Moscheenstudie im Auftrag des Integrationsfonds.

Und was sagt Heinisch dazu? Der Historiker betont, nicht nur für ÖVP-Institutionen gearbeitet zu haben, sondern für diverse Ministerien. Und im Auftrag der Neos in Linz habe er im letzten Jahr eine Moscheenstudie durchgeführt. Darüber hinaus kritisiert er Krispers Rolle in einer Dokumentation des katarischen Regierungssenders Al Jazeera über die Razzien. Darin deute Krisper an, dass die Operation Luxor auf Veranlassung ausländischer Mächte erfolgt sei. Damit übernehme Krisper laut Heinisch den Spin der Muslimbruderschaft. (Jan Michael Marchart, 18.7.2022)