Ein Aussetzen des Valorisierungsgesetzes sieht Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) derzeit nicht.

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Wenn die Stadt Wien bekanntgibt, die Gebühren für Müllentsorgung, Wasserversorgung und Kanal zu erhöhen, dann ist das gemeinhin Anlass für hitzige Debatten. Fällt die Ankündigung mitten in eine bisher nie da gewesene Teuerungswelle, birgt das naturgemäß zusätzlich Zündstoff. Das bekommen dieser Tage Bürgermeister Michael Ludwig und seine Partei, die SPÖ, kräftig zu spüren: Die Opposition ist erzürnt, der Boulevard erregt.

Am Wochenende ließ der Wiener Stadtchef in der "Kronen Zeitung" mit der Ansage aufhorchen, dass die Preise für kommunale Dienstleistungen für das Jahr 2023 wie gesetzlich vorgesehen valorisiert werden sollen. Wie gesetzlich vorgesehen bedeutet: Ist der Verbraucherpreisindex (VPI) seit der letzten Gebührenerhöhung um mehr als drei Prozent gestiegen, werden die Preise erhöht – ansonsten nicht. So ist es im Wiener Valorisierungsgesetz fixiert. Zuletzt kam dieses im Vorjahr zur Anwendung – die Müll-, Wasser- und Kanalgebühren wurden mit 1. Jänner 2022 erhöht. Angesichts der hohen Inflationsrate ist davon auszugehen, dass dies nun erneut geschieht.

Ludwig sieht kein Aussetzen

Allerdings kann dieser Automatismus theoretisch auch umgangen werden. Die Stadt kann das Valorisierungsgesetz per Gemeinderatsbeschluss aussetzen und so auf die Preissteigerungen verzichten. Genau das will Ludwig aber nicht tun. Von der "Kronen Zeitung" danach gefragt, ob er die Gebührensteigerung aussetzen werde, sagte der Stadtchef: "Das sehe ich derzeit nicht." Er begründete dies mit der Notwendigkeit, Personalkosten abzudecken oder in erneuerbare Energien zu investieren.

Ein Sprecher Ludwigs formuliert es im Gespräch mit dem STANDARD so: "Die kommunalen Dienstleistungen müssen kostendeckend arbeiten. Würde man die Anpassung an die Inflation nicht vornehmen, müsste der Einnahmenentfall irgendwie abgedeckt werden." Soll heißen: Die Stadt müsste das Geld im Haushalt anderswo auftreiben.

Entscheidung im August

Welche Mehrkosten konkret auf die Wiener Haushalte zukommen, ist noch offen. Ausschlaggebend dafür ist der VPI vom Juni, die Daten liegen aber noch nicht vor. Im August soll es so weit sein, Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) hat bereits im Frühling Gespräche mit Ludwig angekündigt. Hanke gab sich damals deutlich zurückhaltender als nun der Bürgermeister: Man müsse erst beraten, ob die Valorisierung komme oder nicht, erklärte der Stadtrat damals.

Zur Orientierung, wie viel mehr künftig zu bezahlen ist, kann die heurige Gebührenerhöhung herangezogen werden. Die ausschlaggebende VPI-Steigerung im Juni 2021 betrug 5,2 Prozent. Ein durchschnittlicher dreiköpfiger Haushalt zahle seither monatlich 2,45 Euro mehr für die entsprechenden Leistungen, heißt es seitens der Stadt. Laut einer Schnellschätzung der Statistik Austria wird das Plus im Juni 2022 rund neun Prozent betragen.

Argumentativ bringt die Gebührenerhöhung die SPÖ jedenfalls in Bedrängnis – und zwar erneut innerhalb kurzer Zeit. Während Parteichefin Pamela Rendi-Wagner eine Senkung der Mehrwertsteuer und Preisdeckel fordere, kassiere das Rote Wien ordentlich, lautet die Kritik. Diese ist bereits gut eingeübt: Als die städtische Wien Energie im Juni eine Erhöhung der Fernwärmepreise ankündigte, war der Tenor ähnlich. Doch wie sinnvoll wäre eine Aussetzung des Valorisierungsgesetzes tatsächlich? Und welche Alternativen hätte die Stadt?

Experten warnen vor der Gießkanne

Die Stadt stehe vor einem betriebswirtschaftlichen und politischen Problem, sagt Stephan Leixnering vom Institut für Urban Management an der Wirtschaftsuniversität Wien. Das betriebswirtschaftliche Problem bestehe darin, dass die kommunale Daseinsvorsorge bestimmte Aufwände habe, in der gegenwärtigen Situation aber potenziell weniger Einnahmen. Diese gelte es auszugleichen: über Schulden bzw. Einsparungen an anderer Stelle im Haushalt oder eben über Gebührenerhöhungen. Dazu komme das politische Problem: der Anspruch, die Bevölkerung in der Krise zu entlasten.

Leixnering bezweifelt, dass ein Aussetzen der Preissteigerungen bei den Gebühren die ideale Lösung für diese beiden Herausforderungen wäre. "Das ist sozial nicht die treffsicherste Variante, sondern wäre eine relativ pauschale Entlastungsaktion." Sein Kollege Thomas Kostal vom Institut für Volkswirtschaft pflichtet ihm bei: "Gießkanne ist immer das Schlechteste."

Erhöhung über die Zeit verteilen

Er sieht aber zwei alternative Auswege. Erstens: "Man kann sich überlegen, die Gebührenerhöhungen über die Zeit zu verteilen". Das würde bedeuten, dass 2023 nicht die volle, sondern nur ein Teil der Erhöhung schlagend wird und der Rest erst in den nachfolgenden Jahren. Hintergrund dieser Idee sei die Annahme, dass die Teuerung nicht ewig zunehme, sondern sich nach einer gewissen Zeit auf ein bestimmtes Level einpendeln könnte.

Zweitens plädiert Kostal dafür, die Basis der Gebührenerhöhung zu hinterfragen. "Wenn der VPI steigt, muss das nicht heißen, dass die Kostenstruktur in der kommunalen Daseinsvorsorge um den gleichen Wert gestiegen ist", sagt der Volkswirt. Treiber des VPI seien gegenwärtig die hohen Strom- und Gaspreise: "Man müsste sich anschauen, ob diese im Wasser-, Abwasser- und Abfallbereich relevante Kostentreiber sind."

Klar ist für Kostal allerdings auch: "Im Endeffekt wird jemand die Rechnung begleichen müssen." (Stefanie Rachbauer, 18.7.2022)