Der wuchtige Picknickkorb scheuert mit seiner harten, geflochtenen Kante beim Tragen mit jedem Schritt in meinen rechten Hüftknochen. Die Wetter-App spuckt 33 Grad aus, eine drückende Schwüle hat die Stadt fest im Griff – Regen ist angesagt, vereinzelte Tropfen plätschern schon auf uns herab. Bestes Wetter, um draußen zu essen.

Es entspricht null meiner romantischen Vorstellung eines Picknicks, in der perfektes Wetter herrscht, eine sanfte Sommerbrise über die Wiese weht, man in Weiß gehüllt und vom Prosecco beschwipst auf einer überdimensionierten Decke sitzt, die zugestellt ist mit Schüsseln voller Fingerfood, Aufstrichen, Obst und Knabbereien. In Wahrheit ist auf der Decke entweder Platz für die Menschen oder fürs Essen – aber nicht für beides. Ich weiß auch nicht, wem eingefallen ist, dass am Boden zu sitzen Spaß machen soll – nach zehn Minuten tut mir schon alles weh.

Picknick im Grünen: Macht es wirklich Spaß, am Boden zu essen?
Foto: Kevin Recher

Essen auf Gräsern

Die meisten regensicheren Sitzplätze im Stadtpark sind bereits von Touristen, Jugendlichen und Obdachlosen besetzt. Unter einer Weide hebt sich ein wahnsinnig unglücklich dreinschauendes Paar von ihrem Platz, den wir gleich einnehmen. Etwas, das sich nach Streit anhört, dringt nach wenigen Sekunden zu mir und meinem Freund.

Aus den Körben hole ich Essen, das wir bei zwei Lokalen bestellt haben. Während der vielen Corona-Lockdowns kamen Gastrobetriebe auf die Idee, nicht nur Essen to go anzubieten, sondern dies gleich als kleines Event, eben als Picknick, zu inszenieren. Dabei ist die Idee, draußen zu jausnen, nicht neu. Bereits der römische Adel picknickte – am liebsten nach der Jagd. Auch im Japan des achten Jahrhunderts strömte der Hof im Frühling mit Essen zur Kirschblüte. Der Begriff selbst wurde Mitte des 17. Jahrhunderts in Frankreich geprägt. Dort hat man sich zunächst aber im Salon getroffen und kleine Speisen "angepickt". Erst zwei Jahrhunderte später meinte man damit das Gelage im Grünen. Wirklich in Verbindung bringt man mit Picknick ja eigentlich die Briten: Schon Elizabeth I ist auf einem Holzschnitt von 1575 mit Picknickdecke und Fingerfood zu sehen. Groß in Mode kam es aber erst unter der Herrschaft von Queen Victoria. Da traf sich die High Society am Rande von Cricketmatches und Regatten zum Picknick. In Großbritannien wurde auch der Hamper erfunden, jener aus Weide geflochtene Korb, in dem Essen und Geschirr gleichermaßen Platz hat – und auch unser Picknick begleitet.

Opulente Picknickkörbe gibt es zuhauf: Welcher aber ist zu empfehlen?
Foto: Kevin Recher

Körbe im Test

Zuerst probieren wir die viel zu gesund klingende Jause des Health-Food-Lokals Hidden Kitchen – zum Beispiel Dinkel-Tabouleh und Baby-Spinat mit Pink-Tahina. Den Veganer freut’s. Die Speisen sind praktisch in kleinen Kartonboxen angerichtet, um sie im Sitzen essen oder teilen zu können. Zwei kleine Flaschen mit sehr säuerlichem Prosecco trinken wir zu fein gewürzten Lauch-Quiches. Dazu gibt es Babykartoffeln mit wunderbarem Marillensenf und bissfestem Kichererbsensalat – manche würden sagen, zu wenig gekocht –, dessen Moussaka-Würze stärker hätte ausfallen können. Als Hauptgericht kann zwischen einer Fleischoption und einer vegetarischen gewählt werden, für mich gibt es Hühnerkeulen in einer sehr milden Chili-Sauce. Kirschsaft und Kuchen runden den 50-Euro-Korb ab, Besteck ist dabei, eine Decke nicht.

Decke, Tischdecke, Porzellanteller, Gabeln, Messer, Weingläser und sogar Minisalz und -pfefferstreuer sind dagegen im opulenten Korb des Schwarzen Kameels, dem Schickeria-Treffpunkt Wiens, enthalten – hier werden eben die schweren Geschütze aufgefahren. Die Devise ist klar: Man will sein Gegenüber beeindrucken und sich selbst etwas gönnen. 95 Euro für eine Outdoor-Jause muss ja auch etwas bieten. Dabei wird ziemlich stark auf Fleisch gesetzt: Feiner Prosciutto reiht sich an würzigen Salami-Variationen, dazu gibt es saftigen Beinschinken, der Kren dazu beißt in den Augen. Thunfischaufstrich und Fleischsalat sind beide gut gewürzt, aber viel zu viel für zwei Personen, die reichen noch für Tage danach. In der Isoliertasche liegt das warme Kalbsschnitzel inmitten von Zitronenspalten. Noch keine Spur von Labbrigkeit, nur etwas Salz fehlt für den perfekten Geschmack.

Schnitzel vom Boden

Ja, es gibt zartes Schnitzel im Park, und ich muss es am Boden sitzend essen. Praktisch ist das bei aller Liebe nicht. Wie schafft man das, wenn nicht in einer Semmel? Ich hebe ein Stück Fleisch auf den Villeroy-&-Boch-Porzellanteller. Mit meinen 1,90 muss ich mich schon wie ein Schlangenmensch verbiegen, um ordentlich essen zu können. Immer wieder fällt mir Panier oder gleich das ganze Stück von der Gabel, viel zu oft landet es auf der Decke oder meiner Hose. Ob sich Königin Victoria bei ihrem royalen Picknick auch so schwergetan hat?

95 Euro kostet der Picknickkorb im Schwarzen Kameel. Die Isoliertasche hält das Schnitzel warm.

Foto: Lukas Friesenbichler/ Tobias Burger

Mittlerweile hat es sich in der Nähe eine Gruppe Jugendlicher bequem gemacht, sie spielen Deutsch-Rap über ihre Musikbox. Der Prosecco macht das etwas erträglicher. Die Leute im Park schauen uns immer wieder stirnrunzelnd an, ob aus Neugier oder Abwertung, weiß ich nicht. Aber seltsam mutet es allemal an, wenn zwei Männer in schicken Leinenhosen und gemusterten Hemden im Park feinstes Porzellan auspacken.

Blauer Fleck

Nach den Desserts kratzen wir die Reste, so gut es geht, vom Geschirr, um die Körbe innen nicht komplett vollzusauen. Ein paar Ameisen werden miteingepackt. Auch wenn sich der zweite Krampf des Abends im linken Bein ankündigt, hat sich ein idyllisches, gar intimes Gefühl eingestellt. Mit einem Date würde man sich auf der kleinen Decke näherkommen, mit Freunden kann ungehindert getratscht werden, ohne dass jemand in unmittelbarer Hörweite sitzt. Der Sommer, die gemeinsame Zeit im Freien, gehört genutzt, so gut es geht, auch wenn das Wetter nicht immer mitspielt. Man muss dafür ja nicht immer ausgiebig picknicken, eine Flasche Sekt und ein Packerl Chips tun es zur Not auch. Aber praktisch ist es, wenn die gesamte Vorbereitung wegfällt. Und warum nicht das Abendessen mal in den Park verlegen? Ein Lokalbesuch kostet ähnlich viel und ist immer möglich. Dazu gehört je nach Korb ein wenig Planung – manche Körbe muss man Tage vorher buchen – ebenso wie die Ernüchterung, dass nicht alles schmeckt. Saft und Wein nach eigenem Geschmack einzupacken schadet sowieso nie. Den Korb selbst befüllen geht immer, Tipps dazu gibt es in der Infobox. Egal, wie man es macht: Vom Picknick hat man länger etwas. Die Restln halten tagelang, und wo der Korb gegen meinen Hüftknochen scheuerte, bleibt mir ein blauer Fleck. (RONDO, Kevin Recher, 21.7.2022)