Lizzo bei einer Playback-Präsentation ihres neuen Albums "Special". Dieses hält ein paar eingängige Popsongs bereit, für so etwas wie einen eigenständigen Charakter reicht es nicht, dafür rühren zu viele Köche im Brei.

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Mit so einem Einstand bekommt man in manchen Etablissements ungeschaut was auf die Nase. "Hallo Mutterschänder, habt ihr mich vermisst?" Dergestalt erkundigt sich die US-Sängerin Lizzo auf ihrem neuen Album nach dem Befinden ihres Publikums. Das besteht neben den Motherfuckers geschlechtergerecht auch aus Bitches; und es hat im Falle der Lizzo etwas Adelndes, von ihr derart adressiert zu werden. Zumindest quietschen auf dem eben erschienenen Album Special alle zufrieden zurück, wenn es Bitches aus ihren Lippen regnet, und das tut es. Ihr Spruch kulminiert schließlich im Song I Love You Bitch, das klingt, wie von Lionel Richie ohne Schnurrbart gesungen.

Lizzo ist so eine Art fleischgewordene Gute-Laune-Botschafterin des Mainstream-Pop. Diese Haltung ist hart erarbeitet. Denn der als Melissa Viviane Jefferson 1988 in Detroit geborenen und später in Texas aufgewachsenen Musikerin wurde der goldene Löffel nicht direkt nachgetragen.

Leben im Schrottauto

Das College hat sie abgebrochen, ihr Vater und größter Förderer starb, als sie 21 war. Zeitweise lebte sie danach in ihrem schrottigen Subaru, bevor es sich über einen Umweg nach Minneapolis und ein Studium der queren Flöte mit der Musik doch noch irgendwie ausging. Diese Flöte ist im Formatradio-Pop ein eher wenig präsentes Gerät, weshalb Lizzo es meistens nur live und da eher gimmickhaft einsetzt.

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Das selbstreferenziell und im Sinne der von ihr propagierten Selbstliebe Special betitelte neue Werk ist der vierte Longplayer der Mittdreißigerin. Es ist selbstverständlich positiv gepolt, denn dafür steht Lizzo. Als dickes Kind musste sie viel Spott ertragen, heute gilt sie als prominente Vertreterin der Body-Positivity.

Das bedeutet, dass man sich selbst als XXXL-Größe super und geil und leiwand fühlt, egal, was die Blutwerte sagen oder der Arzt behauptet. Damit hat sie nicht nur in den USA ein big Publikum.

Gesellschaftspolitische Figur

Lizzo ist kraft ihres Erfolgs eine gesellschaftspolitische Figur geworden. Eine, die zwischen Ulknudel und heiteren Anzüglichkeiten politische Anliegen formuliert, die ihr aufgrund ihrer Biografie bereitwillig abgekauft werden.

Lizzo Music

Nach dem skandalösen Supreme-Court-Urteil, das den Zugang zur Abtreibung in den USA massiv erschwert, hat sie eine halbe Million Dollar an den Verein Planned Parenthood gespendet. Ihre Nächstenliebe geht so weit, dass sie sogar den Text ihres Songs Grrrls änderte. Darin kam der Begriff "Spaz" vor, eine Kurzversion für eine spastische Bewegungseinschränkung. Nachdem sich eine Behindertenorganisation darüber beschwert hatte, änderte sie flugs den Text, weil offended wird bei Lizzo zwar reihenweise, aber nicht, wer von der Natur benachteiligt wurde.

A-Team der Mainstream-Produzenten

Musikalisch kredenzt sie derlei kantenlos und süffig wie eine Gallone Eistee. Um Lizzo von der Oberliga in die Champions League zu hieven, wurde für Special das A-Team der Mainstream-Produzenten angeheuert: Nicht zwei, drei sind damit gemeint, nein. Über zwei Dutzend sind es, darunter Erfolgsgaranten wie Max Martin, Mark Ronson oder Omer Fendi. Sie decken einen Bereich ab, der vom funkigen Disco-Pop bis in Richtung Singer-Songwritertum reicht.

Lizzo Music

Dabei fallen kurzweilige Ergebnisse ab wie 2 Be Loved (Am I Ready) – das ist eine Art gesungenes Selbsthilfegruppentreffen zum Thema Eigenliebe, das klingt, als hätte es Olivia Newton-John zur hohen Zeit des Aerobic schon in ihren Glitzerleggings gesungen. Die bereits länger kursierende Single About Damn Time ist edelster Schablonen-Funk, dem Lizzo etwas Persönlichkeit verleiht, das ja.

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Es klingt aber dennoch wie das Produkt aus übel beleumundeter Massenhithaltung. An ihre Grenzen stößt Lizzo schließlich, wenn sie ausgerechnet im Balladenfach mit Sprechgesang zu punkten sucht. Das gelingt ihr mit viel Einsatz und Aufwand – nicht. Ebenfalls im Rohr krepiert Break Up Twice.

Das beginnt vielversprechend wie ein Girlgroup-Song aus den Sixties, kommt aber nicht und nicht in die Gänge. Am besten funktionieren die sich an klassische Formate haltenden Titel wie die streitbare Disconummer Everybody’s Gay. Aber da stellt sich natürlich die Frage: Geht man zum Schmied oder zum Schmiedl? Das titelgebende Versprechen, Special zu sein, verendet letztlich als Behauptung, den Beweis bleibt sie schuldig. (Karl Fluch, 18.7.2022)