Der erste Eindruck ist immer der optische. Schönes Auto. Sehr schönes sogar. Da versteht man, warum Geely Chefgestalter Thomas Ingenlath, auf dessen ästhetisch hochkarätigen Einsatz auch sämtliche aktuellen Volvos zurückgehen, gleich zum Firmenchef gemacht hat.

Polarstern. Begann seine Laufbahn am automobilen Sternenhimmel als Polestar Engineered, also in der Performance-Ecke von Volvo, vergleichbar M bei BMW oder AMG bei Mercedes. Inzwischen ist das aber eine der angesagtesten E-Auto-Marken, und der Ausbau der Palette schreitet zügig voran, Polestar 3 (SUV), 4 (SUV-Coupé) und 5 (GT) scharren schon in den Startlöchern.

Hier und jetzt sitzen wir in einem 2er, Long Range Single Motor, und weil im Bordcomputer 440 km Reichweite bei vollem Ladestand steht, probieren wir das gleich einmal auf der Langstrecke aus und sehen uns an, wie verlässlich diese Ansage denn im wirklichen Leben ist. Da erlebt man ja oft ernüchternde Überraschungen, aber, das gleich vorweg, in dem Fall nicht: Die nordischen Strom-Kilometer schmelzen langsamer als das Grönlandeis und vor allem: als befürchtet.

Attraktive Erscheinung, der 2er – und wie wichtig das Aussehen genommen wird, belegt der Umstand, dass Designchef Thomas Ingenlath zugleich auch Markenchef ist.
Foto: Stockinger

Abfahrt Wien, zum Ziel westlich von Linz sind es rund 240 km, dann wieder retour und erster Ladestopp beim Ionitiy-Schnelllader in St. Valentin, noch mal gute 80 km dazu. Geht. Sich. Locker. Aus. Da wäre auch der direkte Hüpfer Wien Innenstadt nach Salzburg Zentrum drin gewesen, für viele die Referenzstrecke, ab der sie Elektromobilität für praktikabel empfinden.

Unsere Herangehensweise kurz erläutert: unter sommerlichen Temperaturen, 25 Grad hat es draußen, Klimaanlage nicht im Eco-Modus, sondern wie bei jedem konventionell angetriebenen Auto im normalen. Man will schließlich kühlen Kopf bewahren. Auf der Autobahn nicht Schleichfahrt, sondern im in Österreich üblichen Tempo, sprich: Tempomat 140 km/h.

Long Range, der Hinweis stimmt schon einmal. Single Motor auch. Leistet statt der üppigen 300 kW im Allradler (Dual Motor) 170, 330 Newtonmeter Drehmoment stehen zudem von Beginn weg an, und statt 205 km/h ist die Höchstgeschwindigkeit hier auf 160 beschränkt. 7,4 Sekunden von null auf 100 signalisieren: etwas geruhsamer als die spiegelverkehrten 4,7 beim Dual. Flott bewegen lässt er sich aber allemal. Und, kleines Polestar-Spezifikum: Im Retourgang piepst er wie ein Laster, allerdings viel leiser.

Bitte nicht durchdrehen

Die Nachteile des Fronttrieblers sind aber auch evident. Es kommt nicht nur bei feuchtem Untergrund gerne einmal zu Traktionsverlust, die Lenkung wirkt, auch wegen der durchkommenden Antriebskräfte, mitunter ein wenig unsauber, und dies in allen drei einstellbaren Stufen. Auch der Einschlag ist nicht berühmt (Wendekreis: 11,5 m).

Das Fahrwerk ist prinzipiell gekonnt abgestimmt, mit 1994 kg Leergewicht bleibt dieser 2er zwar unter der Zweitonnenmarke, die Masse teilt sich gelegentlich aber dennoch mit, indem der Wagen dann eher bamstig federt. Prinzipiell gibt es da nichts zu bekritteln.

Ein bisserl kopfschwerer als der Allradler fühlt er sich auch an, Grund: Statt einer 51:49-Achslastverteilung vorne/hinten lautet der Wert beim Fronttriebler 55:45. Ist aber eigentlich kaum der Rede wert.

Dann ist uns noch aufgefallen: Mercedes und BMW. Einerseits aktiviert sich die Feststellbremse automatisch, wenn man einmal fester auf das Bremspedal tritt, ganz wie man das von Mercedes her kennt. Dann, dies eine Anleihe bei BMW: Der Tempomat lässt sich von adaptiv auf fix einstellen, auch der Spurhalter ist schnell raus, und das Beste ist: Der Polestar merkt sich die Einstellungen alle, du musst das Procedere nicht bei jedem Mal Losfahren umständlich wiederholen. Vorbildlich.

Schnörkelloser Innenraum mit Touch-Bedienkonzept, eines der ersten übrigens, das nicht massiv vom Verkehrsgeschehen ablenkt.
Foto: Stockinger
Wer die Motorhaube öffnet, sieht nichts – außer dem Frontfach für die Kabel.
Foto: Stockinger

Weniger top ist die Auswahl der Rekuperationsstufen. Sicher, es gibt genügend Leute, die eh nur maximale Verzögerung wünschen. Ideal wäre aber, wie häufig anzufinden, via Wippen am Lenkrad, doch da will Polestar, dass man sich im Menü am mittigen Display hinhantelt. Geht eh rasch, ein Menüpunkt. Auto-Symbol im Berührungsbildschirm antippen, "Fahren", und schon finden sich unten links unter One Pedal Drive die Optionen "aus", "gering" und "Standard".

Wir haben sogar probiert, das als Wippenersatz zu verwenden und je nach Bedarf zwischen Segeln und voller Rekuperationsleistung zu wechseln wie gewohnt. Ist aber wenig praktikabel. Ergo haben wir "gering" als Standard fixiert.

Apropos Touch-Bedienung: War bei Volvo bisher beileibe kein Ruhmesblatt. Im Polestar aber: Eins der ersten Systeme, das nicht total ablenkt vom Verkehrsgeschehen, mit rascher, logischer Menüführung. Gut ablesbar auch die Hauptinstrumente. Aber wegen der Herkunft Polestars – Performance, Fahrdynamik – würde auch ein Head-up-Display gut passen. Und die (OTA-)Software, die macht mitunter Mucken.

Klappen auf

Damit belassen wir dieses Kapitel und öffnen die Klappen. Zunächst vorn die Motorhaube – zu sehen ist lediglich der Frontkofferraum vulgo Frunk, der Rest bleibt sauber verdeckt und verwehrt sich dem Blick der Betrachterinnen jedweden Geschlechts. Dann hinten die Heckklappe. Ist immer praktisch. Hilfreich auch der aufklappbare Raumtrenner im Kofferraum, der mit 405 bis 1095 Liter Volumen gut dem Konkurrenzumfeld entspricht.

Über die ästhetischen Qualitäten hatten wir einstiegs bereits ein Wort fallen lassen. Auch deshalb kommt man mit diesem Elektrofahrzeug rasch ins Gespräch mit wildfremden Menschen. "Vielbeachtet", hatten wir in den Testblock gekritzelt. Meistgestellte Frage nach wohlwollenden Kommentaren (Tenor: "So ein schönes Auto!"): "Was ist das für eine Marke? Noch nie gesehen, nie gehört." Das könnte sich bald ändern, denn die Nachfrage ist enorm.

Zurück zu Design und Anmutung. Der äußere Eindruck setzt sich innen lückenlos fort, eine Wohltat, wohin das Auge fällt. Alles geschmackvoll und treffsicher, bis hin zur in breitem Umfang ökologisch korrekten Materialauswahl.

Die Sitze sind mit Kunststoff aus Rezyklat versehen, ein zweites Plastikleben sozusagen, es gäbe auch welche mit Leder von glücklichen schottischen Rindern. Einzig die olfaktorische Note hat uns nicht so überzeugt, das mag aber auch am nigelnagelneuen Testwagen gelegen sein. Später werden sich die Aromen wohl verflüchtigen. Komfortabel ist das Gestühl obendrein, das sei auch hinten so, bestätigen Mitreisende, und das riesige Panoramaglasdach bewirkt luftiges Raumgefühl.

Prima Auto insgesamt, das der "Long Range"-Aussage alle Ehre macht. Ob man sich ein Auto mit so konkreter rotchinesischer Hintergrundstrahlung zulegt, mag jede/jeder selbst entscheiden. Lautete die Antwort "ja", dann wäre nicht zum Händler zu pilgern, sondern online zu ordern.

"Polestar verfolgt", erläutert Elisabeth Binder von Polestar Österreich, "ein ausschließlich digitales Vertriebsmodell. Wer einen Polestar kaufen möchte, kann von der Probefahrtbuchung über die Konfiguration bis hin zur Bestellung (samt Leasing und Versicherung) alles online über die Website abwickeln."

Probefahrten könnten an fünf Standorten stattfinden – "im Polestar Space in Wien sowie in den ,Destinations‘ in Wiener Neudorf, Linz, Graz und Innsbruck". (Andreas Stockinger, 20.7.2022)