Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass GIS-freie Streamingnutzung von ORF-Programm der Verfassung widerspricht.

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Wien – Das ORF-Gesetz muss in Sachen GIS-Pflicht neu formuliert werden: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat entschieden, dass GIS-freie Streamingnutzung von ORF-Programm der Verfassung widerspricht. Der Gesetzgeber muss die GIS-Pflicht nun bis Ende 2023 neu regeln – mit dieser setzt das Höchstgericht die einschlägigen Bestimmungen außer Kraft. Der ORF erwartet, dass mit einer Neuregelung künftig alle Menschen die ORF-Angebote finanzieren, die sie nutzen.

Der ORF hat sich über die Ungleichbehandlung von Rundfunknutzung und Streaming beim Höchstgericht beschwert. Bisher müssen Menschen in Österreich GIS bezahlen, wenn sie ein empfangsbereites Rundfunkgerät daheim haben – ob sie damit nun ORF-Programme nutzen oder nicht. Umgekehrt müssen sie keine GIS bezahlen, wenn sie ORF-Programme allein über Streaming, also internetbasiert, nutzen. Das Rundfunkgebührengesetz knüpft die GIS-Pflicht bisher an Rundfunkempfang, den das Bundesverfassungsgesetz Rundfunk definiert.

Bis Ende 2023 Neuregelung nötig

Die Aufhebung tritt mit 31. Dezember 2023 in Kraft. Bis dahin hat der Gesetzgeber Zeit für eine Neuregelung. Der ORF erhält von den eingehobenen Rundfunkgebühren das sogenannte Programmentgelt, rund zwei Drittel der Gesamtbeträge, der Rest geht an Bund und Länder sowie ein Teil an die GIS für die Einhebung.

Wer keine Rundfunkempfangseinrichtung (Radio- oder TV-Gerät) besitzt, muss – laut Rundfunkgebührengesetz – derzeit keine Rundfunkgebühren und – laut ORF-Gesetz – damit auch kein Programmentgelt bezahlen. Jene Bestimmungen im ORF-Gesetz, die das Programmentgelt an die Pflicht zur Zahlung der Rundfunkgebühren koppeln, sind jedoch laut Erkenntnis des VfGH verfassungswidrig.

Finanzierung sichere die Unabhängigkeit

Das Bundesverfassungsgesetz Rundfunk verlangt Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, Ausgewogenheit der Programme und Unabhängigkeit von Organen, die mit der Besorgung von Rundfunk betraut sind. Hier komme es wesentlich auf die demokratische und kulturelle Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Gesamtrundfunkordnung an, erklärt der Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung.

Eine Finanzierung über Programmentgelt trage zur Sicherung der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wesentlich bei. Bei einer solchen Finanzierung sei es wesentlich, dass grundsätzlich alle, die über Rundfunk am öffentlichen Diskurs teilhaben können, in die gesetzliche Finanzierung des ORF einbezogen werden und nicht eine wesentliche Gruppe – jene Personen, die ORF-Programme über das Internet empfangen – ausgenommen wird.

Keine Ausnahme für wesentliche Nutzungsmöglichkeit

Der Verfassungsgerichtshof in seinem Montag veröffentlichten Erkenntnis: "Geht der Gesetzgeber in Wahrnehmung seiner Finanzierungsverantwortung für den ORF von einer Finanzierung über ein Programmentgelt aus, dann darf er im Hinblick auf die Vorgaben des BVG Rundfunk nicht ein für die Rundfunkordnung insgesamt wesentliches Nutzungsverhalten von dieser Finanzierungspflicht ausnehmen."

Andernfalls würde der ORF die Finanzierungslast maßgeblich ungleich aufteilen – obwohl alle über Rundfunk am öffentlichen Diskurs teilhaben können, ob sie seine Angebote nun rundfunkbasiert oder online via Streaming nutzen.

Der Verfassungsgerichtshof betont in einer Aussendung, die Entscheidung sage nichts darüber aus, ob die Rundfunkgebühren sowie weitere Gebühren und Abgaben, die gemeinsam mit dem Programmentgelt eingehoben werden, verfassungskonform geregelt sind; diese waren nicht Gegenstand des Antrags an den VfGH.

ORF: Fünf bis sechs Millionen mehr pro Jahr in der "Streaminglücke"

Update: Der ORF begrüßt die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs naturgemäß. Sie trage einer sich ändernden Mediennutzung und technischen Weiterentwicklung Rechnung, ließ der öffentlich-rechtliche Sender am Montag verlauten.

Mit der Entscheidung werde "ermöglicht, dass die ORF-Angebote in Zukunft von allen Menschen, die sie nutzen können, auch finanziert werden". Die sogenannte "Streaminglücke" – keine GIS für Streamingnutzung wie bisher – hätte den ORF "mittelfristig vor enorme finanzielle Herausforderungen gestellt".

Pro Jahr würden dem ORF durch GIS ohne Streaming jeweils fünf bis sechs Millionen Euro mehr an GIS-Einnahmen entgehen, rechnet der ORF in seiner Stellungnahme zum Entscheid der Höchstrichter.

Der ORF sieht im Erkenntnis eine "Finanzierungsgarantie, die die Unabhängigkeit des ORF und damit die demokratische und kulturelle Bedeutung des ORF sicherstellt".

Grüne verlangen günstigere Haushaltsabgabe für alle

Update: Die Grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger sah sich am Montag durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs bestätigt: "Wir brauchen jetzt ein ORF-Gesetz, das die Konsumrealität der Bevölkerung abbildet", erklärte Mediensprecherin Eva Blimlinger: "Die einzig sinnvolle Variante, um die Streaminglücke langfristig zu schließen, ist aus unserer Sicht weiterhin eine Entlastung der Bevölkerung im Sinne einer Abschaffung der GIS und der Implementierung einer geringeren Haushaltsabgabe für alle – hier hoffen wir auf ein Umdenken beim Koalitionspartner."

FPÖ "entsetzt"

Update: "Entsetzt" über den VfGH zeigte sich in einer Reaktion hingegen FPÖ-Mediensprecher Christian Hafenecker: "In Zeiten der Rekordteuerung fällt dem VfGH nichts Besseres ein, als dem ORF einen Freibrief für die Ausweitung der Abzocke der Menschen zu erteilen. Das ist nicht einzusehen. Man muss die Bürger vor dieser unsäglichen Allianz zwischen dem ORF und dem VfGH retten!" Die Konsequenz müsse deshalb sein, die GIS-Gebühr gänzlich abzuschaffen. "Das wäre auch eine echte Entlastung für die Menschen in Österreich", so Hafenecker.

Auch Neos für Haushaltsabgabe

Update: "Jetzt führt an der Haushaltsabgabe kein Weg mehr vorbei", sagt Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. "Wir sagen seit Jahren, dass die GIS-Gebühr ungerecht ist, weil immer mehr Menschen die Inhalte des ORF lieber über Laptop, Tablet oder Handy konsumieren, aber nur jene Menschen, die ein Fernseh- oder Radiogerät besitzen, die Gebühren bezahlen." Die Regierung müsse den Mut haben, das System nachhaltig zu verändern und den ORF zu reformieren.

Ein Teil des Neos-Konzepts sei daher immer die Abschaffung der GIS und der Länderabgaben und die Umsetzung einer sozial gestaffelten Haushaltsabgabe gewesen. Das sei insgesamt günstiger für die Bürgerinnen als die bisherige GIS-Gebühr. (fid, 18.7.2022)