Die Regierungskrise in Italien stellt die EZB vor ein zusätzliches Problem: Die Financiers des Landes wollen sich natürlich auch die anhaltende politische Unsicherheit in Form höherer Zinsen abgelten lassen.

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Die aktuelle Regierungskrise in Italien stellt die Europäische Zentralbank (EZB) vor zusätzliche Probleme. Denn schon zuvor galt das hoch verschuldete Land als Sorgenkind der Währungsunion. Allein die Ankündigung der ersten Zinserhöhung seit zwölf Jahren, die die EZB am Donnerstag umsetzen will, wirbelte die Zinsniveaus am Markt für Staatsanleihen kräftig durcheinander. Allein die Ankündigung eines Zinsschritts um einen Viertelprozentpunkt hat die Renditen von italienischen Staatsschulden so in die Höhe schießen lassen, dass EZB-Chefin Christine Lagarde in einer eilig einberufenen Sitzung des geldpolitischen Rats neue Unterstützungsmaßnahmen für hoch verschuldete Staaten ankündigte.

Für die Führungsriege rund um Lagarde geht es am Donnerstag darum, sowohl bei den Zinsen als auch bei der neuen Maßnahme klar vorzugehen: Wie entschlossen will sie gegen die Rekordinflation von 8,6 Prozent in der Eurozone vorgehen und gleichzeitig finanziell schwächere Länder vor zu hohen Zinsen auf neue Staatsschulden bewahren? Der Kampf gegen die Teuerung verlangt nach einigen weiteren Zinserhöhungen im Euroraum – in diesem Punkt sollte Lagarde einen klaren Pfad für die nächsten Monate vorgeben. Gleichzeitig sollten auch Details zum neuen Hilfsprogramm folgen.

Gezielte Anleihenkäufe

Bisher hieß es bloß, die EZB wolle mit gezielten Anleihenkäufe gegen im Vergleich zum Musterland Deutschland spekulativ hohe Zinsaufschläge vorgehen – also die Renditen des betroffenen Landes dadurch drücken. Aber ist es im Fall Italiens nicht natürlich, dass sich die Financiers des Landes ihr Kapital deutlich höher verzinsen lassen angesichts der wirtschaftlichen Probleme und eines Schuldenstands von 151 Prozent der Wirtschaftsleistung – noch dazu, wenn dies gemeinsam mit erhöhter politischer Unsicherheit auftritt? Derzeit muss Italien mehr als 3,3 Prozent Zinsen für zehnjährige Staatsschulden zahlen – das mit vergleichsweise geringen 69 Prozent verschuldete Deutschland nicht einmal 1,2 Prozent.

Dementsprechend ist das neue EZB-Hilfsprogramm bereits im Vorfeld in die Kritik geraten. "Es ist nicht die Aufgabe der EZB, Italien vor italienischen Politikern zu retten", sagte Stefan Gerlach, Chefökonom der Schweizer EFG-Bank und früherer Vizechef der irischen Notenbank. Für den ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski hat der Druck auf die Währungshüter durch die italienische Krise enorm zugenommen: "Nur wenn die EZB ein erneutes Whatever-it-takes-Versprechen abgibt, könnte weitere Spekulation beendet werden."

Am 26. Juli 2012, also fast genau vor zehn Jahren, war Mario Draghi – der vor unsicherer Zukunft stehende italienische Premier war damals selbst noch Chef der EZB – mit diesen deutlichen Worten für den Zusammenhalt der Eurozone eingestanden, als die Renditen Italiens und Spaniens damals hochgefiebert waren. Diesmal steht Lagarde vor der Herausforderung, ein Hilfsprogramm für einzelne Länder zu gestalten, das rechtlich auch wasserdicht ist. Denn eigentlich ist der EZB die Finanzierung von Mitgliedsstaaten untersagt – Klagen von Eurokritikern dürften daher auch diesmal nicht lange auf sich warten lassen.

Schmerzhafte Reformen

Draghi hatte als EZB-Chef stets auch schmerzhafte Strukturreformen von den Mitgliedsstaaten gefordert – merkt nun aber als italienischer Ministerpräsident, wie schwer diese umzusetzen sind. Wichtige Projekte wie Steuer- und Rentenreformen musste auch er auf die Zukunft vertagen. Das eigentliche Problem sei, dass Italien seit zwei Jahrzehnten eine Wachstumsschwäche an den Tag lege, meint LBBW-Chefökonom Moritz Kraemer: "Und die finanzielle Lage ist nicht der Grund, sondern die Folge dieser Schwäche." Die Folge: Die Wirtschaftsleistung ist niedriger als vor 20 Jahren, während die Schulden gewachsen sind – nämlich auf 2,5 Billionen Euro, mehr als Griechenland, Portugal, Spanien und Irland zusammen.

EZB-Chefin Lagarde muss also am Donnerstag ein Programm vorstellen, das Staaten wie Italien vor zu hohen Renditen für ihre Schulden schützt und dadurch den Rücken für deutlich steigende Zinsen im Euroraum im Kampf gegen die Inflation freihält. Ob ihr dabei ein ähnlicher Befreiungsschlag wie ihrem Vorgänger Draghi vor zehn Jahren gelingt? ING-Chefökonom Brzeski ist davon nicht überzeugt. (Alexander Hahn, 19.7.2022)