Wer vor einigen Tagen die Wettervorhersage auf dem Handy bemühte, konnte angesichts der angezeigten Temperaturen nur erschaudern. 42 bis 43 Grad zeigte so manche App für den heutigen Dienstag in Wien an. Aber auch im Rest von Österreich sollten es vielerorts mehr als 40 Grad werden. Heute wissen wir: Die tatsächlichen Temperaturen dürften zumindest zu Beginn dieser Hitzewelle etwa zehn Grad niedriger ausfallen und auch an ihrem voraussichtlichen Höhepunkt am Mittwoch doch deutlich unter dem prognostizierten Horrorszenario liegen.

Weit über 40 Grad prognostizierten einige Wetter-Apps für den heutigen Dienstag. Am Ende dürften es etliche Grad weniger werden.
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Dass Österreich im Gegensatz zu Portugal, Spanien, aber auch Großbritannien vor der schlimmsten Hitze noch einmal verschont bleiben könnte, überrascht Martin Weißmann, Vorstand am Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien, nicht: "Täglich stehen der Meteorologie diverse Modelle mit zig Berechnungen zur Verfügung. Die für Ostösterreich vorhergesagten Extremwerte tauchten nur in einer verschwindend geringen Anzahl der Simulationen auf und waren daher unwahrscheinlich, auch wenn einige Wetter-Apps das Gegenteil suggerierten."

Weißmann spricht damit ein Phänomen an, das auf den ersten Blick paradox klingt. Nie verfügte die Meteorologie über derart exakte und viele Daten wie heute. Satelliten, Wetterballons und Verkehrsflugzeuge sammeln unentwegt Informationen über die Atmosphäre. Neben den Messstationen am Boden kommen auch Sensoren an Bojen und auf Schiffen im Meer zum Einsatz. Mächtige Supercomputer verarbeiten zig Millionen Datensätze pro Tag, um das Wetter richtig vorhersagen zu können. Und dennoch liegt die Prognose in einigen besonders populären Wetter-Apps oft komplett daneben.

Gratisdaten aus den USA

Ein Grund dafür ist, dass einige Wetterportale und Apps für ihre Vorhersage nicht mehrere Modelle berücksichtigen, sondern ausschließlich auf die Gratisdaten des US-amerikanischen GFS-Modells zurückgreifen. Dieses ist gröber aufgelöst als etwa das ECMWF-Modell des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage und gilt daher für kleinräumigere Vorhersagen in Europa als weniger exakt. Im aktuellen Fall dürfte GFS für Deutschland und Österreich zudem die Bodenfeuchte fälschlicherweise mit nahezu null angenommen haben. Das jagte die Temperaturprognose nach oben, wie Meteorologe Fabian Ruhnau auf dem Blog des Portals Kachelmannwetter schreibt.

Martin Weißmann, Vorstand am Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien.
Foto: Barbara Mair

Weitaus problematischer als das zugrunde liegende Wettermodell ist laut Ansicht von Fachleuten, dass die Unsicherheit der Prognose im Normalfall überhaupt nicht dargestellt wird. Selbst bei Vorhersagen, die 14 Tage in die Zukunft schauen, findet sich meist ein eindeutiges Wettersymbol wie eine strahlende Sonne und eine exakte Temperaturangabe. Als zuverlässig prognostizierbar gelten Großwetterereignisse aber nur fünf Tage. Bis zum zehnten Tag lassen sich Temperaturtrends zwar gut ableiten. Die Schwankungsbreite bei einer Hitzewelle kann aber zehn bis 15 Grad betragen. Eine genaue Angabe, wie von vielen Apps suggeriert, ist folglich unseriös und mit großer Vorsicht zu genießen.

Wetter vorhersagen mit künstlicher Intelligenz

Beim Schweizer Wetterdienst Meteoblue, der die verfügbaren großen Wettermodelle mithilfe künstlicher Intelligenz kombiniert und mit aktuellen Messungen gegenrechnet, ist man sich des Problems bewusst. In der App des Anbieters findet sich folglich ein Balken neben dem Wettersymbol und der Temperaturangabe, der die Treffsicherheit der jeweiligen Prognose anzeigt. Die Angaben für kommenden Sonntag, an dem in Wien laut Meteoblue maximal 31 Grad erwartet werden, sind mit einem orangen Balken versehen, der vor der niedrigen Treffsicherheit warnt.

Andere Anbieter wie Kachelmannwetter oder die tschechische Plattform Windy zeigen transparent verschiedene Wettermodelle an bzw. lassen zwischen diesen wählen. So räumen sie mit der Vorstellung auf, dass es eine einzige gültige Wettervorhersage gibt. "Persönlich bevorzuge ich es, wenn Wetterdienste unter den Symbolen auch einen erklärenden Text stehen haben. Damit können unsichere Entwicklungen und Wahrscheinlichkeiten gut abgefangen werden", sagt Weißmann zum STANDARD.

30, 35 oder 45 Grad?

"Eine Hitzewelle, die wie die aktuelle mit Südwestströmung nach Mitteleuropa kommt, lässt sich zwar einige Tage im Voraus vorhersagen. Ob und wo es 30, 35 oder 45 Grad bekommt, ist aber schwer prognostizierbar", erklärt Meteoblue-Meteorologe Sebastian Schlögl. Abgesehen von teils ungenügenden Messdaten liege das am chaotischen und extrem komplexen Verhalten der Atmosphäre. Schon kleinste Veränderungen könnten die weitere Entwicklung und damit auch das lokale Wetter extrem beeinflussen.

Gewitter sind besonders schwer vorherzusagen, selbst für den nächsten Tag.
Foto: APA/MANFRED FESL

"Vielfach geht es auch schlichtweg um das Timing. Fällt die maximale Intensität einer Welle auf die Nacht, hat das durch die fehlende Sonnenstrahlung mitunter keine allzu große Auswirkung auf die Höchsttemperatur", sagt Schlögl. Bei Südwestströmungen spiele zudem auch der Saharastaub eine Rolle. Trete dieser durch etwaige Luftströmungen besonders stark auf, wirke dieser in der betreffenden Region wie ein Sonnenschutzschild. Die Folge: Die Temperatur kann dadurch um einige Grad niedriger ausfallen, als es das Prognosemodell ursprünglich vorgesehen hatte.

Hitze, Gewitter und Föhn

Noch schwieriger ist die Vorhersage bei extrem kleinräumigen Ereignissen wie Gewittern. Denn selbst hochauflösende, regionale Modelle unterteilen die Atmosphäre in zwei bis vier Kubikkilometer große Würfel – zu grob, um Gewitterzellen treffsicher vorhersagen zu können. Als meteorologischer Meilenstein sieht das europäische Vorhersagezentrum vor, die globale Auflösung ihres Modells auf einen Kubikkilometer zu verfeinern. Damit würden sich auch Ereignisse wie Gewitter und lokaler Starkregen besser vorhersagen lassen, sind Fachleute überzeugt. Mit jeder Dekade könne man durch die genaueren Daten und bessere Computerleistung zudem einen Tag länger in die Zukunft schauen.

Bis dahin bleibt uns wohl oder übel nichts anderes übrig, als die Unsicherheit der Wettervorhersage zu akzeptieren und bei Wetter-Apps genau zu schauen, wie seriös diese sind. "Egal, wie gut unsere Daten und Simulationen sind – eine Wetterprognose bleibt immer eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern", sagt Weißmann. Die meisten Menschen könnten damit aber ohnehin gut leben. "Wenn etwa das Föhnende in Tirol oder Vorarlberg prognostiziert wird, wissen alle, dass das mit Vorsicht zu genießen ist." (Martin Stepanek, 19.7.2022)