Bis zuletzt auf Achse: Am Montag zog Mario Draghi einen Gasdeal mit Algerien an Land. Am morgigen Mittwoch dürfte er allerdings seine angekündigte Demission tatsächlich durchziehen.

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Zu seiner vielleicht letzten Auslandsreise als Italiens Ministerpräsident hat Mario Draghi nicht weniger als sechs Fachminister und die Spitzen des Energieversorgers Eni mitgenommen: Das unterstrich die Wichtigkeit der Mission und der Gespräche mit dem algerischen Präsidenten. Dank eines Abkommens wird Italien einen entscheidenden Schritt in Richtung Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen machen: Der staatliche algerische Energieriese Sonatrach will schon in diesem Winter vier Milliarden Kubikmeter Gas zusätzlich durch die Pipeline nach Sizilien schicken – eine Steigerung um 20 Prozent. In den nächsten Jahren sollen die Lieferungen weiter erhöht werden. Davon könnten auch andere europäische Länder profitieren. Algerien ist das Land mit den größten Erdgasreserven ganz Afrikas.

Die Algerien-Mission ist nur ein Beispiel dafür, welch Segen Draghi für sein Land und für Europa war – seine Rücktrittsankündigung hat deshalb in den Staatskanzleien der halben Welt und ganz besonders in der EU-Zentrale in Brüssel höchste Alarmstufe ausgelöst.

Hier Scholz und Macron ...

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Sie alle haben Draghi in den letzten Tagen angerufen oder an ihn geschrieben – in der Hoffnung, ihn noch umstimmen zu können. Die bange Frage: Was passiert mit dem hochverschuldeten, politisch notorisch instabilen Land, wenn der Stabilitätsanker Draghi von Bord geht?

Das fragt man sich auch in Italien selbst. Bereits mehr als tausend Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im ganzen Land haben in einem offenen Brief an Draghi appelliert, seine Rücktrittsentscheidung zurückzunehmen. "Ein Sturz der Regierung Draghi würde zahlreiche Investitionen zugunsten der Bürgerinnen und Bürger infrage stellen", heißt es in dem Aufruf.

Lokale Behörden fürchten insbesondere um die Gelder aus dem EU-Recovery-Fund, mit dem zahlreiche Infrastrukturprojekte finanziert werden sollen. Die nächsten Tranchen der insgesamt über 200 Milliarden Euro für Italien werden von Brüssel nur freigegeben, wenn Italien auf dem Reformpfad bleibt.

Auch die Zivilgesellschaft hält den Atem an. Eine Petition für den Verbleib Draghis im Amt, die von Ex-Premier Matteo Renzi online lanciert wurde, ist in wenigen Tagen von über 100.000 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet worden. "Die Fünf-Sterne-Bewegung hat auf unverantwortliche Weise eine absurde Situation geschaffen, die im Gegensatz zum Interesse der Italienerinnen und Italiener steht, ganz besonders in einem derart heiklen internationalen Kontext", heißt es in der Petition.

Am Montag haben in Rom auch Studierende, Dozenten und Uni-Rektoren für einen Verbleib Draghis im Amt demonstriert. Der frühere Präsident der EZB hat der Bildung in seiner Regierungspolitik immer eine hohe Priorität eingeräumt.

Dennoch besteht nur wenig Hoffnung, dass sich der 74-jährige Draghi in den verbleibenden 48 Stunden noch wird umstimmen lassen. Denn in Rom geht seit seiner Rücktrittsankündigung am vergangenen Donnerstag, die von Staatspräsident Sergio Mattarella vorerst zurückgewiesen wurde, alles weiter im alten Trott: Die politischen Spielchen, die Ultimaten und gegenseitigen Vetos in seiner bisherigen Koalition, die Draghi das Regieren zunehmend unmöglich und auch verleidet hatten, haben weiterhin Hochkonjunktur.

... da Conte und Salvini

Unruhestifter Nummer eins bleibt der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung: Ex-Premier Giuseppe Conte. Aber auch Lega-Chef Matteo Salvini, der ziemlich unverblümt auf Neuwahlen – und damit auf ein definitives Ende der Regierung – hinarbeitet, trägt wenig dazu bei, die Meinung Draghis über die Verlässlichkeit der Parteien zu verbessern.

Wie bei einer solchen Ausgangslage nochmals eine handlungsfähige Regierung entstehen und das verlorene Vertrauen Draghis in seine bisherigen Koalitionspartner zurückgewonnen werden soll, scheint zunehmend schleierhaft: Wenn in Rom nicht noch ein politisches Wunder passiert, dürfte am Mittwoch, wenn sich Draghi im Parlament erklären wird, die Regierung der nationalen Einheit nach 16 Monaten am Ende sein.

Draghi selber hüllt sich seit Tagen in Schweigen: Am Wochenende hatte er sich in das Sommerhaus der Familie im Badeort Lavinio südlich von Rom zurückgezogen. Dort bereitete er seine Rede vor, die er im Parlament halten wird – und bei der für sein Land, aber auch für Europa, so viel auf dem Spiel stehen wird. (Dominik Straub aus Rom, 19.7.2022)