Im Gastkommentar erklärt Thomas König, Forschungspolitikexperte am IHS, warum das Prinzip Bequemlichkeit bei der Wahl eines Rektors trumpft – und warum das keine gute Entwicklung ist.

Die Uni Graz hat einen neuen Rektor. Der Bestellvorgang beschäftigt die Justiz. Der Vorwurf: politischer Postenschacher.
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Zugegeben: Bei dem, was da in Graz wieder angerichtet wurde, fällt es schwer, nicht in Sarkasmus zu verfallen. Ein neu gewählter Rektor, der froh ist, dass er für seine frühere Tätigkeit als Parteikader der seit 35 Jahren durchgehend in der Regierung befindlichen ÖVP nicht diskriminiert wird. Eine Wissenschaftssprecherin, die den Anlass hintergründig zur eigenen Rechtfertigung nützt, warum sie dereinst selber ohne höhere akademische Weihen Rektorin sein konnte. Eine Uniratsvorsitzende, die vielleicht mit derselben Staatsanwaltschaft in Austausch treten darf, über die ihr Ehemann – damals noch Sektionschef im Justizministerium – schon so herzzerreißend geklagt hat.

Das ist so reichhaltig, das hat schon was. Aber so therapeutisch das Flachsen über die hiesigen Verhältnisse wirkt, vergessen wir nicht, welches Signal die Universität Graz da sendet. Wobei es hier weniger um die akademische Welt geht: Ein besonders guter Ruf ist da ohnehin nicht zu verlieren. Also geht es weniger um die fehlenden akademischen Meriten des neuen Rektors per se als um den Umstand, dass hier offenbar (zum wiederholten Male!) die für die Organisation und die Landespolitik gleichermaßen bequemste Lösung angestrebt wurde.

"Ich bin froh, dass es nicht zu einem Nachteil geworden ist, dass ich früher im Politikumfeld tätig war." Peter Riedler, der neue Rektor der Uni Graz

Es stimmt schon: Formal ist dem Gesetz Genüge getan, und so kann einer juristischen Untersuchung wohl gelassen entgegengesehen werden. Aber, Stichwort "Gesetz": Wie kommt es eigentlich, dass der Rektor einer öffentlichen Universität so bestellt wird, dass das Prinzip Bequemlichkeit obsiegt? Die Uni Graz ist hier nämlich keine Ausnahme, sondern dort war man nur (wieder einmal) besonders ungeschickt. Man kann denselben Trend auch anderswo beobachten, zuletzt etwa in Wien.

Mehr Mitbestimmung ...

Um diese Frage zu beantworten, ist es zunächst erforderlich, kurz zu klären, warum die Funktion des Rektors überhaupt so maßgeblich ist. Das war nämlich nicht immer so. 1955 war das Hochschulorganisationsgesetz eines der ersten Gesetze, das in der eben erst wieder volle Souveränität erlangt habenden Republik beschlossen wurde. Angesichts seiner konservativen Anlage war es keine 20 Jahre später der sozialdemokratischen Regierung ein Anliegen, die Universitäten auf eine neue Basis zu stellen. Das Universitätsorganisationsgesetz 1975 brachte Demokratisierung, gleichzeitig blieben Micromanagement durchs neu geschaffene Ministerium und politische Einflussnahme weiter aufrecht.

In den 1990er-Jahren diente der Schwung des EU-Beitritts und der "managerial turn", der damals europaweit in aller Munde war, um in zwei Anläufen Mitbestimmung, Gremienarbeit und ministerielle sowie politische Einflussnahme zu reduzieren. Mit dem bis heute geltenden, wenngleich unzählige Male novellierten Universitätsgesetz von 2002 (UG02) wurde unter dem Stichwort der "Vollrechtsfähigkeit" die Universitätsverwaltung auf völlig neue Beine gestellt. Wir brauchen hier nicht ins Detail gehen, aber seitdem hat der Rektor und sein Team volle Verantwortung über die Universität. Der Universitätsrat fungiert als Aufsichtsrat und der Senat als eine eingeschränkte Mitarbeitervertretung.

... auch für Landespolitik

Ein maßgebliches Versprechen der neuen Organisationsform war, dass die Rektorate deren Universität als Ort der Wissensgesellschaft offener für organisatorische wie wissenschaftliche Innovationen machen würden. Natürlich galt es, Erfahrungen zu sammeln, waren erste Fehler in Kauf zu nehmen. Nach zwei Jahrzehnten ist davon auszugehen, dass die im UG02 formulierten Organisationsprinzipien bekannt sind. Das bringt uns zu der Frage zurück: Warum trumpft das Prinzip Bequemlichkeit bei der Wahl eines Rektors?

Eine Teilantwort liegt in der (völlig nachvollziehbaren) strukturkonservativen Orientierung der universitären Vertreter in den Senaten: Veränderung bedroht. Aber: Die Autoren des Gesetzes haben wohl nicht mit den Uni-Räten gerechnet. Im Detail lassen sich die Motive in diesen Gremien hier nicht aufschlüsseln, aber ein nicht unwesentlicher Faktor scheint zu sein, dass es die jeweilige Landespolitik geschafft hat, sich hier indirekt Einflussnahme zu verschaffen. Es sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass die Länder formal keinerlei Zuständigkeit in Belangen der öffentlichen Universitäten haben.

Keine gute Entwicklung

Die Formel der Bequemlichkeit besteht im Finden eines Kompromisskandidaten, der Uni-intern am wenigsten wehzutun verspricht und Partikularinteressen von Vertretern im Uni-Rat zupasskommt. Das erlaubt den Rückschluss, dass bei der Besetzung der so wichtigen Rektoratsstellen der Interessenausgleich und die Interessenbewahrung vor die organisatorische und (noch wichtiger!) wissenschaftliche Innovation gestellt werden. Im Sinne der Erfinder war das nicht. Und – so weit lehne mich aus dem Fenster – es ist grosso modo auch keine gute Entwicklung.

"Es ist nicht zu übersehen, dass der Geltungsbereich des UG02 ausfranst: zuletzt etwa mit der Initiative einer Neugründung in Linz."

Universitätsgesetze waren immer auch Ausdruck des gesellschaftspolitischen Zeitgeists – und wohl auch der Interessen jener hochschulpolitischen Akteure, die gerade diskursiv das Wort führen. Dass das UG02 "nachhaltiger" als seine Vorgänger zu sein scheint, hat wohl auch mit dem Umstand zu tun, dass wir immer noch knietief in der Wissensgesellschaft stecken. Es ist aber nicht zu übersehen, dass der Geltungsbereich des UG02 ausfranst: zuletzt etwa mit der Initiative einer Neugründung in Linz außerhalb des UG02 (und welche, nun ja, einen starken landespolitischen Fürsprecher hat).

Und so wundert mich doch, dass das dieser Tage anstehende Zwanzig-Jahr-Jubiläum des Gesetzes nicht einmal im Ansatz diskutiert wird: nicht vonseiten der Unis, nicht von den wissenschaftspolitisch Verantwortlichen und deshalb auch nicht in der Öffentlichkeit. Dringend notwendig wäre eine solche Diskussion – am besten zusammen mit einer unabhängigen, umfassenden Evaluierung des Gesetzes und seiner bisherigen Implementierung und Zielerreichung. Stattdessen auch hier: Bequemlichkeit. (Thomas König, 19.7.2022)