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Das Ideal einer großen Familie mit Kindern gibt es immer noch. Aber viele Menschen sind heute unsicher, ob sie das wirklich wollen. Sie sind vielleicht in ihren 20ern oder 30ern, ihre Freundinnen und Freunde bekommen gerade Nachwuchs, und sie malen sich aus, wie das wohl ist. Sie beobachten strahlende, aber gestresste Eltern. Und sie selbst haben sich noch nicht zu einer Entscheidung durchgerungen – denn eigentlich sind sie ganz zufrieden damit, wie ihr Leben gerade ist. Gleichzeitig ist da die Angst, etwas zu verpassen. Wie findet man heraus, was richtig ist?

Über diese Frage haben wir mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen gesprochen: Johannes Siebert ist Entscheidungsforscher, Melanie Hausler ist Psychologin und Glücksforscherin, und Johannes Frass ist Lebensberater und angehender Psychotherapeut in Wien. Sie erklären, wie man die Entscheidung treffen kann und ob Kinder wirklich glücklicher machen.

"Es hilft, sich die Alternativen vorzustellen"

"Bei der Entscheidung, Kinder zu haben, handelt es sich im wahrsten Sinne um eine lebensverändernde Entscheidung. Sie beeinflusst den weiteren Verlauf des Lebens ganz wesentlich, ähnlich etwa der Entscheidung für einen Bildungsweg. Wer sein langwieriges Jus-Studium absolviert hat, wird wahrscheinlich nicht mehr Medizin studieren und Herzchirurgin werden. Die Entscheidung für ein Kind ist auch eine, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Das macht sie so schwierig.

Bei Entscheidungen wie diesen sollte man in sich gehen und überlegen, was für ein Leben man führen möchte. Was will ich erreichen, was ist mir wichtig? Solche Lebensziele können zum Beispiel sein, dass man das Leben genießen, intellektuell erfüllt sein, viele neue Erfahrungen machen, gute Beziehungen führen und etwas zur Gesellschaft beitragen möchte. Letzteres erfüllt man sicher, indem man Kinder aufzieht – aber es ist nicht die einzige Möglichkeit. Auch mit einem erfolgreichen Start-up, mit Engagement für Flüchtlinge oder die Umwelt könnte man etwas zur Gesellschaft beitragen.

Ist man sich seiner Lebensziele bewusst, geht es darum, seine Handlungsoptionen anzusehen. Auf den ersten Blick sind es nur zwei: Kind ja, Kind nein. Das ist jedoch zu eng gedacht. Was man machen kann, ist, die Frage weiter zu denken, beispielsweise indem man den Zeithorizont erweitert. Jetzt, in Zeiten von Ukraine-Krieg und Jobunsicherheit, ist es vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, um ein Kind zu bekommen – aber möglicherweise passt es später besser? Auch sich Alternativen vorzustellen kann weiterhelfen. Man kann sich fragen, ob man die Alternativen zum Kinderhaben wertschätzen würde. Wäre ich auch mit einem kinderlosen Leben glücklich? So wird man sich im Idealfall bewusst, was wirklich für einen zählt. Da gilt es auch, langfristig zu denken. Wäre ich ohne Enkel ein zufriedener alter Mensch?

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Ein Kind zu haben ist eine lebensverändernde Entscheidung, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt – das macht sie so schwierig.
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Auf keinen Fall sollte man so eine Entscheidung überstürzen. Vielmehr sollte man sich ausführlich mit ihren Konsequenzen auseinandersetzen. Was kommt da als Papa oder Mama auf mich zu? Was bedeutet die Entscheidung in Hinblick auf meine Lebensziele? Bin ich bereit, mich zeitlich und finanziell einzuschränken? Beispielsweise anstatt nach Feierabend ins Fitnessstudio zu gehen, nur noch um 5 Uhr morgens joggen gehen zu können, wenn überhaupt?

Schließlich sollte man sich auch klar werden, warum man ein Kind will, worum es einem eigentlich geht. Leider ist es nicht so selten, dass Menschen ein Kind bekommen, um ihre Beziehung zu retten oder sozial angepasst zu leben. Allerdings sollte ein Kind niemals nur ein Mittel zum Zweck sein, um etwas anderes zu erreichen."

Johannes Siebert ist Verhaltensökonom und Professor am Management-Center Innsbruck. Er hilft Einzelnen und Organisationen dabei, bessere Entscheidung zu treffen. In seinem Gratis-Onlinekurs und seinem Ted-Talk lehrt er Strategien zur Entscheidungsfindung.

"In gelösten Situationen kommt es oft zum Aha-Erlebnis"

"Für große Lebensentscheidungen, so auch diese, sollte man sich ausreichend Zeit nehmen. Ganz wegnehmen kann man den zeitlichen Druck natürlich nicht, wegen der biologischen Uhr, aber man kann sich den Stress nehmen, indem man sagt: Nicht sofort, aber bis zu diesem oder jenem Zeitpunkt möchte ich eine Entscheidung treffen. Man könnte sich etwa überlegen: Was ist denn das späteste Alter, in dem ich Kinder bekommen möchte?

Ebenfalls hilfreich kann sein, all seine Gedanken zu der Frage 'Kinder – ja oder nein?' aufzuschreiben. Im Vordergrund steht zwar eine Ja-nein-Frage, aber im Hintergrund spielen viele andere Fragen eine Rolle, etwa: Warum will ich ein Kind, welches Bedürfnis steckt dahinter? Muss es unbedingt ein eigenes Kind sein, oder reicht es mir vielleicht auch, eine gute Tante, ein guter Onkel sein? Ganz entscheidend dabei ist, sich von den Erwartungen anderer freizumachen. Der gesellschaftliche Druck ist zwar weniger geworden, geht jedoch immer noch eindeutig in die Richtung: Paarbeziehung bedeutet auch Nachwuchs.

Mehr Klarheit können auch Gespräche mit anderen bringen. Man sollte nicht nur Leute, die Kinder haben, sondern auch Leute, die sich bewusst gegen Kinder entschieden haben, ganz in Ruhe zu ihren Erfahrungen befragen. So kann man herausarbeiten, was die Vor- und Nachteile sind.

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Kinder können helfen, ein Warum und Wozu im Leben zu sehen. Sie sind aber nicht die einzige Sinnquelle.
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Wenn jemand durch das Nachdenken über Vor- und Nachteile nicht weiterkommt, mache ich in meiner Praxis gerne Tetralemma, eine Methode zur Entscheidungsfindung. In diesem Fall würde ich vier Zettel auflegen, auf denen steht: 'Kinder ja', 'Kinder nein', 'keines' und 'beides'. Dann würde ich meine Klienten bitten, mit mir zu besprechen, welche Gefühle bei den jeweiligen Zetteln aufkommen. Interessant ist: Menschen, die in einer Entscheidungssituation sind, fühlen sich nie mit 'ja' oder 'nein' wohl. Sie fühlen sich meist bei einem der beiden anderen Zettel wohl, auf denen steht 'beide' oder 'keines'. Das klingt im ersten Moment unlogisch, man fragt sich: Wie kann man beides haben? Aber durch diese Methode offenbart sich manchmal eine Ahnung, die jemand schon in sich hat, die aber im rationalen Gespräch nicht herauskommt.

Zu so einem Aha-Erlebnis kommt es mitunter auch in Alltagssituationen, in denen man besonders gelöst ist. Man hat über Wochen Informationen gesammelt, mit Menschen gesprochen, sich eingelesen, das ganze Wissen kreist im Kopf herum – und dann macht man einen Ausflug oder eine Achterbahnfahrt, die Gedanken fügen sich zusammen, und die Lösung ist plötzlich klar.

Wichtig ist, sich auch selbst zu vertrauen, dass man eine richtige Entscheidung treffen wird. In Momenten, wo man daran zweifelt, kann man auf sein bisheriges Leben zurückblicken und sich fragen: Wo habe ich überall schon gute Entscheidungen getroffen? Man kann sich daran erinnern, dass man vielleicht auch mal Entscheidungen getroffen hat, mit denen man zuerst unglücklich war – aber aus denen dann etwas anderes, sehr Gutes entstanden ist. Das Beruhigende ist ja, dass man als Mensch auch an seinen Aufgaben wächst. Für Eltern bedeutet das: Nicht nur das Kind wächst, sondern auch ich. Das ist das Schöne am Elternsein."

Johannes Frass ist Lebensberater und angehender Psychotherapeut. Er ist spezialisiert auf Berufsorientierung, die Suche nach dem Lebenssinn sowie Beziehungsthemen, Familie und Erziehung.

"Glücklich sein kann man mit oder ohne Kinder"

"Studien zeigen, dass Kinder nicht zwangsläufig glücklich oder unglücklich machen. Es zeigen sich Veränderungen hinsichtlich der Zufriedenheit über die Elternzeit hinweg. Einige Ergebnisse weisen auf eine anfängliche Reduktion des Wohlbefindens zu Beginn der Elternzeit hin. Andere Studien zeigen wiederum, dass Eltern im Alter, wenn ihre Kinder bereits flügge geworden sind, glücklicher sind als Kinderlose. An und für sich hängt Glück nicht zentral von irgendwelchen äußeren Faktoren ab. Ich kann mit viel oder wenig Geld glücklich sein, als Single oder in einer Beziehung, mit Kindern oder ohne. Sofern wir keine existenziellen Sorgen haben, macht all das keinen großen Unterschied für unser Glücksempfinden.

Viel wichtiger ist, wie man sein Leben gestaltet, ob man mit seinen Werten und Bedürfnissen in Einklang lebt. Es geht darum, sich selbst zu fragen, was einen auszeichnet und wie man sein Leben leben möchte. Wir alle brauchen positive Beziehungen und Selbstbestimmung – doch die einen brauchen das eine stärker und die anderen das andere. Das ist eine Sache der Persönlichkeit. Also kann man sich fragen: Bin ich eher ein Familienmensch oder der selbstbestimmte Typ? Natürlich können auch selbstbestimmte Typen Kinder haben. Für die langfristige Zufriedenheit macht es für beide Typen Sinn, sich vorab zu überlegen, wie sich das Nähe- und Distanzbedürfnis mit bzw. ohne Kinder erfüllen lässt.

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Die Glücksforscherin Melanie Hausler rät, sich die Zukunft in konkreten Szenarien vorzustellen und sich zu fragen: Was passt am besten zu mir?
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Was bei der Entscheidung für oder gegen Kinder helfen könnte, ist eine Übung aus der positiven Psychologie. Sie heißt 'The Best Possible Self', und man reist dabei gedanklich in die Zukunft. Nach ein paar Jahren, sagen wir nach fünf, steigt man aus und schaut sich um: Wenn alles so gelaufen ist, wie ich mir das vorgestellt habe, wie sieht mein Leben jetzt aus? Wie verbringe ich meine Zeit? Wie läuft ein typischer Tag ab? Das kann man für zwei Szenarien machen: einmal für das Leben mit Kindern und einmal für das Leben ohne sie. Man fühlt sich in beide Szenarien hinein und macht sie dadurch greifbarer. Danach kann man resümieren und sich fragen: In welcher Zukunftsversion geht es mir am besten, und wo zieht es mich am meisten hin?

Glaubenssätze und Ängste sollten bei so einer Entscheidung jedenfalls möglichst keine Rolle spielen. Man sollte nicht nur deshalb ein Kind bekommen, weil alle um einen herum Kinder haben oder der Partner das unbedingt will. Aber auch die Angst, dass man vielleicht bald zu alt ist oder etwas im Leben verpasst, ist wohl nicht der besten Beweggrund.

Ich erlebe bei Menschen in schwierigen Entscheidungssituationen häufig einen gewissen Pessimismus. Er führt dazu, dass sie überall Gefahren sehen. Mein Tipp ist dann, sich das bewusst zu machen und unrealistische Ängste auszusortieren. Anderen Ängsten kann man begegnen, in dem man sich überlegt, wie man sich gegen seine Befürchtungen absichert. Wie könnte ich beispielsweise sicherstellen, dass ich trotz Kind noch genug Zeit für mich selbst habe? Gibt es Großeltern, die mir helfen können? Oder brauche ich andere Unterstützung, um meinen Beruf fortführen zu können und damit wir noch immer genug Zeit für unsere Partnerschaft haben? Man kann für sein künftiges 'Ich' vorsorgen. Für das langfristige Glück braucht es eine Balance zwischen den unterschiedlichen Bereichen. Ist die gegeben, kommt das Glück von alleine – ob mit Kind oder ohne."

Melanie Hausler ist promovierte Psychologin mit Spezialisierung in der positiven Psychologie. Sie beschäftigt sich mit der Frage, was Menschen glücklich macht, und ist Autorin des Buches "Glückliche Kängurus springen höher" (Junfermann-Verlag).