Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die kostenlose Nutzung von ORF-Angeboten im Stream verfassungswidrig ist.

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Wien – Wie viel GIS entgeht dem ORF eigentlich durch die "Streaminglücke"? Der ORF beziffert den Einnahmenentgang mit bis zu 119 Millionen Euro jährlich. Diese Hochrechnung legte der ORF seiner Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bei – der das Höchstgericht nun gefolgt ist. Ab Anfang 2024 ist auch für Streaming GIS zu zahlen.

Medienministerium: "Möglichst geringe Belastung"

Die Neuregelung bis Ende 2023 liegt nun bei Susanne Raabs Medienministerium im Kanzleramt. Das Ministerium lässt zum Erkenntnis des Höchstgerichts am Dienstag auf STANDARD-Anfrage verlauten: "Das VfGH-Erkenntnis ist zur Kenntnis zu nehmen und wird aktuell im Detail geprüft, insbesondere im Hinblick auf eine möglichst geringe Belastung für die Menschen in unserem Land."

650 Millionen aus der GIS

Mit rund 650 Millionen Euro sorgen die Programmentgelte für rund zwei Drittel des jährlichen ORF-Budgets – noch vor der Gebührenerhöhung mit Februar 2022 um acht Prozent. Das übrige Drittel bestreitet der ORF mit Werbeeinnahmen und sonstigen Einnahmen – von Smartcards bis zu Zuschüssen und Gewinnausschüttungen der Lotterien, an denen der ORF beteiligt ist.

53 Millionen bis 119 Millionen Ausfall

2021 rechnete der ORF in seiner Beschwerde mit 53 Millionen Euro Einnahmenentgang durch Haushalte, die wegen alleiniger Streamingnutzung keine GIS zahlten – der ORF hat die Beschwerde im Sommer 2021 beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Bis 2025 würden diese Ausfälle um fünf bis sechs Millionen Euro pro Jahr auf 87 Millionen Euro steigen.

Wenn sich der Trend im Radio fortsetzt und auch dort die reine Streamingnutzung durchschlägt, rechnete der ORF mit insgesamt 119 Millionen Euro Einnahmenausfall bis 2025.

Warum zahlen?

Der Verfassungsgerichtshof hat am 30. Juni 2022 entschieden, dass die GIS-kostenlose Nutzung von ORF-Angeboten im Stream verfassungswidrig sind. Die Bestimmungen werden mit Ende 2023 aufgehoben, bis dahin muss der Gesetzgeber das Thema neu regeln. Tut er nichts, müssten nach aktuellem Stand alle, die ORF empfangen oder streamen können, Programmentgelt zahlen – allerdings braucht es für Befreiungen nach der Aufhebung eine Neuregelung.

Der Verfassungsgerichtshof argumentiert: Das Bundesverfassungsgesetz Rundfunk verlangt ein Rundfunkgesetz, das Unabhängigkeit, Objektivität und Unparteilichkeit des ORF, seiner Programme, Organe und Mitarbeiterinnen sichert. Dazu gehöre auch die unabhängige Finanzierung des Rundfunks – von der wesentliche Teile der potenziellen Nutzer nicht ausgenommen werden könnten.

Haushaltsabgaben in Deutschland, Schweiz

Deutschland und die Schweiz haben auf Haushaltsabgaben – mit Befreiungen für Einkommensschwache – umgestellt und die Höhe der Beiträge gegenüber den Gebühren reduziert. Die ÖVP lehnte bisher eine Haushaltsabgabe ab, der Regierungspartner Grüne plädiert für eine solche – gegenüber bisheriger GIS – reduzierte Abgabe.

Die Gebühren nach Bundesländern.
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Von den Rundfunkgebühren, die die GIS einhebt, geht rund ein Drittel an den Bund, der damit teilweise andere Medienförderungen finanziert, und an sieben von neun Bundesländern. Vorarlberg und Oberösterreich verzichten auf eine Landesabgabe auf die GIS und haben damit die geringsten Rundfunkgebühren in Österreich.

SPÖ für "sozial ausgewogene Regelung"

SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried sagt auf STANDAR-Anfrage: "Wir begrüßen es, dass der VfGH diese Frage geklärt hat und dabei herausarbeitet, dass zur Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch die Finanzierungssicherheit zählt, die von der Politik garantiert werden muss." Leichtfried fordert, dass eine zusätzliche Belastung für Haushalte, die bisher keine GIS zahlen, "so weit wie möglich" vermieden werden müsse. Jedenfalls solle die neue Regelung "sozial ausgewogen ausfallen".

Der SPÖ-Mediensprecher möchte jetzt die "Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Auftrages" diskutieren: "Dazu zählen die Aufhebung der übermäßigen Beschränkungen des Online-Angebots, digitale Entwicklungsfreiheit und Ermöglichung neuer Angebote, Zugänge und Kanäle, um der heutigen Mediennutzung des Publikums und den technologischen Entwicklungen gerecht werden zu können." Medienministerin Raab solle "endlich einen Vorschlag für ein Gesamtpaket auf den Tisch legen", so Leichtfried.

Wie berichtet, wollen die Grünen und die Neos eine günstigere Haushaltsabgabe für alle, während sich die FPÖ in einer ersten Reaktion nach der VfGH-Entscheidung "entsetzt" zeigte. (fid, 19.7.2022)