Gregor Mühlberger in seinem Element: auf dem Fahrrad.

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Gregor Mühlberger fungiert im spanischen Team Movistar als starker Helfer seines Kapitäns Enric Mas. Der Niederösterreicher gibt im Gespräch mit dem STANDARD Einblicke in seinen Rennalltag und die Bedeutung der Fans. Vor der 16. Etappe von Carcassonne nach Foix kann er nicht einmal den Ruhetag genießen. Er muss ein intensives Programm bewältigen.

STANDARD: Zwei Wochen Tour liegen hinter Ihnen, die letzten Tage waren bergig und heiß. Wie geht es Ihnen?

Mühlberger: Im Moment geht es mir gut, danke. Ich habe den Ruhetag gut verbracht.

STANDARD: "Ruhetag" kann ein irreführender Begriff sein. Wie viel Ruhe hat man wirklich?

Mühlberger: Eigentlich wollte ich ausschlafen, aber in der Früh hatten wir Dopingkontrolle. Also war es weniger mit Ausschlafen. Nach dem Frühstück ging es für knappe zwei Stunden aufs Rad, nach dem Mittagessen hieß es Massage, und später geht es zum Osteopathen. Ich muss mich mal richten lassen. Um 20 Uhr haben wir ein Teammeeting, und um 20.30 Uhr gibt’s Abendessen.

STANDARD: Warum wird auch an einem Ruhetag noch Rad gefahren?

Mühlberger: Es ist wichtig, damit der Körper nicht runterfährt und sich denkt: "Okay, das war es jetzt mit der Anstrengung, jetzt kann ich die Pause genießen." Dann bin ich tags drauf richtig müde. Deshalb muss ich schauen, dass der Motor am Laufen bleibt. Es gibt ja noch was zu tun.

STANDARD: Können Sie trotzdem ein wenig abschalten?

Mühlberger: Absolut, das Wetter ist auch schön. Natürlich denkt man schon an die nächsten Etappen, aber erst mal heißt es abwarten, wie wir es taktisch überhaupt angehen wollen, unseren Kapitän weiter nach vorne zu katapultieren.

STANDARD: Netflix darf an einem Ruhetag auch nicht fehlen. Besitzen Sie einen Account?

Mühlberger: Ja, den habe ich.

STANDARD: Dann konnten Sie sich 2021 gut auf Ihr Team vorbereiten, schließlich gibt es die Serie "Ein unerwarteter Tag im Radsport: Das Movistar-Team hautnah".

Mühlberger: Die habe ich mir natürlich angesehen. Ich kannte zwar die Fahrer und ihre Geschichten, trotzdem war es eine spannende Doku. Man sieht, dass nicht nur Fahrer auf dem Rad sitzen und für sich das Beste geben, sondern ziemlich viele dran teilhaben. Dass alles abgestimmt sein muss.

STANDARD: Movistar gilt als das spanische und südamerikanische Team schlechthin. Wie lief Ihre Akklimatisierung?

Mühlberger: Ich bin wirklich sehr gut aufgenommen worden, hatte nur einen etwas schwierigen Start. Zum ersten Teamtrainingslager hat mich Corona erwischt. So konnte ich den Staff und die Fahrer erst später als geplant kennenlernen. Es ist typisch spanisch, super familiär. Es macht richtig Spaß, mit den Jungs hier Fahrrad zu fahren und Zeit zu verbringen.

STANDARD: Movistar ist eins der traditionsreichsten Teams im Peloton, gegründet 1981. Was löst es in Ihnen aus, Teil davon zu sein?

Mühlberger: Es fühlt sich gut an und macht mich sehr stolz, mit den Jungs hier in einer Liga zu fahren. Wir hätten bis hierher gerne bessere Ergebnisse erzielt, nicht alles lief optimal. Ich hoffe, dass die nächsten Tage etwas Besseres bringen. Aber es ist definitiv besonders, das "M" auf der Brust zu tragen.

Gregor Mühlberger bei der heurigen Paris-Nizza-Rundfahrt. Auf der Brust prangt das M seines Teams.
Foto: IMAGO/Nico Vereecken

STANDARD: Ihr Kapitän Enric Mas steht auf Platz zehn im Gesamtklassement. Was ist da noch möglich?

Mühlberger: Auf die Top fünf schielen wir auf alle Fälle. Aber es wird eine harte Nuss, die nächsten drei Etappen werden schwer. Wir müssen schauen, ob wir taktisch noch ein paar Dinge ändern oder ihn anders unterstützen. Aber sollte er seine normale Leistung abrufen, ist in den nächsten Tagen noch einiges drin.

STANDARD: Zu Ihnen: Wie ordnen Sie selbst Ihre Rolle bis hierher ein?

Mühlberger: Ich bin zufrieden. Ich helfe viel und werde das weiterhin tun. Ich werde wenig Chancen bekommen, mich zu zeigen. Unser großes Ziel ist, Enric Mas weiter nach vorne zu bringen.

STANDARD: Die Helferrolle scheint Ihnen zu liegen?

Mühlberger: Das ist mein Job, so war es abgesprochen. Wir sind die Tour mit dem großen Ziel angegangen, Mas aufs Podium zu bringen. Daran halten wir fest, ordnen dem alles unter und vertrauen in seine Fähigkeiten Das passt so für mich.

STANDARD: Gerade am Berg sind starke Helferqualitäten gefragt. Sie brennen ein Feuerwerk auf dem Rad ab, die Fans eins am Straßenrand. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie Alpe d'Huez hochfahren?

Mühlberger: Das Adrenalin zieht einen. Die Fans machen den Anstieg auf jeden Fall einfacher. Es ist kein kurzer Anstieg, und es dauert seine Zeit, bis man oben ist. Mit der Unterstützung der Fans geht das aber. Und es ist schön zu sehen, dass viele einen so weiten Weg auf sich nehmen, um zuzusehen, wie ein paar Fahrradfahrer die Straße hochkommen. Es ist bemerkenswert.

STANDARD: Nehmen Sie die Fahnen und das Drumherum überhaupt war? Es wirkt, als würden Sie mit Scheuklappen fahren.

Mühlberger: Solange ich am Anschlag fahre, bin ich im Tunnel. Ich nehme es wahr, aber es ist ganz anders, wenn man die Zeit hat, locker hochzufahren, und das Ganze genießen kann.

Der ganz normale Wahnsinn bei der Bergankunft in Alpe d'Huez.
Foto: APA/AFP/POOL/BERNARD PAPON

STANDARD: Die Tour hat bisher tolle Bilder geliefert, sei es in Kopenhagen oder Alpe d'Huez. Was macht den Radsport für Sie aus?

Mühlberger: Ich denke, es ist einfach ein toller Sport für die Zuschauer. Er ist eine der wenigen Sportarten, wo die Fans ganz nah an die Stars kommen. Wenn Jonas Vingegaard Alpe d'Huez hochfährt und dabei einen halben Meter von dir entfernt ist, bringt das alles etwas näher. Der Radsport ist sehr nah an den Fans, das macht ihn besonders.

STANDARD: Für etwas tristere Bilder sorgten wiederum die Olympischen Spiele im letzten Jahr. Sie waren dabei. Wie war es?

Mühlberger: Es war wirklich viel Vorbereitung. Zum Glück habe ich mich rechtzeitig von meiner Meningitis erholt, das war eine schwierige Zeit.

STANDARD: An der Tour 2021 konnten Sie aufgrund der Meningitis nicht teilnehmen.

Mühlberger: Es gab Momente, in denen ich zweifelte, ob ich jemals wieder schnell Rad fahren kann, mittlerweile bin ich wieder bei 100 Prozent. Dank meiner Vorbereitung war ich in Tokio auch gut drauf. Mein Sturz nach 70 Kilometern hat mich dann leider wieder auf den Boden der Tatsachen geholt – im wahrsten Sinne des Wortes.

STANDARD: Konnten Sie sich trotz der abgeschirmten Bubble vom olympischen Geist beseelen lassen?

Mühlberger: Absolut. Olympische Spiele sind für mich persönlich etwas ganz Großes, und ich bin super froh, dabei gewesen zu sein. Es war mit Sicherheit eine der größten Veranstaltungen, bei denen ich dabei war. Und so wird es auch immer bleiben.

STANDARD: Lassen sich Olympische Spiele und die Tour überhaupt miteinander vergleichen?

Mühlberger: Das ist schwer. Für viele ist die Tour die Tour, da gibt es nichts Größeres als Radfahrer. Das stimmt natürlich. Bei Olympischen Spielen zu sein ist aber noch mal spezieller. Es ist nur ein Rennen, das im Normalfall alle vier Jahre stattfindet. Für das eigene Land zu starten ist besonders. Es ist eine Erfahrung fürs Leben.

STANDARD: Stichwort Leben: Sie haben ein Kreuz auf der Brust tätowiert. Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Leben?

Mühlberger: Der Glaube spielt eine Rolle, das ist aber unabhängig von der Kirche. Es geht mir vor allem darum, an mich selbst zu glauben, an meine Fähigkeiten. Als Sportler gehört das dazu.

STANDARD: Ihre Fähigkeiten führen Sie voraussichtlich bis auf die Champs Elysee. Wie sehen Ihre anschließenden Pläne aus?

Mühlberger: Familie und Freunde erwarten mich in Paris, danach geht es nach Salzburg. Dienstag und Mittwoch stehen das Grazer und das Welser Innenstadtkriterium auf dem Programm, danach fängt die Vorbereitung auf die Vuelta an. Es geht also Schlag auf Schlag.

STANDARD: Das Rad in die dunkle Kammer stellen, daraus wird erst mal nichts?

Mühlberger: Das ist erst im Oktober so weit. (Jens Wohlgemuth, 19.7.2022)