Sonnenblumen im Haar: Jedermann Lars Eidinger und seine Buhle Verena Altenberger.

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Der Salzburger "Jedermann" spielt nach eigenen Regeln. While Stücke landauf, landab (und mitunter nicht gerade zimperlich) nach ihrem Gehalt für die Gegenwart befragt werden, steckt das „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ bis zur Hüfte fest in der Salzburger Folklore. Kurskorrekturen sind auf der Pawlatschenbühne vor dem barocken Salzburger Dom nicht vorgesehen, und wenn, dann ist mit Widerstand zu rechnen. Als sich Buhlschaft Verena Altenberger im vergangenen Jahr erdreistete, mit Kürzesthaarschnitt auftrat, war das in den Augen mancher ein Anschlag auf eine heilige Tradition.

Dabei war ihre damalige Stoppelglatze nur sichtbarer Ausdruck einer sanften Modernisierung, die vor allem durch das Engagement von Jedermann Lars Eidinger ausgelöst wurde. Der Berliner Star-Schauspieler gab den Anstoß für eine komplette Überarbeitung der Inszenierung von Michael Sturminger, die zwar beständig weiterentwickelt worden war, aber auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hatte. Die Geschlechtergrenzen wurden brüchig, Hofmannsthal Knittelverse klangen heute, und Gott, Tod und Teufel wurden weiblich besetzt.

Buhlschaft thront auf Jedermanns Schultern

Ein Jahr später ist von der Aufregung, die im Vorjahr Medien und Publikum ob der Neuinterpretation des "geistigen Spiels" erfasst hat, nicht mehr gar so viel zu merken. Das Team blieb gleich, einige Szenen wurden nachgeschärft. Noch immer thront die Buhlschaft bei ihrem ersten Auftritt auf den Schultern ihres Geliebten, in das Rot ihres Hosenanzugs hat sich ein kräftiger Schuss Lila gemischt, doch statt wie im Vorjahr, als sie selbst Jedermanns erste Worte sprach, gestikuliert sie jetzt pantomimisch mit.

Aus Erregung wurde Routine, und vielleicht ist auch das der Grund, warum Lars Eidinger und Verena Altenberger rund um die Premiere erwarteten, dass es schon nach zwei Jahren wieder genug sei mit ihren Engagements bei diesem "Jedermann". Mission erfüllt, Patient lebt.

An die Beatmungsmaschine ist dieser „Jedermann“, aber immer noch angeschlossen: Sturmingers Modernisierung, nämlich weiterhin stärker auf die Hinterfragung der ästhetischen Mittel als auf jene des Welt- und Glaubensbilds, das dem 1920 uraufen, heute anachronistisch wirkenden Mysterienstück zugrunde liegt. Vielleicht ist vor der Fassade des Doms auch nichts anderes möglich, ohne das Stück gleich ganz aus den Angeln zu heben.

Zumindest in den Anfangsszenen schaut es allerdings danach aus, als ob das passieren könnte, und das hat viel mit der sympathischen Ungeniertheit zu tun, mit der Eidinger und Altenberger ihre Beziehung gestalten: fernaber Zuschreibungen, spielerisch und mit viel Ironie. Im Fatsuit und mit Vier-Zentimeter-Pumps (Bühne und Kostüme: Renate Martin und Andreas Donhauser) wrestelt dieser Jedermann mit dem Schuldknecht, bevor er ihn mit einem Kinnhaken niederstreckt. Da paaren sich Slapstick und Verarsche, und wer findet, dass das nicht wirklich passend ist, der liegt nicht ganz verkehrt.

Nummern-Dramaturgie am Domplatz

Spätestens mit dem Auftritt des Todes übernimmt wieder die Nummern-Dramaturgie Hofmannsthals das Ruder am Domplatz. Edith Clever thront als dunkle Ahnfrau am Ende der langen Tafel, wie Putin seine Gäste, hält sie sich diesen wenig einsichtigen Jedermann vom Leib. gibt sie ihm noch ein paar Stündchen, bis sie ihn endgültig holen kommt. Wirklich viel anzufangen weiß er damit nicht: Vom Guten Gesellen (Anton Spieker) holt sich Jedermann ebenso eine Abfuhr wie von seinen beiden Vettern (wieder sehr lustig: Gustav Peter Wöhler und Tino Hillebrand), sein Mammon (Mirco Kreibach in einer tollen Nummer). ihm die Jokerfratze, während ihm seine Buhle zumindest einen letzten stummen Tanz gewährt.

"Ich bin an Sünden schon so weit, bis dahin reicht keine Barmherzigkeit", knittelreimt Jedermann schließlich in Anblick der ätherischen Gestalt von Kathleen Morgeneyer als Glaube. Den Teufel in Gestalt der sehr komischen Mavie Hörbiger wehrt sie ab, bevor sie ihn dem nun ganz in Weiß gewandeten Tod übergibt – ein Ende, das ebenso jäh wie aufgesetzt daherkommt und mit dem schon Hofmannsthals Zeitgenossen ihre liebe Not hatte (die Läuterung!).

Mit seinem Pietá-Schlussbild kriegt der Regisseur Sturminger allerdings gut die Kurve, das Spiel, das eklektisch-ironisch begonnen hat, endet gesetzt. Oder anders gesagt: Am Ende landet auch dieser "Jedermann" wieder im Herrgottswinkel. Da can sich Regisseur und Team noch so sehr dagegen sträuben. (Stephan Hilpold, 19.7.2022)