Christian Schmidt, Hoher Repräsentant von Bosnien-Herzegowina, zieht offenbar in Erwägung, das bosnische Wahlgesetz zu ändern.

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Der Hohe Repräsentant von Bosnien-Herzegowina, Christian Schmidt, erwägt, das bosnische Wahlgesetz mit seinen Bonner Vollmachten zu ändern. Mit dieser Änderung käme er den Wünschen kroatischer Politiker wie des nationalistischen Präsidenten von Kroatien, Zoran Milanović, entgegen, der erst kürzlich gefordert hatte, dass Schmidt das Wahlgesetz nach den Vorstellungen von kroatischen Politikern in Bosnien-Herzegowina und in Kroatien abwandeln soll.

Politisches Ziel von Milanović und Co ist es, zu verhindern, dass eine Regierung im Landesteil Föderation ohne die stärkste kroatisch-nationalistische Partei HDZ gebildet werden kann. Dies war in der Vergangenheit bereits einmal der Fall. Die bosnisch-herzegowinische HDZ, eine Schwesterpartei der in Kroatien regierenden HDZ, hat deshalb in den vergangenen Monaten durch zahlreiche politische Interventionen und über von der EU und den USA geführte Verhandlungen versucht, ihre Ziele im bosnischen Parlament zu erreichen. Allerdings gab es dafür keine Mehrheiten. Nun wurde offenbar der Druck auf Schmidt intensiviert, den Forderungen der HDZ durch die Bonner Sondervollmachten des Hohen Repräsentanten nachzukommen.

"Deblockierung der Föderation"

Medienberichten zufolge könnte Schmidt einerseits "technische" Änderungen einführen, sodass Wahlmanipulationen künftig besser vermieden werden können, andererseits aber wird unter dem Begriff "Deblockierung der Föderation" an eine neue Bestimmung der Entsendeformel gedacht.

Das Haus der Völker, die zweite Kammer im Parlament der Föderation, ist für die HDZ entscheidend, um ihre Macht abzusichern, weil das Haus der Völker über Vetomöglichkeiten verfügt und die HDZ darüber Gesetzesvorhaben blockieren kann. Durch die Änderung des Wahlgesetzes soll nun offenbar eingeführt werden, dass jene Kantone mit mehr Stimmgewicht ausgestattet werden, in denen die HDZ besonders stark ist. Dabei geht es um die Entsendeformel, die bisher auch im Ermessensspielraum der Wahlkommission lag.

Ermessen der Wahlkommission

Der Grazer Verfassungsrechtler und Bosnien-Experte Josef Marko erklärt, dass die Wahlkommission bisher – wenn etwa aus einem der zehn Kantone kein kroatischer Abgeordneter entsendet werden konnte, weil der Wahlquotient (also die Stimmenanzahl) für diesen Kandidaten nicht ausreichte – selbst entscheiden konnte, dass dafür aus einem anderen Kanton ein zusätzlicher kroatischer Kandidat entsendet wird. Dieses Ermessen über die Möglichkeit von Ausgleichsmandaten könnte durch eine mögliche Entscheidung von Schmidt nun wegfallen.

"Wenn man das von vornherein gesetzlich festlegt, dann wird das Ermessen beseitigt", so Marko zum STANDARD. "Allerdings muss man dann nach jeder Volkszählung die Entsendeformel anpassen, denn es muss einen proportionalen Zusammenhang zwischen der Volkszählung und den Mandaten geben", erklärt er. "Es ist aber eine Chuzpe, diesen Vorgang Deblockierung zu nennen, denn genau jene, die die Deblockierung verlangen, sind die Blockierer", sagt Marko und erinnert daran, dass es die HDZ war, die vor allem Gesetzesvorlagen und die Regierungsbildung, aber auch die Entsendung in Institutionen verhinderte.

Pluralismus gestört

Marko meint zudem, dass durch eine solche Entscheidung des Hohen Repräsentanten der Pluralismus zwischen verschiedenen kroatischen Interessen, die aufgrund der Bevölkerung in verschiedenen Landesteilen vorherrschen, empfindlich gestört oder sogar beseitigt werden könnte. Denn die Regelung führe zu einem "Quasimonopol einer Partei", gemeint ist die HDZ.

Kritik gibt es vor allem daran, dass Schmidt das Wahlgesetz so kurz vor den Wahlen am 2. Oktober ändern würde. Dagegen wird vorgebracht, dass die Änderung der Entsendeformel im Sinne der HDZ erst nach den Wahlen in Kraft treten soll. Marko warnt aber insgesamt vor einer Delegitimierung der Wahlen durch Änderungen kurz vor dem Urnengang. "Das sieht danach aus, als ob man Forderungen nachgibt, die als Manipulation aufgefasst werden können." Bereits in den letzten Monaten hatte die HDZ den Vorschlag gemacht, eine Neuordnung der Wahlbezirke einzuführen, um die eigenen Erfolgsaussichten zu maximieren, was an das in den USA bekannte Gerrymandering erinnert.

Friedensimplementierungsrat

Am Dienstag traf sich jedenfalls der Friedensimplementierungsrat, das Gremium vieler Regierungen, das für den Hohen Repräsentanten zuständig ist, um über die Vorschläge zur Änderung des Wahlgesetzes zu diskutieren. In dem Gremium, zu dem etwa auch die USA und Deutschland gehören, kam es allerdings zu keiner Einigung. Diplomaten zufolge hat Kroatien im Vorfeld die USA ersucht, sich bei Schmidt für eine Änderung des Wahlgesetzes einzusetzen. Die USA haben wiederum Interesse daran, an Kroatien militärische Ausrüstung zu verkaufen und das Land klar auf einem proamerikanischen Kurs zu halten.

Zudem gibt es in Washington eine starke Denkströmung, die eine Einigung zwischen der stärksten kroatischen und der stärksten bosniakischen Partei, der HDZ und der SDA, herstellen will in Anlehnung an das Washingtoner Abkommen von 1994. Der Initiative von Schmidt sollen nun Gespräche mit den Parteien folgen. Für die SDA erscheint es vor allem attraktiv, die Vetomöglichkeiten im Haus der Völker einzuschränken, was offensichtlich auch Teil eines Deals sein könnte. Offen ist aber, ob Schmidt die Bonner Vollmachten tatsächlich anwenden wird. In jüngster Zeit wurde jedoch ein Gespräch abgehört, wonach es in der Herzegowina zu gewaltsamen Ausschreitungen und der Ausrufung einer "dritten Entität", also eines eigenen Landesteils, kommen könnte, wenn das Wahlgesetz nicht im Sinne der HDZ verändert werde. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 19.7.2022)