Es gibt unter den Wiener Heurigen ein paar Traditionsbetriebe, deren Publikum gut mitgereift ist. Und es gibt Gaststätten, die sich ein neues Publikum erarbeitet haben. Der Mayer am Pfarrplatz in Heiligenstadt schafft beides. Es war Franz Mayer, der als erster Wiener Weinbauer jene neuen Qualitätsstandards umgesetzt hat, die damals in Klosterneuburg gelehrt wurden. Die Weine wurden sauberer gekeltert, die Stöcke besser erzogen – und er füllte als erster Winzer den Gemischten Satz als Alten Satz in der Bouteille ab. Damit gab er eine Richtung vor, die erst seit wenigen Jahren von den anderen Weinbauern und Marketern umgesetzt wird.

Der Mayer am Pfarrplatz spielt vor, wie Heurige auch heute Erfolg haben können.
Foto: Regine Hendrich

Eine Generation später keltert sein Sohn Franz-Michael Mayer seine Weine ähnlich revolutionär. Die Fachwelt staunt Jahr für Jahr. Der Junior baut einerseits kalifornische Chardonnay-Klone, andererseits Chenin blanc und Sémillon reinsortig sowie in hochkomplexen Gemischten Sätzen aus. "Schönin 1683" heißt sein Paradewein – benannt nach der Leitsorte Chenin blanc darin.

Erfolgsgeschichte mit Fortsetzung

Mayer Senior hatte ein Handerl für Wein, jedoch weniger für die Betriebswirtschaft. Er verpasste die rechtzeitige Betriebsübergabe innerhalb der Familie. Im ehemaligen Werber Hans Schmid fand er einen Käufer für den Betrieb. Schmid investierte und machte Heurigen wie Weinbau Mayer am Pfarrplatz wieder zu einem Leitbetrieb der Stadt. In Sachen Qualität platziert er mit der Linie "Rotes Haus" zudem einen innerbetrieblichen Konkurrenten. Die Erfolgsgeschichte findet die Fortsetzung, Hans Schmid hat den Mayer am Pfarrplatz zukunftssicher gemacht: Mit Erich Bernhard von BWM Architekten und dem Denkmalamt wurde der Betrieb zwei Jahre lang einer tiefgehenden Restaurierung unterzogen. Die Aufgabe: Gewachsenes belassen und Fehlendes oder Kaputtes ersetzen und ergänzen. Die Seele des Hauses sollte unberührt bleiben.

Das ist gelungen. So wurde etwa ein ehemaliger Lagerraum zu einem Gastraum umgestaltet, mit Weichholzlamperie versehen und mit dunkel gebeizten Holzstühlen, neu überzogenen Sitzkissen und Tischen ausgestattet. Die schmiedeeisernen Wandleuchten mit ihren mit Trauben- und Rebblättern verzierten Lampenschirmen wirken, als wären sie immer schon da gewesen. Neue Böden, mit Teilen der alten integriert, passende Leuchten und ein einzig wirklich auffällig modernes Teil – der Toilettenzugang – zeugen von Fingerspitzengefühl beim Gestalten. Das ehemalige Presshaus mit der hölzernen Presse aus dem 17. Jahrhundert wurde zu einem Geschäfts- und Verkostungsraum umgestaltet, der vordere Gastgarten komplett saniert, der Buffetraum und der ehemalige Küchenbereich sind nun weitere Gaststuben. Gespart wurde beim Umbau sicher nicht.

Trankler mit Tradition

Fragt man Lokalgrößen, Alteingesessene und Menschen, die Wien noch in Ruinen gesehen haben, woran man einen traditionellen und guten Heurigen erkennt, herrscht Einigkeit: Am Eingang bei den Fässern müssen ein paar g’standene Trankler stehen und Schmäh führen. In Blickweite vom Buffet sitzen dann die entsprechenden Frauen, um nichts leiser. Und der Wein dürfe nichts kosten – diese Zeiten scheinen jedoch vorbei zu sein. Dennoch finden traditionelle Trankler ihre Betriebe.

Eine stille Größe unter den Traditionsbetrieben ist der Feuerwehr Wagner in der unteren Grinzinger Straße. Nicht ganz abseits der Touristenströme, ist er seit 1683 die beruhigende Konstante in der sich gemächlich gestaltenden Heurigen- und Winzerszene. Der Arkadenhof und die Qualität des Buffets zeichnen ihn aus. Zusätzlich punktet er mit einem wirklich lässigen Pop-up am Nussberg mit Blick auf die Donauseite der Stadt.

Der Schübel-Auer setzt auf Tradition.
Foto: Regine Hendrich

Der Haselbrunner-Hengl in der Iglaseegasse besteht seit Generationen und gehört zu den klassischen Wiener Heurigen, wie auch der Schübel-Auer. Der Zusatz "Hengl" bei manchen Betrieben kommt von der Stange (Hengl), an die der Buschen beim Ausstecken gehängt wurde. Die Hengler waren die entsprechenden Familien. In Sievering sind der Haslinger und der Dreikugel-Schachinger Traditionsbetriebe, die bevorzugt am späteren Nachmittag aufgesucht werden. Der traditionelle Heurigenbesuch beginnt ab 16 Uhr, endet aber in der Regel deutlich früher. Wer die alten Pippler sehen und hören will, muss früh da sein. Die Jungen kämen lieber erst am Abend, hört man aus der Branche.

Junges Heurigenleben

Die jüngere Generation orientiert sich zusätzlich anders. Meutenmeinung, Influencer und hippe Listen im Internet geben die Richtung vor. Die muss nicht zwingend avantgardistisch sein, auch gut geführte Traditionsbetriebe werden geflutet. Dem Muth in der Probusgasse wurde nach vier Generationen ein fünftes Leben eingehaucht: Michael Landrichter hat die Gastgeberschaft übernommen. Zuvor war er über zwanzig Jahre lang Patron der Buschenschank Stift St. Peter, vulgo Dornbacher Pfarrer. Ihm gelingt es, mit Qualität, Charme und Schmäh den Betrieb auf einen zeitgenössischen Level zu heben.

Den Heurigen Muth übernahm nach vier Generationen zuletzt Michael Landrichter.
Foto: Regine Hendrich

Auch der Maly in der Sandgasse mit seinen zwei 100 Jahre alten Kastanien im Garten und Gartenlaube schafft es, junge Gäste anzusprechen. Diese Generation hat zusätzlich andere Ansprüche als die ältere. Seit es den Betrieben erlaubt ist, ihre Weingärten für die Ausschank zu öffnen, bommt der Wiener Wein. Der Anziehungskraft der Kombination aus Spazierengehen zwischen den Weingärten und Essen und Trinken zwischen den Rebzeilen, am besten noch mit Blick auf die Stadt, kann man sich kaum entziehen. Begonnen hat der wochenendliche Wahnsinn am Nussberg. Wieninger, Wailand und Mayer waren da die ersten Protagonisten mit ihren "Hütten". Mittlerweile ist das Angebot unüberschaubar, wer Rebfläche hat, hat auch ein paar Tische oder bietet Picknickdecken an. So lernen die Wienerinnen und Wiener wieder ihren Wein schmecken. Weniger erfreulich: Die Massen produzieren auch Massen an Mist und Schäden in den Weingärten. Solange es sich rechnet, wird sich aber kaum was ändern. Empfehlen kann man den Wieninger und Wailand am Nussberg, Rudolf Burners Hütte am Bellevue (nur sonntags offen) und das Hans & Fritz am Steinberg.

Neben dem Wiegel in Grinzing, ist seit vielen Jahren der Zawodsky im Kaasgraben ein Lieblingsbetrieb der Jeunesse dorée. Innen in vielerlei Hinsicht am Minimum, ist der Garten mit seinen alten Fallobstbäumen, der ungemähten Wiese und dem Blick auf die Kaasgrabenkirche auch für dem Kitsch abholde Menschen von immenser Anziehungskraft.

Stelze, Knacker, hartes Ei

Es geht aber auch anders: Die Betriebe an den Hängen des Wilhelminenbergs sind komplett attitudenfrei. Sie leben vor allem von der erweiterten Nachbarschaft; zum Überleben reicht es. Der Weinbau Stippert in Alt-Ottakring reizt etwa die alte Heurigenkultur bis ins letzte Detail aus – klassischer geht es nicht. Oberhalb eines seiner Weingärten am Hernalser Heuberg hat er eine Buschenschank mit einem schönen Wien-Blick und den Kapazitäten für Hochzeiten. Auch der Weinbau Herrmann, oberhalb des Ottakringer Bads, hat regelmäßig im Rebgarten ausgesteckt wie der mediterran angehauchte Heurige Sissi Huber in der Roterdstraße. Der Platzhirsch ist der Heurige des Weinbaus Leitner oben am Sprengersteig. Bei Taxlern auch als Stelzenheuriger bekannt, offeriert der kleine Horst einen herrlichen Blick, fantastische Knoblauchstelzen und eine breite Weinauswahl aus eigenem Anbau. Ohne Reservierung geht gar nichts.

In den vergangenen 15 Jahren ist aber auch eine neue Art Heurigenbetrieb entstanden. Es sind Jutta und Marco Kalchbrenner vom Weinbau Jutta Ambrositsch, deren "Buschenschank in Residence" sich regelmäßig in einen alten Betrieb einmietet und mit viel Erfolg vorzeigt, in welche Richtung sich die Heurigenkultur bewegen muss. Zu trinken gibt’s Eigenweine mit Ecken und Kanten, zu essen klassische Heurigengerichte – mit Zutaten von den besten regionalen Produzenten, und sei es nur ein hartes Ei oder ein Lavanttaler Knacker. Die Anmutung schafft den Spagat zwischen Brauchtum und Avantgarde, die Gäste werden zu Apologeten. Diese Zukunft hat vom 1. bis 3. Juli wieder ausgesteckt. (Gregor Fauma, 20.7.2022)