Carassius gibelio ist mit Goldfischen verwandt und verfolgt eine erfolgreiche Fortpflanzungsstrategie.
Bild: Fabian Oswald

Der Fisch namens Giebel ist ein ungewöhnlicher Zeitgenosse: Er – oder besser: es, das Weibchen – kann sich nicht nur gemeinsam mit einem Männchen fortpflanzen, sondern außerdem quasi selbstständig. Dadurch entstehen Klone des Weibchens. Um der ungewöhnlichen Fortpflanzungsmethode auf die Schliche zu kommen, konnte ein Forschungsteam aus Innsbruck erstmals das Genom des Giebels dekodieren, wie es im Fachjournal "Nature Communications" schreibt.

Weil die Vertreterinnen der Spezies sich so unabhängig durchschlagen können, gibt es fast ausschließlich weibliche Populationen dieses Fisches, der im Englischen als "Prussian carp", übersetzt "preußischer Karpfen", bekannt ist. Anders als viele andere Fischarten können sie sich die zeitintensive Partnersuche sparen, sind aber doch nicht ganz unabhängig von Männchen. Das Schräge dabei ist: Um nicht auf die selteneren Giebel-Männchen hoffen zu müssen, "klauen" die Giebel-Weibchen für die Anregung ihrer Eizellen stattdessen Spermien einer anderen Fischart.

Vorteil gegenüber Konkurrenz

Dabei handelt es sich um direkte Konkurrenz, nämlich die Karausche, die den gleichen Lebensraum bewohnt und in Europa heimisch ist – im Gegensatz zum Giebel, der sich als einer der erfolgreichsten invasiven Fischarten aus Asien kommend etabliert hat. Für die gefährdete Karausche wird der Spermienklau des Giebels zu einem existenziellen Problem. Wenn die Weibchen auf geschlechtliche Fortpflanzung verzichten, mischen sie sich unter einen Karauschenschwarm und lassen dort ihre abgelegten Eier von den Männchen mitbefruchten.

Die gekaperten Spermien regen die Eizelle des Giebels zur Teilung an. Anschließend wird das Erbmaterial des fremden Männchens in der Eizelle abgebaut, ohne weiter verwendet zu werden – man spricht von einer Jungfernzeugung. Alle so produzierten Nachkommen sind weibliche Klone des Giebelweibchens, Männchen kommen nur selten vor. "Die unisexuelle, also rein weibliche Fortpflanzung ermöglicht eine rasche Besiedlung von neuen Lebensräumen und bietet invasiven Arten einen großen Vorteil gegenüber den ursprünglich vorkommenden Konkurrenten", sagt die Limnologin Dunja Lamatsch von der Uni Innsbruck.

Durch die vollständige Entschlüsselung des Giebel-Genoms, in dem die gesamte vererbbare Information eines Organismus gespeichert ist, lasse sich der Mechanismus hinter seiner unisexuellen Vermehrung besser verstehen. Das Genom besteht aus mehreren Chromosomensätzen – der Giebel besitzt gleich sechs davon, er ist in der Fachsprache "hexaploid".

Komplizierte Entstehungsgeschichte

Gemeinsam mit Forschergruppen des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin (IGB) und der Universität Würzburg wurde das Genom des Giebels in einzelne Chromosomensätze zerlegt. Damit sei zum ersten Mal die gesamte Erbinformation eines hexaploiden Tiers beschrieben und alle sechs Chromosomensätze analysiert worden, betonten die Studienverantwortlichen. Das Genom des Giebels besteht aus insgesamt 150 Chromosomen, mehr als dreimal so viele wie das des Menschen, das üblicherweise 46 Chromosomen aufweist. Dabei handelt es sich aber nicht um einen sechsfachen Chromosomensatz wie beim Giebel, sondern um einen doppelten.

Von der Fortpflanzung ganz abgesehen, hätten Analysen zudem Aufschluss darüber gegeben, wie diese sechs Chromosomensätze nebeneinander existieren und zusammenarbeiten können. Die Identifizierung aller 150 Chromosomen ermögliche es zum ersten Mal, die gesamte Genomstruktur des Giebels sowie seine komplizierte Entstehungsgeschichte nachzuvollziehen.

Kreuzungen könnten für Jungfernzeugung gesorgt haben

Denn für den sechsfachen Satz an Chromosomen waren offenbar unterschiedliche Kreuzungen verantwortlich – mit eng und auch nicht verwandten Fischarten. "Vermutlich ist es bei diesen Kreuzungen irgendwann zu Problemen bei der Bildung der Keimzellen gekommen. Das könnte einer der Auslöser von unisexueller Vermehrung sein", sagt Lamatsch.

Bei Arten, die sich nur über Jungfernzeugung vermehren, falle ein Mechanismus der Zellteilung weg, die sogenannte Meiose, erklärt die Limnologin. Dabei wird die übliche Anzahl der Chromosomen halbiert, damit die Keimzellen von Weibchen und Männchen zusammengefügt wieder eine vollständige Anzahl enthalten. Wenn aber ohnehin nur die weiblichen Keimzellen – die Eizellen – einen neuen Organismus hervorbringen, müssen sie dafür nicht mit Spermienzellen verschmelzen. Nur zum Anregen der Teilung werden die Spermien der Karausche genutzt. Durch die neue Studie ergeben sich weitere Forschungsansätze, um die Biologie des invasiven Fisches besser zu verstehen. (sic, APA, 19.7.2022)