Im Tarantelnebel stießen Astronominnen und Astronomen auf ein Doppelpack aus ruhendem Schwarzen Loch und hellem Stern.

Foto: ESO, ALMA (ESO/NAOJ/NRAO)/Wong et al., ESO/M.-R. Cioni/VISTA Magellanic Cloud survey. Acknowledgment: Cambridge Astronomical Survey Unit

Neue Entdeckungen zu verkünden ist eigentlich nicht das Metier des internationalen Forschungsteams, das als "Schwarze-Löcher-Polizei" bekannt ist. Die Astronominnen und Astronomen sind eher für das Gegenteil bekannt: Sie überprüfen – und widerlegen – die Funde ihrer Kollegen. Doch nun berichtet das Team im Fachblatt "Nature Astronomy" von einem eigenen Fund: Im Tarantelnebel, einem Emissionsnebel in der Großen Magellanschen Wolke, stießen die Wissenschafter auf ein ungleiches Paar.

Sechsjährige Beobachtungen mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte Eso zeigten, dass der Stern des Systems VFTS 243 einen dunklen Zwilling hat. Das System besteht aus einem heißen, blauen Stern mit etwa 25 Sonnenmassen und einem Schwarzen Loch mit neun Sonnenmassen, die einander umkreisen. Doch im Gegensatz zu anderen Schwarzen Löchern ist dieses Exemplar besonders zahm – und daher schwer zu finden.

Beobachtungen am Very Large Telescope der Eso offenbarten das ruhende Schwarze Loch.
Foto: APA/AFP/Martin Bernetti

Herausfordernde Suche

Fällt Materie in Schwarze Löcher, wird sie zu einer extrem heißen Scheibe zusammengedrückt, die um den Ereignishorizont kreist. Diese sogenannte Akkretionsscheibe emittiert Röntgenstrahlung und erlaubt Astronomen, die Schwerkraftmonster aufzuspüren. Auch die unlängst veröffentlichten Fotos von Schwarzen Löchern bilden die Akkretionsscheibe ab. Doch nicht alle Schwarzen Löcher sind so gefräßig: Manche geben keine von der Erde messbare Strahlung ab und sind für uns unsichtbar – sie ruhen.

Solchen stillen Exemplaren kann man nur durch die Auswirkung ihrer Schwerkraft auf die Schliche kommen. Kreisen etwa mehrere Sterne um einen Punkt, wo scheinbar nichts ist, kann dort ein ruhendes Schwarzes Loch sitzen. Aus den Bahnen können Forscher dann die Masse des Objekts berechnen. Ruhende Schwarze Löcher verraten sich aber auch, wenn sie sich mit Sternen verpartnern und deren Bewegung kaum, aber messbar verändern.

Ruhiger Sternenkollaps

Auf diese Weise entdeckten die Wissenschafter nun das Schwarze Loch in VFTS 243. Und es stellt sich als Glücksfall heraus, dass es keine Röntgenstrahlung abgibt. Um solche auszusenden, müsste das Schwarze Loch Materie von seinem Partnerstern absaugen und akkretieren. Dabei entstehen aber starke Gezeitenkräfte, die den gemeinsamen Orbit des Paars beeinflussen. Wie die Forscher schreiben, wäre dabei sämtliche Information über die Entstehungsgeschichte des Doppelpacks verlorengegangen.

Die künstlerische Darstellung zeigt, wie das ungleiche Paar VFTS 243 aussehen könnte.
Foto: ESO/L. Calçada

Da das Schwarze Loch ruht, ist die ursprüngliche Umlaufbahn noch erhalten. Daher können die Wissenschafter aus der Form der Bahn Rückschlüsse auf die Entstehung des dunklen Zwillings ziehen: "Der Stern, der zum Schwarzen Loch wurde, ist völlig kollabiert, ohne Explosion", sagt Tomar Shenar, Erstautor der Untersuchung. Hätte der Stern seine äußeren Schichten schlagartig abgestoßen, wäre die Umlaufbahn des Doppelsystems stark elliptisch. Doch bei VFTS 243 ist sie beinahe ein perfekter Kreis.

Schwarze Löcher als Dunkle Materie

Die Fachleute vermuten, dass der Stern von VFTS 243 in Zukunft ebenfalls zu einem Schwarzen Loch wird, das mit seinem Partner verschmilzt. Auf diese Weise könnten besonders leichte Schwarze Löcher entstehen. Diese Objekte mit nur wenigen Sonnenmassen werden stellare Schwarze Löcher genannt und sollten im Universum eigentlich allgegenwärtig sein. Doch ihre Herkunft ist unklar.

Eine mögliche Entstehungsgeschichte wäre die Fusion eines massearmen Neutronensterns und eines primordialen Schwarzes Lochs. Letztere sind kleine Schwarze Löcher, die zahlreich in der Frühphase des Universums entstanden sein könnten. Versteht man den Entstehungsprozess stellarer Schwarzer Löcher, sollte dies auch Rückschlüsse auf ihre dunklen Vorfahren erlauben. Und diese uralten Schwarzen Löcher stehen ganz oben auf der astronomischen To-do-Liste, denn sie könnten Teil der rätselhaften Dunklen Materie sein.

"Ich hänge der Theorie an, der zufolge die Dunkle Materie aus primordialen Schwarzen Löchern aus der frühesten Zeit des Universums besteht", sagt Günther Hasinger, Wissenschaftsdirektor der Europäischen Weltraumorganisation Esa. Kein Wunder also, dass die Suche nach Schwarzes-Loch-Stern-Systemen auch Teil des europäischen Gaia-Projekts ist. Die Wissenschafter erwarten, dass die exakten Messungen der Sonde zahlreiche Kandidaten für solche Doppelsysteme offenbaren werden. Der neueste Fund der "Schwarze-Löcher-Polizei" wird jedenfalls nun selbst genau überprüft – und, falls nötig, verworfen. (Dorian Schiffer, 19.7.2022)