Ministerpräsident Mario Draghi hat sich knapp eine Woche nach seinem Rücktrittsgesuch grundsätzlich zum Verbleib im Amt bereiterklärt.

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Vorsichtiges Aufatmen in Rom – und auch in Brüssel: Am Mittwochvormittag hat Ministerpräsident Mario Draghi vor dem Senat grundsätzlich seine Bereitschaft zum Verbleib im Amt erklärt– unter der Bedingung, dass sich die Parteien seiner breiten Koalition neuerlich hinter ihn stellen.

"Seid ihr bereit, den Pakt des Vertrauens zu erneuern?", fragte Draghi die Senatoren. Eine Neuauflage der Regierungskoalition – eine Einheitsregierung, die Parteien von links bis rechts außen vereint – sei das, was die Italiener wollten. Damit ist die eigentliche Entscheidung gefallen. Nun folgen im Senat eine fünfeinhalbstündige Diskussion, Draghis Replik und eine formellen Vertrauensabstimmung. Das Votum wird um 19.30 Uhr erwartet. Am Donnerstag wiederholt sich das Ganze im Abgeordnetenhaus.

Ungewissheit bis zum letzten Moment

Bis zu Draghis Erklärung im Senat war offen gewesen, ob er bei seiner Rücktrittsentscheidung von letzter Woche bleibt – oder ob er bereit ist, sein Amt unter bestimmten Bedingungen weiterzuführen. Normalerweise begibt sich ein Premier bei einer Regierungskrise ins Parlament, um abzuklären, ob seine Regierung noch das Vertrauen der Parteien genießt. Diesmal war es paradoxerweise umgekehrt: Es waren die Parteien der ehemaligen Regierungskoalition, die darauf hoffen mussten, dass Draghi ihnen noch einmal das Vertrauen schenkt und eine letzte Chance gibt. Nach der Erklärung brach tosender Applaus im italienischen Oberhaus aus – nur die Fünf-Sterne-Partei, eine wichtige Partei seiner Koalition, und die rechte Lega blieben regungslos, wie die "Repubblica" berichtet.

Der ehemalige EZB-Chef hat genug parlamentarische Unterstützung, um auch ohne die Fünf-Sterne-Protestbewegung weiterzuregieren. Doch dieses Szenario hat Draghi bisher abgelehnt, weil dies nicht mehr seinem Regierungsauftrag – dem Führen einer nationalen Einheitsregierung – entsprechen würde.

Noch ist unklar, wie die Fünf-Sterne am Mittwochabend abstimmen werden. Die Bewegung ist zerstritten. In den italienischen Medien waren zuletzt Spekulationen aufgekommen, dass Draghi im Amt bleiben wolle, falls ihn ausreichend viele Fünf-Sterne-Parlamentarier unterstützen sollten.

"Pakt des Vertrauens" zerbrochen

Draghi hatte vergangene Woche seinen Rücktritt erklärt, nachdem die Fünf-Sterne-Protestbewegung, die Vertrauensabstimmung über ein 23 Milliarden schweres Antikrisenpaket boykottiert hatte. Draghi hatte die Abstimmung trotzdem klar gewonnen – die Regierung hatte also ihre Mehrheit im Parlament nicht verloren. Das war auch der zentrale Grund dafür gewesen, dass Staatspräsident Sergio Mattarella den Rücktritt des Premiers erst einmal abgelehnte und ihn ins Parlament schickte, um sich dort zu rechtfertigen.

Der Beschluss der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung, nicht an der Vertrauensabstimmung teilzunehmen, bedeute das Ende des Paktes, der die Koalition bisher zusammengehalten habe, sagte Draghi nun vor dem Senat. "Das kann man nicht ignorieren", warnte Draghi. Damit sei der "Pakt des Vertrauens" gebrochen worden. Der Premierminister hob dann die Mobilisierung für den Amtsverbleib der Regierung hervor: 1.500 Bürgermeisterinnen von Turin bis Palermo forderten Draghi auf, im Amt zu bleiben, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Universitätsrektoren und viele andere Berufsgruppen taten dasselbe. Besorgte und ermunternde Anrufe erhielt Draghi aus Brüssel, Washington, Kiew und unzähligen europäischen Staatskanzleien.

Rezepte gegen die Mehrfachkrise

Draghi wird sich allerdings nicht mit einer bloß numerischen Mehrheit bei der Abstimmung zufrieden geben. Vielmehr erwartet er eine politische Mehrheit für seine Projekte und von den Parteien ein klares Bekenntnis zu seinem Programm, mit dem der Mehrfachkrise, mit der Italien so wie der Großteil Europas konfrontiert ist – Inflation, Energie-Engpass, drohende Rezession, Ukraine-Krieg, Klimawandel und Dürre, Rückkehr der Pandemie –, begegnet werden kann. Von der von Draghi verlangten Einigkeit unter den bisherigen Koalitionspartnern war bisher freilich wenig zu sehen. Die Parteien brachten es sogar fertig, sich darüber in die Haare zu geraten, in welcher Parlamentskammer – Senat oder Abgeordnetenhaus – Draghi zuerst auftreten sollte.

Der 74-Jährige vermag bei den Parteien und ihren Führern bisher weder Einsicht noch Loyalität noch den Willen zu erkennen, das Wohl des Landes über ihre kurzfristigen Parteiinteressen und persönlichen Ambitionen zu stellen. Das betrifft insbesondere Fünf-Sterne-Chef Giuseppe Conte, der die Regierungskrise losgetreten hat und von seinen Ultimaten und Bedingungen weiterhin nicht ablässt, sondern vielmehr den Ton noch täglich verschärft. Aber es gilt auch für Lega-Chef Matteo Salvini, der seit Donnerstag auf Neuwahlen im Herbst – und damit auf eine Ende der Regierung Draghi – hinarbeitet und dabei von Silvio Berlusconi mehr oder weniger offen unterstützt wird. (Dominik Straub, Flora Mory, 20.7.2022)