Beim Besuch des slowakischen Premiers Eduard Heger bei seinem Amtskollegen Karl Nehammer in Wien stand der Ukraine-Krieg im Fokus. Drohende Energieengpässe und die Teuerung bereiten der Politik Kopfzerbrechen – während Heger zu Hause mit einer Koalitionskrise zu kämpfen hat.

Zu Wochenbeginn besuchte der slowakische Ministerpräsident Eduard Heger (links) seinen Amtskollegen Karl Nehammer in Wien.
Foto: Reuters / Leonhard Foeger

STANDARD: Die Slowakei grenzt im Westen an Österreich, im Osten an die Ukraine. Wie prägt die geopolitische Situation die Stimmung im Land?

Heger: Bei uns gibt es noch die Erinnerung an 1968, als die Sowjetunion in die Tschechoslowakei einmarschierte. Nun sehen wir die brutale Attacke gegen die Ukraine, das Töten von Zivilisten. Sollten die Russen die Ukraine erobern, stünden sie an unserer Grenze. Schon aus Sicherheitsgründen wollen wir, dass unsere Nachbarn stabile Staaten sind. Aber auch aufgrund von ökonomischen Erwägungen: Wenn die Ukraine prosperiert, prosperiert auch die Slowakei.

STANDARD: Folgen Ihnen die Menschen bei den Sanktionen? Fürchten sie wirtschaftliche Folgen und Gaskrise?

Heger: Ich glaube, die Menschen in der Slowakei verstehen die Lage. Wir wollen uns aus der Abhängigkeit von russischen Rohstoffen befreien, weil wir sehen, dass Russland kein verlässlicher Partner ist. Deshalb füllen wir die Gasspeicher, haben einen Vertrag mit Norwegen geschlossen sowie Verträge mit anderen Staaten, um Flüssiggas zu kaufen. Unsere Abhängigkeit von russischem Gas lag zunächst bei 85 Prozent, aber wir konnten sie bereits auf 40 Prozent senken.

STANDARD: Die Sorge um die Energieversorgung hat auch ein altes Konfliktthema zwischen der Slowakei und Österreich wieder auf die Agenda gebracht, nämlich die Atomenergie. Sind da neue Debatten zu erwarten?

Heger: Mehr als 50 Prozent unseres Energiemixes kommen aus Kernkraft. Man kann sie kurz- oder mittelfristig nicht einfach durch etwas anderes ersetzen. Wir verstehen, dass Österreich zu diesem Thema einen anderen Zugang hat; aber ich betone immer, dass die Sicherheit unserer Bürger und natürlich die der Bürger unserer Nachbarstaaten oberste Priorität hat.

STANDARD: Ist die Slowakei bei AKW-Brennstäben von Russland abhängig?

Heger: Die Brennelemente kommen aus Russland, aber wir verhandeln seit Monaten mit alternativen Anbietern. Das ist ein langwieriger Prozess. Das Uran ist dabei nur ein Aspekt, dazu kommt die Technologie zur Herstellung der Brennstäbe. Inklusive der nötigen Lizenzen kann die Umstellung bis zu sechs Jahre dauern. Aber wir bemühen uns, das zu beschleunigen, so gut es geht.

STANDARD: Kurz vor Kriegsausbruch stimmte das slowakische Parlament für das sogenannte Defence Cooperation Agreement (DCA), eine vertiefte militärische Zusammenarbeit mit den USA. Zuvor gab es aber Kontroversen ...

Heger: Es gab rund um das DCA eine Menge Desinformation, Propaganda und Lügen. Manche haben etwa gesagt, dass die USA in der Slowakei Atomwaffen stationieren wollen oder dass wir unsere Souveränität aufgeben. Dieselben Leute haben auch gesagt, dass Russland die Ukraine niemals angreifen wird – und nur ein paar Tage später kam dann genau dieser Angriff. Viele sind danach aufgewacht und haben gesehen, welche Lügen da im Umlauf waren. Auch die Unterstützung für die Nato stieg sofort um 20 Prozent.

STANDARD: Die Slowakei hat jetzt den Vorsitz in der Visegrád-Gruppe, in der auch Tschechien, Polen und Ungarn vertreten sind. Polen tritt gegenüber Russland kritischer auf als Ungarn. Verliert Visegrád dadurch an Einfluss?

Heger: Visegrád war nie eine Plattform, in der alle derselben Meinung sind. Das ist auch im Bezug auf den Krieg in der Ukraine so. Gleichzeitig sehen wir einen steigenden Bedarf dafür, dass Mitteleuropa die Debatten in der EU insgesamt bereichert.

STANDARD: Die Slowakei ist das einzige Visegrád-Land, das den Euro eingeführt hat. Mit welchem Resümee?

Heger: Die Menschen haben sich sehr schnell mit dem Euro angefreundet. Der fehlende Wechselkurs macht das Leben für Unternehmen und auch für die Bürger leichter. Die Zustimmung zum Euro beträgt laut Umfragen etwa 70 Prozent.

STANDARD: Der Mord am Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak hat 2018 eine große Protestwelle ausgelöst. Wie ist die Atmosphäre jetzt?

Heger: Unsere Regierung war die Antwort auf den Ruf der Gesellschaft nach Veränderung. Natürlich gibt es Diskussionen über die Lösungen unserer Probleme, und gerade jetzt gibt es wieder einigen Wirbel. Aber die Menschen wollen nach wie vor die Festigung demokratischer Institutionen und die Bekämpfung der Korruption. Dafür braucht man Zeit und Stabilität. Daher appelliere ich an meine Partner, an dieser Stabilität festzuhalten. (INTERVIEW: Gerald Schubert, 19.7.2022)