Der iranische Präsident Ebrahim Raisi empfängt seine türkischen Amtskollegen und russischen Tayyip Erdoğan und Wladimir Putin.

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Es ist mehr als nur ein einziger Gipfel, zu dem am Dienstag – beziehungsweise im Fall von Recep Tayyip Erdoğan schon am Montag – die Präsidenten Russlands und der Türkei in Teheran bei ihrem Amtskollegen Ebrahim Raisi anreisten. Es gab bilaterale Gespräche und Besuche beim iranischen geistlichen Führer Ali Khamenei, aber eben auch ein Dreiertreffen: Ein paar Tage nach dem großen arabischen Gipfel, zu dem US-Präsident Joe Biden im saudischen Jeddah erschienen war, demonstrierten die Staatschefs – darunter mit Erdoğan einer eines Nato-Staats –, dass es auch noch andere Machtzentren in der Region gibt.

Erdoğan hat seit Kriegsbeginn in der Ukraine wiederholt den Wunsch nach einem Treffen mit Putin geäußert, der sich reserviert zeigte: Ankara unterstützt die Ukraine, auch mit Waffen, spielt den Wachhund am Bosporus, wo keine Kriegsschiffe im Einsatz durchfahren dürfen, und hat den Widerstand gegen die Nato-Erweiterung durch Finnland und Schweden aufgegeben.

Dennoch will Erdoğan von Putin grünes Licht für seine seit Wochen angekündigte neue Militäroperation in Nordostsyrien. Die Würfel dazu sollten in Teheran fallen. Der türkische Präsident versucht sich seinerseits nützlich zu machen, indem er den Russen anbietet, ohne Gesichtsverlust einen "Weizenkorridor" einzurichten. Zwar ist die öffentliche Meinung in den akut von Hunger bedrohten Regionen Nordafrikas und des Nahen Ostens keineswegs antirussisch: Für die Misere werden die USA und die Nato verantwortlich gemacht. Aber auch Moskau hat an einem völligen Zusammenbruch der betroffenen Staaten kein Interesse.

Das Astana-Format

Russland und der Iran sind die Verbündeten des Assad-Regimes in Syrien, die Türkei dessen Gegner. Die drei arbeiten jedoch im "Astana-Format" zusammen, benannt nach der (inzwischen umbenannten) Hauptstadt Kasachstans, wo es begann. Das Dreiertreffen ist der siebte Gipfel der Astana-Staatschefs, wobei in Teheran bis vorigen Sommer ein anderer, Hassan Rohani, zugange war.

Außerdem findet in Teheran die siebte Ausgabe des "Türkisch-iranischen Kooperationsrats" statt sowie ein bilaterales Treffen zwischen Putin und Raisi, die sich zuletzt aber auch im Juni beim "Kaspischen Gipfel" in Turkmenistan gesehen haben. Für Putin ist es die erste Reise seit dem Überfall auf die Ukraine, die ihn in einen Staat außerhalb der Grenzen der früheren Sowjetunion führt.

Hauptthema war Syrien. Moskau hat vor wenigen Tagen klargemacht, dass es auch die von der Uno geführten Friedensbemühungen torpedieren kann. Damaskus hat überraschend die nächste Runde der Verfassungsgespräche mit der Opposition in Genf abgesagt, die am 25. Juli hätte beginnen sollen. Nicht die syrischen Beschwerden über den Genf-Mechanismus oder die Zusammensetzung der im Ausland angesiedelten syrischen Opposition sind der Grund, sondern der Wunsch Putins. Für Staatschef Bashar al-Assad, der ohnehin keine Zugeständnisse machen will, ist das jedoch sehr bequem. Und im Westen weiß man, dass er sich nie bewegen wird, wenn Moskau nicht darauf drängt.

Russische Kritik an der Schweiz

Russland wirft der Schweiz vor, ihre Neutralität verloren zu haben, als sie sich als Reaktion auf den Ukraine-Kriegs den westlichen Sanktionen anschloss. Genf sei deshalb kein geeigneter Verhandlungsort mehr. Bei der letzten Runde hatten die Russen über Visaprobleme und den kühlen Empfang in der Schweiz geklagt. Wie es weitergehen soll, weiß man nicht. Russland hat andere Verhandlungsorte vorgeschlagen.

Gegen eine neuerliche türkische Operation in Syrien – es wäre die fünfte seit 2016 – haben nicht nur das syrische Regime und Russland etwas, sondern auch der Iran. Eines der möglichen Ziele eines türkischen Angriffs ist Tal Rifaat, und in dessen Nähe sind in den schiitischen Dörfern Nubl und al-Zahra Iran-gestützte Milizen stationiert. Das ergibt türkisch-iranisches Konfliktpotenzial.

Khamenei warnte Erdoğan bei ihrem Treffen, jeder Angriff in Syrien würde nur "Terroristen helfen", jenen des IS. Das ist ausnahmsweise eine Befürchtung, die die USA teilen: Erdoğan will ja in Syrien die Kurden der YPG-Milizen von der Grenze vertreiben. Er stuft sie als "PKK-Terroristen" ein, den USA hingegen dienten sie als lokale Truppe im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS). Den halten die YPG auch noch heute in Schach und wachen über tausende internierte ehemalige IS-Kämpfer und deren Familien. Allerdings lautet das Narrativ in Teheran, dass die USA – und Israel – den IS selbst geschaffen hätten.

Symbol Kobane

Für die USA, die zur Unterstützung der YPG beziehungsweise ihrer Dachorganisation SDF (Syrische Demokratische Kräfte) noch immer ein paar hundert Soldaten in Syrien haben, wäre besonders ein türkischer Angriff auf Kobane bitter. Die Stadt ist 2014 durch die große Schlacht gegen den IS zum Symbol geworden.

Auch wenn Russland und der Iran stark gegen eine türkische Offensive sind: Die Demütigung der Schutzmacht der syrischen Kurden, der USA, hätte auch eine gewisse Attraktivität. Und die Kurden würden dadurch dem Assad-Regime, mit dem sie sich schon früher arrangiert haben, weiter in die Arme getrieben.

Also könnte es nach Teheran vielleicht doch zu einem Deal kommen, bei dem im Gegenzug die Türkei dem syrischen Regime wieder ein Stückchen mehr vom türkisch kontrollierten Nordwesten, der Provinz Idlib, überlässt. Dort haben zuletzt die Operationen Türkei-gestützter Rebellen und der Terrororganisation HTS auf der einen Seite und die Bombardements durch russische und Regime-Sicherheitskräfte auf der anderen Seite an Intensität zugelegt.

Für Putin und Raisi ist das Treffen eine Gegenveranstaltung zur Biden-Reise: Ein Memorandum of Understanding zwischen der Gazprom und der NIOC (National Iranian Oil Company) soll unterstreichen, dass man auch bei der Zusammenarbeit im Bereich Energie weiter gekommen ist als der US-Präsident in Saudi-Arabien. Und Putin und Raisi verbindet auch noch die Klage über die angebliche westliche Russophobie bzw. Iranophobie. (Gudrun Harrer, 19.7.2022)