Bundeskanzler Karl Nehammer ist ein studierter Kommunikationsexperte. Bisweilen ist sein Kommunikationsverhalten allerdings einigermaßen auffällig.

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In der Krisenkommunikation der Regierung sei "keine Strategie erkennbar", sie sei "unpräzise und chaotisch". Dies führe zu einer fatalen Verunsicherung der Bevölkerung, meint Krisenkommunikationsexperte Martin Zechner.

Sie bemühen sich zumindest. Da die türkis-grüne Regierung wegen ihrer suboptimalen Krisenkommunikation permanent unter Kritik steht, haben jetzt einige aus der Ministerriege einen Zahn zugelegt. Vielleicht auch, weil ihnen die ständigen Verweise auf den deutschen grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck auf die Nerven gehen, der die Bevölkerung mit verständlichen Worten aufklärend durch diese Krisenmonate begleitet.

In der heimischen Koalition haben jetzt Habecks Kollegen, Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP), Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) und auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), ihre Krisenkommunikation in den sozialen Medien wie Twitter merklich ausgebaut. Bundeskanzler Karl Nehammer wiederum setzt mehr auf Bildsprache: Er bastelt am Image eines "Krisenkanzlers" und sagte jetzt die Teilnahme an den Bregenzer und den Salzburger Festspielen ab. Er wolle sich auf die Bekämpfung der Teuerung konzentrieren, ließ Nehammer ausrichten.

Die Krisenkommunikation der Koalition beginnt, so scheint es, langsam anzulaufen. Für den Krisenkommunikationsexperten Martin Zechner reichen diese zaghaften Versuche aber bei weitem nicht. Die Regierungskommunikation sei nach wie vor "unpräzise und chaotisch, da ist keine einheitliche Strategie erkennbar". Der Autor und "Krisen"-Lehrende an der Leobener Montanuni befindet, es fehle "nach wie vor ein nachvollziehbares Gesamtkonzept. Twitter allein ist zu wenig, das verpufft."

"Aus der Pandemie nichts gelernt"

"Wir haben aus der Pandemie eigentlich nichts gelernt, die Kommunikation der Regierung ist noch immer nicht entpolitisiert, sie dient nach wie vor dem parteipolitischen Nutzen", kritisiert Zechner im Gespräch mit dem STANDARD. Die Politik setze auf homöopathische Beruhigung statt auf eine klare Zielgruppenkommunikation. Eine Strategie, die schon bei der Pandemie weitgehend versagt habe.

Zudem, als Sidestep: "Wer nimmt einen Kanzler als Krisenmanager noch ernst, wenn der zum Alkohol- oder Medikamentenkonsum aufruft?" Nehammer hatte kürzlich gedroht: "Wenn wir jetzt so weitermachen, gibt es für euch nur zwei Entscheidungen: Alkohol oder Psychopharmaka."

Das Resultat der bisher "abermals verkorksten Regierungskommunikation": eine fatale Verunsicherung in der Bevölkerung, "weil sie im Unklaren bleibt".

Reinen Wein einschenken

Was wäre zu tun? "Das Wichtigste sind Offenheit und Transparenz, die Wahrheit ist den Menschen zumutbar", sagt Zechner. Auf planbare Risiken müsse besser vorbereitet werden, es müssten Handlungsanleitungen – "und zwar rechtzeitig, also jetzt" – für alle, für die Industrie, die KMUs, die Gemeinden, die Bevölkerung, erarbeitet, fixiert und akkordiert veröffentlicht werden. "Alle Pläne müssten offengelegt, Risiken und Handlungsempfehlungen klar kommuniziert werden. Eine offensive Kommunikation hilft, Krisen zu bewältigen", sagt Martin Zechner.

Ein gutes Beispiel, wie es gehen könne, liefere die Schweiz. Hier werde über die Bundesräte, die Politik "reiner Wein eingeschenkt". Eine eigene Gesellschaft etwa bereite schon jetzt Strategien für Stromengpässe vor und plane bereits Handlungsrichtlinien, "was für die Großverbraucher, aber auch die Haushalte im Falle des Falles zu tun ist. Die Bevölkerung wird vorbereitet. In Österreich bleibt es bei kleinen Puzzlesteinen."

Durch die Verunsicherung entstehe jedenfalls "unermesslicher Schaden". Die Regierungskommunikation ist nach Ansicht Zechners bereits ein "Krisenbeschleuniger". (Walter Müller, 20.7.2022)