Jubel für Dirigent Teodor Currentzis bei der "Ouverture spirituelle" in Salzburg.

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Äußerlich betrachtet erweist sich der dienstägige Beginn der "Ouverture spirituelle" als einer der üblichen Art. Der Einzug des Publikums gemächlich, weit und breit keine Protestschilder gegen den griechisch-russischen Dirigenten des Abends, Teodor Currentzis, dessen Position zum Putin-Regime zweifelhaft bleibt.

Äußerlich also alles Routine, Applaus für Currentzis, der sich nur kurz feiern lässt. Interessant nur die Tatsache, dass Jedermann Lars Eidinger zum ersten Spirituelle-Konzert, das unter dem Motto "Sacrificium" steht, in kurzen Hosen erschien. Ist ja auch wirklich heiß in Salzburg.

Dann allerdings inhaltlich Ungewöhnliches: Es beginnt die 13. Sinfonie von Schostakowitsch, also "Babij Jar", zwar mit dem bekannten Glockenton. Es übernimmt jedoch sogleich Kantor Naftali Wertheim und haucht bewegend, im fragilen Tonfall vitaler Melancholie, "Kaddish", das Totengebet des jüdischen Ritus. Diese Idee von Currentzis ist durchaus schlüssig. Schostakowitschs Dreizehnte ist ein komponierender Akt des Gedenkens an die von den Nazis 1941 in der Ukraine ermordeten Juden.

Melodische Schattenwesen

Das Adagio "Babij Jar" ist beim Gustav Mahler Jugendorchester – nach "Kaddish" – ein eindringlich gespenstischer Eröffnungssatz, der sich zum dramatisch-wilden Höhepunkt aufschaukelt, auf dem alle Musiker und Musikerinnen plötzlich stehend spielen. Eine Currentzis-Eigenheit.

Die weiteren Sätze zeigen des Dirigenten Hang zu Kontrasten und einer nie kitschigen, aber durchaus signifikanten Schönheit des Klanges, die in sich Tränen zu bergen scheint. Der Adagio-Satz "Im Laden" vermittelt lineare Strukturen, die wie Schattenwesen klingend vorbeiziehen und dann in einem gewaltigen Crescendo zu voller Drastik emporwachsen. Besonders der Satz "Angst" ist aber ein Largo, das im intimen, leisen Bereich die Qualitäten dieses Orchesters zeigt.

Wehmut und Trauer

Es kann diese Symphonie auch drastischer, greller umgesetzt werden. Unter Currentzis atmet sie aber durchaus das Entsetzen über die Katastrophe, die Wehmut und Trauer über den Verlust.

Die ersten Zeilen des vertonten Gedichts von Jewgenij Jewtuschenko – "Es steht kein Denkmal über Babij Jar. Die steile Schlucht mahnt uns als stumme Zeichen" – waren übrigens auch eine direkte Kritik an der sowjetischen Erinnerungskultur. Da gab es einst offiziell keinerlei Ambitionen, mit Gedenksymbolik an das Massaker zu erinnern.

Obwohl nach Stalin unter Nikita Chruschtschow eine Art Tauwetter in der UdSSR herrschte, unternahm die Politik Versuche, die Uraufführung zu verhindern oder den Text zu ändern. Die jüdische Tragödie sollte sprachlich in einer gesamtrussischen untergehen.

Programm aus der Zeit vor dem 24. Februar

So sollte man das Programm dieses Konzerts aber nicht zwangsläufig symbolisch lesen als Anklage gegen das, was gerade in der Ukraine passiert, oder als Protest gegen die Diktatur in Putins Russland. Das Programm stand schon vor dem 24. Februar, vor Kriegsbeginn, fest.

Für Currentzis, seinen qualitätsvollen MusicAeterna-Choir, den grandiosen Bass Dmitry Ulyanov und den Bachchor Salzburg gab es nach einer vom Dirigenten angebahnten Schweigeminute demonstrativen langen Applaus samt Standing Ovations. Als gäbe es zum interessanten Maestro nicht die eine oder andere offene, unangenehme Frage. (Ljubiša Tošić,20.7.2022)