Manchmal fällt es schwer, aus der Gedankenspirale auszubrechen – Ablenkung kann helfen.

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Sommer bedeutet für viele eigentlich Leichtigkeit, sich mit Freunden treffen, lauschige Abende verbringen, den Sternenhimmel beobachten oder auch ins kühle Nass springen. Doch nicht alle Menschen scheinen den Sommer genießen zu können. Zu viele Themen lassen die Gedanken im Moment nicht zur Ruhe kommen. Dabei wünschen sich viele nichts sehnlicher als "einen Sommer wie damals". Es ist aber nicht so wie früher – und so wird es womöglich auch nicht mehr werden. Die Corona-Zahlen sind so hoch wie in noch keinem Sommer zuvor, und auch die Inflation und die Gaskrise lassen sorgenvoll in Richtung Herbst blicken.

Das lässt die Gedanken bei einigen ständig um das gleiche Thema kreisen. Im Englischen wird das "rumination" genannt, was so viel bedeutet wie "Wiederkäuen". Die Schweizer Autorin und Kolumnistin Nina Kunz widmet diesem Wiederkäuen ein ganzes Kapitel in ihrem Buch "Ich denk, ich denk zu viel". Sie beschreibt darin, wie sie vor allem während des Lockdowns viel allein zu Hause saß und ihre Gedanken, während sie ihre Schubladen sortierte, immer weiter abdrifteten. Sie verlor sich dabei in Fragen wie: "Wo führt das alles hin? Bin ich infiziert? War die Welt schon immer so?"

Gedankenschleife um Hyperobjekte

Sie selbst empfindet das Grübeln "manchmal als hilfreich, manchmal endet es aber auch in einer Art Angstspirale". Wobei Letzteres eigentlich nichts mehr mit dem Grübeln an sich zu tun hat. Der Psychiater Johannes Wancata, Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie am AKH Wien, erklärt: "Es gibt einen Unterschied zwischen Grübeln und Sich-Sorgen-Machen. Beim Grübeln geht es darum, ob ich selber etwas dagegen tun kann. Oder ich suche Antworten auf die Frage, warum etwas schiefgegangen ist." Das können eine zerbrochene Beziehung sein, Unstimmigkeiten im Job oder auch ein Streit mit Freunden. Man denkt also darüber nach, was man selber hätte anders machen können.

Neben dem Grübeln gibt es dann noch das Sich-Sorgen-Machen. Dabei geht es oft um Dinge, die man selbst nicht beeinflussen kann. Der Psychiater weiß: "Mache ich mir über die Weltlage Gedanken, über den Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie oder fürchte ich mich davor, ob ich im Herbst die Energiekosten noch bezahlen kann, nennt man das nicht mehr Grübeln. Das sind dann Sorgen und Ängste, auf die ich persönlich wenig Einfluss nehmen kann."

Sich wegen solcher komplexen und großen Probleme zu sorgen kennt auch Nina Kunz sehr gut. Sie erklärt: "Der US-amerikanische Philosoph Timothy Morton hat dafür das Wort Hyperobjekt erfunden. Ein Beispiel dafür ist etwa die Klimakrise. Man kann sie einfach nicht fassen wie etwa ein Glas, das vor mir steht." Solche Hyperobjekte laden ihrer Meinung nach besonders zu Gedankenschleifen ein, aus denen man schwer ausbrechen könne, weil sie eben nicht zu Ende denkbar seien.

Grübeln tut jeder – es kann aber auch krankhaft sein

"Sich Gedanken machen, Sorgen haben und grübeln kennen fast alle Menschen", weiß Wancata und erklärt weiter: "Schwierig wird es dann, wenn das Grübeln nicht mehr gestoppt werden kann und vielleicht sogar der Alltag dadurch beeinträchtigt wird." Dann steckt jedoch meistens noch eine andere Erkrankung dahinter, weiß der Experte: "Vor allem im Rahmen von Depressionen und Angststörungen kann es dazu kommen, dass Menschen aus dem Grübeln und Sich-Sorgen-Machen nicht mehr herauskommen." In diesem Fall müsse jedoch zuerst an der Ursprungserkrankung gearbeitet werden.

Um selbst herausfinden zu können, ob die eigenen Gedankenspiralen vielleicht schon in eine krankhafte Richtung gehen, gibt es laut Wancata eine Faustregel: "Wenn ich merke, dass ich mich immer wieder mit ein und demselben Thema beschäftige, sollte ich kurz auf die Uhr schauen. Wenn ich nach zwei Minuten immer noch beim gleichen Thema hängengeblieben bin, bedeutet es zwar noch nicht, dass ich krank bin, es ist jedoch ein Zeichen dafür, dass ich mir schwertue, aus dem Grübeln oder aus dem Sorgenmachen wieder herauszukommen.

Ablenkung und Austausch suchen

Wege, um die negativen Gedanken wieder abzuschalten, gibt es einige – vor allem Ablenkungen führen häufig zum Ziel. "Oft kann es helfen, ein Buch zu lesen, jemanden anzurufen oder auch die Wohnung aufzuräumen", weiß der Experte. Das funktioniert tagsüber meistens sehr gut. Schwieriger wird es, wenn man sich beim Einschlafen schwertut, die Gedanken weiterziehen zu lassen. Aber auch hier hat Wancata ein paar Ideen: "Eine Möglichkeit ist, den Tag Revue passieren zu lassen und an die Situationen zu denken, die schön waren. Manchen hilft es auch, ein Lied zu summen, bis man einschläft." Mitunter könne es auch hilfreich sein, sich vor dem Schlafengehen hinzusetzen und die Sorgen und Ängste aufzuschreiben und sich dann zu fragen: Was kann ich in dieser Situation wirklich tun? Kann ich überhaupt etwas tun?"

Für die Autorin und Kolumnistin Nina Kunz hat das Grübeln jedoch auch durchaus spannende Seiten. "Ich mag die Ambivalenz daran. Grübeln kann auch total schön sein." Für sie gibt es auch nicht unbedingt einen Grund dafür, den Weltschmerz beiseitezuschieben, wenn er nun einmal da sei. "Mich stört es total, dass unsere Welt immer auf Tipps abzielt. Wenn du ein Unbehagen oder Angst hast, heißt es meistens: Arbeite an deiner Work-Life-Balance, mach Yoga oder kauf dir eine Duftkerze." Das mache ihr eigentlich noch mehr Stress. Sie habe dann das Gefühl, darin zu versagen, entspannt zu sein.

"Ich glaube, diese Gefühle und Sorgen und ihre Komplexität anzuerkennen hat mir geholfen, mit den Gedankenspiralen umzugehen." Aber auch Gespräche, die sie aufgrund ihres Buches mit vielen Menschen geführt hat, gaben ihr Mut: "Da gab es plötzlich Menschen, die auch manchmal Angst haben, von einem großen, schwarzen Loch eingesaugt zu werden. Das hilft dann schon, wenn man weiß, man ist mit diesen Gedanken nicht allein." (Jasmin Altrock, 23.7.2022)