Mario Draghi verlangt den Verzicht auf politische Spielchen, die ihn letzte Woche zum Rücktritt bewogen haben. Seine politische Zukunft bleibt zunächst noch offen.

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Am Mittwoch um 19.30 Uhr hatte Mario Draghi genug gesehen und gehört: Er verließ den Senat, um sich in sein Regierungsbüro zu begeben. Allgemein wurde erwartet, dass er am Donnerstag, nach einem finalen Auftritt in der Abgeordnetenkammer, Staatspräsident Sergio Mattarella sein Rücktrittsschreiben übergeben wird – unwiderruflich.

Vor der entscheidenden Vertrauensabstimmung im Senat hatten die Fünf-Sterne-Bewegung, die rechte Lega sowie die konservative Forza Italia einen Abstimmungsboykott angekündigt. Am Ende gewann Draghi zwar mit 95 zu 38 Stimmen. Aber das spielte bei 192 anwesenden Senatorinnen und Senatoren (nur 133 stimmten ab) keine Rolle mehr: Die Regierung Draghi steht wohl vor ihrem Ende.

Mehrere Stunden zuvor hatte Draghi in seiner mit großer Spannung erwarteten Erklärung vor dem Senat seine Bereitschaft signalisiert, unter bestimmten Bedingungen die Regierungsgeschäfte weiterzuführen. Die Lega und die Forza Italia erklärten zunächst, dass sie zu einer Erneuerung des Pakts und damit an der Beteiligung an Draghis Regierung der nationalen Einheit bereit seien; gleichzeitig stellten sie jedoch Bedingungen, die eine Einigung praktisch ausschloss: Die beiden Parteien verlangten einen Ausschluss der Fünf-Sterne-Bewegung aus der Regierung (angesichts der notorischen Unzuverlässigkeit der "Grillini" ein nachvollziehbares Anliegen), und zugleich forderten sie auch eine Umbildung der Regierung und die Entfernung von bei den Rechtsparteien unbeliebten Ministern. Für die beiden ebenfalls an der Regierung beteiligten Linksparteien PD und LEU waren beide Forderungen völlig unannehmbar, und sie waren es auch für Draghi.

In seiner Erklärung vor dem Senat war Draghi mit den Parteien seiner bisherigen Koalition hart ins Gericht gegangen: Nachdem diese zu Beginn noch Geschlossenheit und Verantwortungsbewusstsein gezeigt und die Realisierung zahlreicher wichtiger Reformen ermöglicht hätten, seien in den letzten Monaten Parteiinteressen und "ein wachsendes Bedürfnis nach Abgrenzung und Zerstrittenheit" in den Vordergrund gerückt, kritisierte Draghi.

Im Dauerzwist

Als Beispiel dafür nannte er unter anderem die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine. In der vergangenen Woche hatten die Fünf-Sterne, die zweitgrößte Regierungspartei, dann schon einmal eine Vertrauensabstimmung boykottiert. Dies hatte Draghi zu seiner Rücktrittsentscheidung bewogen: Damit sei augenfällig geworden, dass der "Pakt des Vertrauens" nicht mehr existierte. Staatspräsident Mattarella hatte den Rücktritt vorerst nicht angenommen.

Im Hinblick auf die Erneuerung des Paktes und damit auf einen Amtsverbleib stellte Draghi im Senat am Mittwoch unmissverständliche Bedingungen: Oberste Priorität hätten weiterhin die Reformen, die Brüssel im Gegenzug für die Auszahlung der 190 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds an Italien fordert. Allein in diesem Jahr müssten gemäß dem mit der EU-Kommission vereinbarten Fahrplan 55 weitere Reformen erfolgen.

Draghi machte weiter klar, dass er ihm Rahmen des nächsten Haushalts keine weiteren Defiziterhöhungen mehr dulden werde, wie sie von fast allen Regierungsparteien in letzter Zeit verlangt wurden. Die Herausforderungen, vor denen Italien stehe, erforderten "eine starke, geschlossene Regierung, die von den Parteien mit Überzeugung unterstützt wird".

Angesichts der großen Unterstützung, die der ehemalige EZB-Präsident in der Bevölkerung genießt, erschien seine Bereitschaft, die Regierungsgeschäfte noch bis zu den regulären Neuwahlen im kommenden März weiterzuführen, eigentlich als ein Angebot, das die Parteien nicht ablehnen konnten. Lega-Chef Matteo Salvini und Forza-Italia-Vorsitzender Silvio Berlusconi haben es mit den Neuwahlen aber offenbar derart eilig, dass sie dieses Risiko in Kauf nehmen.

Wann wird gewählt?

Vorläufiges Schlusskapitel also: Draghi wird am heutigen Donnerstag auch noch in der Abgeordnetenkammer reden – nicht viel mehr als ein Akt politischer Höflichkeit. Danach ist wieder Staatspräsident Mattarella am Zug, der einen Rücktritt Draghis nicht ein zweites Mal ablehnen würde. Bleibt dann die Bildung einer Übergangsregierung bis zum Frühjahr. Mattarella könnte aber auch – die wahrscheinlichere Lösung – sofort das Parlament auflösen und Neuwahlen für Anfang Oktober ansetzen.

Das Rechtsbündnis aus Lega, Forza Italia und den postfaschistischen Fratelli d'Italia gilt dabei als Favorit. Außenminister Luigi Di Maio, der sich im Streit mit Parteichef Giuseppe Conte von der Fünf-Sterne-Bewegung losgesagt hat, sprach am Mittwoch jedenfalls von einem "schwarzen Tag für Italien". (Dominik Straub aus Rom, 20.7.2022)