Polizeisprecher Marcus da Gloria Martens am 22. Juli 2016.

Foto: Sky / Constantin Documentation

München – "Bis heute ist mir das geblieben, wenn man diese Buchstaben ausspricht – OEZ –, dann höre ich die Schüsse", erzählt Birgit Schober, eine Augenzeugin des Anschlags von München 2016. Die im Auftrag von Sky aufwendig produzierte Dokumentation 22. Juli. Die Schüsse von München ist ab 21. Juli auf Sky Crime zu sehen und erzählt in vier Episoden die Tat aus dem Jahr 2016 nach.

Am 22. Juli 2016 schoss ein 18-Jähriger rund um das Münchner Olympia-Einkaufszentrum – in der Stadt nur OEZ genannt – auf Passanten und Besucherinnen einer McDonald’s-Filiale. Neun Personen, darunter acht Jugendliche, hat er erschossen, bevor er sich selbst tötete. Constantin Film produzierte die Dokumentation, man kooperierte mit der in München ansässigen Süddeutschen Zeitung.

Regisseur Johannes Preuss möchte viel: das Attentat minütlich nacherzählen, die Motivation des Täters verstehen, die Hintergründe erklären. Zum Teil schafft er das auch, oft verliert sich die Dokumentation aber in comichaften Bildern eines gesichtslosen Jugendlichen am Gaming-PC.

Verblasste Erinnerung

Eine beeindruckende Vielzahl an Betroffenen und Einsatzkräften bietet die Produktion auf. Inmitten einer riesigen Lagerhalle erzählen Augenzeugen, der zuständige Notarzt oder der Vater eines der Opfer vom Erlebten. Weitere Beteiligte werden an ihren Arbeitsplätzen interviewt: Der damalige Polizeisprecher Marcus da Gloria Martens, der für sein ruhiges Auftreten inmitten der unübersichtlichen Lage viel gelobt wurde, sitzt in der Notfallzentrale; der Münchner Oberbürgermeister in seinem holzvertäfelten Büro. In diesen Minuten bleibt man gebannt vor dem Bildschirm, möchte unbedingt wissen, was als Nächstes passierte. Wie konnte die Erinnerung an die "Schüsse von München" schon so verblassen? Die Anschläge von Paris und Nizza sieht man auch sechs Jahre später noch vor sich, München hingegen kaum.

Nennt man den Namen?

Nach der ersten Folge ist die Tat an sich erzählt, nun möchte man sich der Motivation des Täters widmen.

Ihn nennt die Dokumentation mit vollem Namen und wählt damit einen sehr heftig diskutierten, umstrittenen Weg. Zur Nennung von Täternamen bei derartigen Anschlägen gibt es zahlreiche Meinungen, DER STANDARD hat beispielsweise bei dem Anschlag von Wien in der Nachberichterstattung nur die Initialen des Täters genannt.

Trailer zu "22. Juli. Die Schüsse von München".
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An dem Punkt beginnt man an der Notwendigkeit der akribischen Untersuchung der Motivation des Täters zu zweifeln. Sollte man aus dem Manifest eines rechtsextremen Attentäters zitieren, der ganz klar von Anschlägen wie in Oslo inspiriert war und ebenso bekannt wie der norwegische Täter werden wollte? Die Dokumentation lässt diese Aussagen freilich nicht so stehen, Rechtsextremismusforscher und Pro filer ordnen sie ein. Die Zweifel bleiben.

Nach den ersten beiden Folgen bleibt man mit mehr Wissen zum Anschlag, aber einem unangenehmen Gefühl zurück.

Was reflektierten Dokumentarfilmern aber auffallen müsste – auch wenn an dem Tag ein Polizeisprecher Marcus und ein Notarzt David Dienst hatten: Die einzigen interviewten Frauen in den ersten beiden Episoden sind eine Polizei beamtin und eine Augenzeugin. Dem gegenüber steht ein halbes Dutzend Männer – Einsatzkräfte, Betroffene, aber auch durchweg männliche Experten. (Astrid Wenz, 21.7.2022)