Mittelfeldspielerin Sarah Zadrazil (29) läuft beim Viertelfinalduell gegen Deutschland zum 100. Mal im ÖFB-Trikot auf.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Irene Fuhrmann und ihr Team wollen mehr.

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EM-Viertelfinale im Ticker: Deutschland vs. Österreich, Do., 21 Uhr

Das Schöne an Finalphasen im Fußball ist, dass quasi jedes Spiel etwas Entscheidendes, etwas Wichtiges hat. Es sind ja nicht so viele. Vor der Endrunde in England konnte man von Losglück und Lospech gleichermaßen sprechen. Auf dem Papier war die Gruppe A eine schwierige, Gastgeber England und die Weltranglistenelften aus Norwegen schienen außer Reichweite, gegen die Debütantinnen aus Nordirland musste sowieso ein Sieg her, um weiter im Turnier zu bleiben.

Andererseits war gerade das Eröffnungsspiel gegen England in Old Trafford vor 68.871 Zuseherinnen und Zusehern ein Erlebnis, ein Match, von dem die Enkerln noch ihren Enkerln erzählen werden. Die meisten österreichischen Fußballerinnen spielen sonst vor einem Publikum, das sich im drei- bis niedrigen vierstelligen Bereich abspielt. Willkommen auf der großen Bühne.

Das und der Rest sind schon Geschichte. Österreich setzte sich sensationell gegen Norwegen durch (1:0), erfüllte gegen Nordirland die Pflicht (2:0) und kam gegen England nicht unter die Räder (0:1). Unter dem vorläufigen Strich steht der Aufstieg ins Viertelfinale, in dem die Österreicherinnen am Donnerstag im Community Stadium Brentford (21 Uhr, live ORF 1) auf Deutschland treffen. Ein Entscheidungsspiel: Wer verliert, fliegt. Alles oder nichts. Unentschieden gibt es nicht, zur Not wird im Elferschießen ein Semifinalist ermittelt. Egal ob dieser Österreich oder Deutschland heißt, im Halbfinale trifft man am 27. Juli in Milton Keynes auf den Sieger aus Frankreich gegen die Niederlande. Nicht ganz überraschend steht der Sieger dieses Duells im Finale.

Großmacht baut sich auf

Vor dieser etwas weiter entfernten Zukunft baut sich vor Österreich eine Fußballgroßmacht auf. Deutschland hat ein wenig vom Glanz der Vergangenheit verloren, ist mit sechs Titeln aus den sieben vergangenen Europameisterschaften aber eines der ganz großen Teams des Kontinents. Für Österreich ist es erst die zweite Euro überhaupt. 2017 zog man ins Halbfinale ein, heuer steht schon einmal das Viertelfinale auf der Habenseite. Man will aber mehr: "Es war schön, zu zeigen, dass 2017 kein One-Hit-Wonder war", sagte Teamchefin Irene Fuhrmann. Und ergänzte: "Wichtig ist, dass wir 90 Minuten lang geistig frisch sind, dann wollen wir uns auch in diesem Spiel keine Grenzen setzen."

Personell gab es in den vergangenen Tagen Neuigkeiten bis Schwierigkeiten. Katharina Naschenweng hat ihre Corona-Infektion überstanden, ihr Einsatz gegen Deutschland dürfte möglich sein. Ersatztorhüterin Isabella Kresche zog sich im Training eine Bänderzerrung zu, sie bleibt aber vorläufig im Kader. Mit Mariella El Sherif reiste eine 17-jährige Keeperin als Back-up nach England. Ein Fragezeichen steht hinter dem Einsatz von Kapitänin Viktoria Schnaderbeck. Die Steirerin trainierte vorerst nicht mit dem Team, weil das Knie wieder Probleme machte. "Es ist genauso eine schwierige Situation wie vor dem Norwegen-Spiel", sagte Fuhrmann. Als Ersatz würden Marina Georgieva oder Celina Degen bereitstehen.

Stolzes Jubiläum

Österreichs Mittelfeldspielerin Sarah Zadrazil wird gegen Deutschland ihr 100. Länderspiel absolvieren. Nur Rekordspielerin Sarah Puntigam (123), Carina Wenninger (119) und Rekordtorschützin Nina Burger (109), die ihre Karriere bereits beendet hat, liegen vor ihr. Zadrazil: "Es ist ein besonderes Spiel. 100 Länderspiele, das macht mich schon stolz." Und: "Optimal wäre es natürlich, wenn wir am Donnerstag gegen Deutschland auch noch gewinnen, dann würde ich mein 100. Länderspiel nie wieder vergessen", sagte die 29-Jährige.

Zadrazil ist eine Schlüsselspielerin in Fuhrmanns Team. Die Mittelfeldspielerin absolvierte alle drei Partien in der Gruppenphase über die volle Distanz, erreichte eine Passquote von 89 Prozent (92 von 103 Pässen kamen bei den Mitspielerinnen an), spulte fast 35 Kilometer ab und konnte 15-mal den Ball gewinnen. Das sind sehr gute Zahlen für eine zentrale Mittelfeldspielerin.

Im Verlauf eines Turniers werden auch immer wieder die Ruhephasen als bedeutend herausgestrichen. Österreich hatte einen Tag mehr Pause. Die drückende Hitze, die sich Montag und Dienstag (bis zu 40 Grad) über England legte, schwächte am Mittwoch ab (26 Grad).

Die Ausgangslage weiß im ÖFB-Lager zu gefallen: "Wir haben nichts zu verlieren. Es geht auch um die Nerven, da sind sie mehr gefordert", sagte Fuhrmann. Das Selbstvertrauen sollte da sein. "Wir sind durch die zwei Siege ein bisschen in einen Flow gekommen. Die Art und Weise der Siege spricht für uns", sagte Zadrazil. (Andreas Hagenauer aus London, 20.7.2022)

Technische Daten und mögliche Aufstellungen zum EM-Viertelfinale von Österreichs Frauen-Fußball-Nationalteam:

Deutschland – Österreich (Donnerstag, 21.00 Uhr / live ORF 1, Brentford, Community Stadium, SR noch offen).

Deutschland: Frohms – Gwinn, Hendrich, Hegering, Rauch – Oberdorf, Däbritz, Magull – Huth, Popp, Bühl

Ersatz: Berger, Schult – Doorsoun, Kleinherne, Anyomi, Brand, Dallmann, Lattwein, Lohmann, Waßmuth, Freigang

Fraglich: Schüller (nach Corona-Infektion)

Österreich: Zinsberger – Wienroither, Wenninger, Georgieva, Hanshaw – Zadrazil, Puntigam, Feiersinger – Hickelsberger-Füller, Billa, Dunst

Ersatz: Kresche, Pal – Schiechtl, Degen, Kirchberger, Naschenweng, Höbinger, Eder, Makas, Enzinger

Es fehlen: Kolb (nach Corona-Infektion zu Hause geblieben), Plattner (Schlüsselbeinbruch)

Fraglich: Schnaderbeck (Knieprobleme), Schasching (angeschlagen)

Weg ins Viertelfinale:

Deutschland: Erster Gruppe B (3/0/0 – 9 Punkte, 9:0-Tore): 4:0 Dänemark, 2:0 Spanien, 3:0 Finnland

Österreich: Zweiter Gruppe A (2/0/1 – 6 Punkte, 3:1-Tore): 0:1 England, 2:0 Nordirland, 1:0 Norwegen