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Über Anschuldigungen gegen Tote lässt sich nicht mehr verhandeln, über angeklagte Tote nicht mehr urteilen. Der Starregisseur Dieter Wedel ist, wie am Mittwoch bekannt wurde, am 13. Juli in Hamburg gestorben. Seine Anwälte bestätigten das und teilten mit, Wedels Tod habe sich in einer Hamburger Klinik "nach langer, schwerer Krankheit" ereignet. Wedel wurde 82 Jahre alt.

An diesem Mittwoch war die Entscheidung des Münchner Landgerichts darüber erwartet worden, ob Dieter Wedel wegen Vergewaltigung einer Schauspielerin angeklagt werden sollte. Es wäre ein großer Prozess bevorgestanden, mit breitem öffentlichem Interesse und vielen Schlammschlachten. Das Verfahren aber, so seine Anwälte, sei nun mit dem Tod des Regisseurs "ohne weiteres beendet". Anlass für die "Fortsetzung öffentlicher spekulativer Erwägungen" bestünden nicht.

Es waren schlimme, harte Vorwürfe, die mehrere Schauspielerinnen Anfang 2018 im Zeit Magazin gegenüber Wedel vorgebracht hatten – und durch die das Thema in der öffentlichen Debatte Fahrt aufnahm und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen auslöste. Wedel wurde der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung bezichtigt.

Deutsche #MeToo-Debatte

Eine Schauspielerin nannte auch ihren Namen: Jany Tempel. Die Tat soll sich laut Anklage "vermutlich Ende Oktober 1996" ereignet haben. Wedel habe die damals 27-Jährige in seinem Zimmer in einem Münchner Luxushotel "lediglich mit einem Bademantel bekleidet" empfangen. Er habe sich entschlossen, "Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten zu vollziehen". Nach einer körperlichen Auseinandersetzung soll er sie auf das Bett geschleudert und vergewaltigt haben. Jany Tempel ist heute 53 Jahre alt und arbeitet als Fotografin und Autorin. Aufgrund einer Gesetzesänderung ist diese Tat nicht verjährt.

Nach der Veröffentlichung meldeten sich weitere Frauen, Wedel habe sie vergewaltigt oder sexuell belästigt. Darunter ist die Schauspielerin Esther Gemsch, die Wedel bei einem Vergewaltigungsversuch an der Halswirbelsäule verletzt haben soll. Damit hatte Deutschland seine eigene #MeToo-Debatte über sexuelle Gewalt in der Filmbranche. Die Bewegung war zuvor in den USA entstanden durch Anschuldigungen gegen Filmproduzent Harvey Weinstein. Wedel bestritt alle Anschuldigungen bis zu seinem Tod.

Er war ein mächtiger Mann in der deutschen Filmbranche. Vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurde er hofiert wegen seiner Verfilmungen mit gigantischen Einschaltquoten. Zu den bekanntesten Werken zählen aus den 1990er-Jahren und Anfang der 2000er-Jahre die opulenten und teuer produzierten Mehrteiler Der große Bellheim, Der Schattenmann und Die Affäre Semmeling (alle mit Mario Adorf). Zuletzt war er sehr erfolgreich Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, von dem Posten trat er kurz nach den Vorwürfen zurück.

Dass Dieter Wedel mit wechselnden Affären exzentrisch lebte, cholerisch war und als Filmemacher sein Personal unter Druck setzte und auch beleidigte, war bekannt. So hatte der in Bad Hersfeld entlassene Schauspieler Paulus Manker gesagt, Wedel verhalte sich wie ein "nordkoreanischer Diktator".

"Vorverurteilung"

Die Vergewaltigungsvorwürfe indes hatten eine viel größere Bedeutung als sein schon vorher bestehender Ruf als Despot. Seine drei Anwälte – der ehemalige CSU-Politiker Peter Gauweiler, dessen Kanzleimitarbeiterin Dörte Korn und der ehemalige Bundesrichter und umstrittene Kolumnist Thomas Fischer – kämpften mit harten Bandagen für Dieter Wedel. Sie kritisierten eine "Lynch-Stimmung" und "widerrechtliche Vorverurteilung". In ihrer Erklärung zu seinem Tod schreiben sie von "einseitiger Skandalisierung und moralisierender Verfolgungsmentalität".

500 Schauspieler und Mitarbeiter aus der Filmbranche verurteilten in einem öffentlichen Schreiben die Anwälte scharf und stellten sich an die Seite der mutmaßlichen Opfer. Sie warfen den Verteidigern "Vergewaltigungsmythen aus der Mottenkiste" vor. Denn diese hatten über die Frauen gesagt, dass "das weibliche Wohlgefallen, aber auch Berechnung eine große Rolle" spielten. Schauspieler würden gern "schnell in eine andere Rolle schlüpfen". Die Unterzeichner meinen, damit würde "ein ganzer Berufsstand verunglimpft", und die Frauen würden als Lügnerinnen bezichtigt.

Nach der Todesnachricht teilte Alexander Stevens, Anwalt der Schauspielerin Jany Tempel, mit, dass die Unschuldsvermutung gelte, die Staatsanwaltschaft aber nur Anklage erhebe, wenn eine Verurteilung sehr wahrscheinlich sei. Seine Mandantin sei jetzt "völlig perplex". (Patrick Guyton aus München, 20.7.2022)