Die Nachfolge des britischen Premierministers Boris Johnson wird entweder Außenministerin Liz Truss oder Ex-Finanzminister Rishi Sunak antreten.

Foto: APA/AFP/DANIEL LEAL/TOLGA AKMEN

Die Fragestunde des Premierministers geriet wieder einmal zur Märchenstunde. Zum letzten Mal trat Boris Johnson an diesem Mittwoch als Regierungschef im Unterhaus auf. Knapp drei Jahre sind seit seinem Amtsantritt vergangen, vor zwei Wochen musste er zähneknirschend seinen Rücktritt ankündigen. Seither herrscht in der konservativen Regierungspartei munteres Hauen und Stechen, an dem sich der 58-Jährige und seine letzten Getreuen eifrig beteiligen. Im Parlament aber beteuerte Johnson treuherzig, um "diese Sache", also seine Nachfolge, "kümmere ich mich gar nicht besonders". Frohes Gelächter auf den Rängen.

In Wirklichkeit drehte sich einen Tag vor den Ferien in 10 Downing Street und im Parlamentsviertel Westminster alles ausschließlich um die entscheidende Frage: Wer belegt den zweiten Platz? Seit dem ersten Wahlgang eine Woche zuvor lag Ex-Finanzminister Rishi Sunak stets weit vor der Konkurrenz, seit langem galt sein Einzug in die Urwahl durch die Parteimitglieder als ausgemacht. Wer aber würde dem indischstämmigen früheren Investmentbanker und Ehemann einer milliardenschweren Geschäftsfrau dort Gesellschaft leisten? Am Mittwochnachmittag wurde die Frage beantwortet: Im fünften und letzten Durchgang ging Außenministerin Liz Truss (113 Stimmen) an Handelsstaatssekretärin Penny Mordaunt (105) vorbei und streitet mit Sunak (137) um das höchste Partei- und Regierungsamt.

Parteimitglieder nicht besonders repräsentativ

Nach "Big Brother"-Manier durften die 358 Mitglieder der Tory-Fraktion auch in der brutalen Hitze zu Wochenbeginn das Bewerberfeld täglich um einen Namen verkleinern. Tags zuvor traf dies die Ex-Staatssekretärin Kemi Badenoch, die überraschend prominent ins Rampenlicht getreten ist. Eine formelle Empfehlung mochte die 42-Jährige nicht aussprechen.

"Folgt euren Herzen", gab Badenoch als Parole aus – ein kluges Eingeständnis der mehrfach bewiesenen Tatsache, dass die berüchtigt-eigensinnigen Tory-Abgeordneten ohnehin nicht als Block von einer Kandidatin zur anderen wechseln. Vom Ausscheiden der knallharten Rechten Suella Braverman profitierten deren Gesinnungsgenossinnen Badenoch und Truss viel weniger eindeutig als erwartet; ebenso liefen die Gefolgsleute des liberal-konservativen Ex-Offiziers Tom Tugendhat keineswegs geschlossen zur Navy-Reservistin und früheren Verteidigungsministerin Mordaunt über.

Die 49-Jährige galt noch vergangene Woche noch als Favoritin, gestützt auf Umfragen unter den rund 180.000 konservativen Parteimitgliedern. Deren genaue Anzahl hält die Parteizentrale geheim. Fest steht aber immerhin, dass sie das Land mit seinen 67 Millionen Einwohnern sicherlich nicht repräsentieren: Es handelt sich überwiegend um weiße, wohlhabende Männer, die im Süden der Insel beheimatet sind.

Schmutzkampagne gegen Mordaunt

Bei ihnen kam die Abgeordnete aus der südenglischen Hafenstadt Portsmouth gut an – bis die Partei-Rechte, unterstützt vom erzkonservativen Boulevardblatt "Daily Mail", eine Schmutzkampagne gegen Mordaunt lostrat, um die ideologisch reinere Außenministerin Truss nach vorn zu schieben. Prompt verliehen neue Umfragen der 46-Jährigen die Favoritenrolle. Auch dabei ging es um den Sieg unter allenfalls 0,3 Prozent der Wahlberechtigen, nicht aber um die Frage: Wer kann bei der spätestens in zwei Jahren anstehenden Unterhauswahl die Labour-Party unter dem kompetenten, wenn auch wenig charismatischen Keir Starmer schlagen?

Der Oppositionsführer rief der Öffentlichkeit am Mittwoch die schönsten gegenseitigen Verunglimpfungen und Distanzierungen von der eigenen Regierung ins Gedächtnis, mit denen die Kandidaten und deren Büchsenspanner zuletzt Aufsehen erregten. So denunzierte Sunak die Steuersenkungspläne seiner Kontrahentinnen als "Phantasie-Ökonomie". Truss machte ihren langjährigen Kabinettskollegen für das mangelnde Wachstum zu Zeiten der Covid-Pandemie verantwortlich, ihr Gefolgsmann Jacob Rees-Mogg nannte Sunak sogar den "sozialistischen Schatzkanzler".

Briten wünschen sich Saubermann bzw. Sauberfrau

Wie es um die Sympathiewerte der Regierungspartei in der Wahlbevölkerung steht, hat Marktforscher James Johnson von JL Partners ermittelt. Demnach hoffen die Briten auf einen "ehrlichen, kompetenten, realistischen" Regierungschef. Irrelevant sei hingegen die Frage, wo der oder die Betreffende vor sechs Jahren im Brexit-Referendum das Kreuz gemacht hatten. Auch spiele es keine Rolle, ob die eigene Politik "weltweit führend" sei – mit dieser zumeist fragwürdigen Behauptung nerven Johnson und seine Minister das Land seit Monaten.

Der gescheiterte Premier aber hielt bis zuletzt an zweifelhaften Behauptungen und albernen Slogans fest. "Mission weitgehend erfüllt – hasta la vista, baby" – so verabschiedete sich Johnson in den Urlaub. Für die beiden Nachfolgekandidaten geht die Arbeit erst richtig los. (Sebastian Borger aus London, 20.7.2022)