Ein Kameramann sucht den Schatten.

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Wenn es nur immer so einfach wäre.: Carlos Alcaraz trinkt mehr als sonst und denkt nicht an die Hitze.

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Andrej Rublew sieht Spieler mit guter Ausdauer und starkem Herz in der Hitze im Vorteil.

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So heiß wie am Mittwoch war es seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Hamburg noch nie. Der Deutsche Wetterdienst hat am Nachmittag 40,1 Grad gemessen. Auch am Mittwoch und noch bis Sonntag findet in Hamburg das größte Sandplatzturnier des Sommers statt. Bei den Hamburg European Open spielen Profis in der Hitze um Punkte für die WTA- und ATP-Tour.

Das sogenannte Tennisstadion am Rothenbaum ist freilich keine offizielle Wetterstation. Doch am Mittwoch wurden am Center Court gar 44 Grad registriert. Zumindest wurde diese Temperatur kurzzeitig auf der Videoleinwand eingeblendet. Der Slowake Alex Molcan setzte sich bei diesen Temperaturen nach zweieinhalb Stunden gegen den Titelverteidiger Pablo Carreno Busta aus Spanien mit 6:3, 1:6, 7:6 (7:5) durch.

"Ich fühle mich gerade nicht so gut", sagte Molcan nach seinem Viertelfinal-Einzug. "Es war schwierig zu atmen. Ich habe immer heiße Luft eingeatmet." Er wolle nach dem Match ein Eisbad nehmen, um die Regeneration zu starten, sagte er.

Gewollter Schockzustand

Die Deutsche Andrea Petković hingegen findet, schon die Vorbereitung auf ein Match sei entscheidend. "Viele denken erst an die Hitze, wenn sie in die Sonne gehen", sagt sie. "Wenn der Körper einmal überhitzt ist, ist es schwieriger, die Zeit zurückzudrehen. Wenn die ersten Symptome kommen, ist es schon zu spät."

Sie versucht, für das Match sozusagen vorzukühlen: Sie hält sich in klimatisierten Räumen auf, ihre Körpertemperatur hält sie mit viel Eis niedrig. "Dann ist der Schock zwar groß, wenn du rausgehst, aber du kannst den Körper kühl halten."

Andrea Petkovic kühlt sich ab, bevor sie auf dem Platz alles gibt.
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Auch für Fans hat sie Tipps, sie selbst hat sie von Kolleginnen aus Australien erhalten: "Die Bekleidung ist wichtig. Viele ziehen das kürzeste Kleidchen an. Die Australier versuchen aber, die ganze Haut zu bedecken. Mit leichtem, hellem Gewand."

Schlechte Sicht, aber Schatten

Ein Zuschauer ist am Mittwoch mit seinem Vater auf der Anlage am Hamburger Rothenbaum. Sie tragen kein kurzes Kleid, aber helles Gewand. Auf der Tribüne eines Außenplatzes setzen sie sich lieber in die Ecke. Hier ist die Sicht zwar schlecht – die nähere der beiden Seitenlinien ist nicht zu sehen –, aber immerhin spendet eine Leinwand etwas Schatten.

"Gestern hatten wir Tennistraining im Verein", sagt der junge Mann. "Alle haben abgesagt wegen dem Wetter. Mit Glück habe ich noch einen Spielpartner gefunden." Die beiden freuen sich auf den Tag, wollen gutes Tennis sehen. Tickets haben sie schon vor einiger Zeit online gekauft. Eine Tageskarte kostet in der billigsten Kategorie 65 Euro. Solch einen Tag auf der Tennisanlage will man bei dem Preis entsprechend auskosten.

Ein weiterer Zuschauer spannt einen Sonnenschirm auf, andere tragen ein Kapperl mit Nackenschutz. Einigen wird es rasch zu heiß, sie verlassen schon nach zwei Games und beim nächsten Seitenwechsel wieder den Court.

Must-haves auf den Tribünen: Kopfbedeckung, Sonnencreme.
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Die österreichische Turnierdirektorin Sandra Reichel sagt dem STANDARD, die Einsatzzeiten von Ballkindern, Linienrichterinnen und Linienrichtern seien verkürzt worden: Statt der üblichen 45 Minuten arbeiten sie in Schichten, die nun 30 Minuten dauern. Sie werden mit Elektrolytgetränken versorgt, zudem bekommen sie kühlende Handtücher. "Wir produzieren sehr viel Eis", sagt Reichel. Im Aufenthaltsraum des Personals stehen Ventilatoren.

Über die Anlage verteilt sind auch Sicherheitskräfte im Einsatz. Sie achten etwa darauf, dass niemand während der Ballwechsel auf die Tribüne geht. Tennis ist diesbezüglich ja besonders heikel. Das Personal ist nicht zu beneiden: Alle tragen lange, schwarze Hosen, dazu schwarze Hemden und Krawatten in Tennisballgelb. Immerhin sind die Ärmeln hochgekrempelt. Wie hält man das einen ganzen Tag aus? "Ja, gar nicht", sagt der Mann am Eingang der Anlage. Er nimmt einen Schluck aus seiner Wasserflasche.

Für die Fans seien "so viele Schattenplätze wie möglich" geschaffen worden, sagt Turnierdirektorin Reichel. Sie haben Strandkörbe organisiert, unter Bäumen liegen außerdem Sitzpölster. Zuschauerinnen und Zuschauer, die Tickets für sonnige Plätze auf dem Center Court gekauft haben, können sich in schattige Sektoren im oberen Bereich des Stadions setzen. Diese Ansage wurde vom Platzsprecher gleich mehrmals verkündet. Das Publikum applaudierte, nahm das Angebot an. Weil das Stadion im oberen Bereich seitlich offen ist, herrscht ein leichter Luftzug, der zur Kühlung beiträgt. "Wir haben Sanitäter, die Streife gehen", sagt Reichel. Eingreifen mussten sie noch nicht, Reichel klopft dreimal auf Holz.

Auf der Tribüne am zweitgrößten Platz der Anlage in Hamburg drängen sich die Zuseherinnen und Zuseher auf die schattigen Plätze.
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Schneller platt

"Es ist sehr heiß. Für Hamburg untypisch", sagt sie. "Für die Spieler ist es nicht so kritisch. Bei den US Open oder Australian Open ist es noch heißer." Der topgesetzte Carlos Alcaraz sagt, er kenne heiße Bedingungen auch aus seiner Heimat Spanien. "Ich trinke mehr Wasser als sonst", sagt er. Seine Vorbereitung auf ein Match in der Hitze dürfte eher im mentalen Bereich liegen. "Ich gehe in das Match mit der Einstellung, dass es in der Sonne hart sein wird. Ich versuche, nicht an die Hitze zu denken, sondern auf das Match fokussiert zu bleiben."

Sein Kollege Andrej Rublew, die Nummer zwei des Turniers und die Nummer acht der Welt, sieht es pragmatisch. "Die Bedingungen sind für alle gleich", sagt er. "Wenn deine Ausdauer gut ist, du ein starkes Herz hast und leiden kannst, ist es umso leichter, damit umzugehen."

Anett Kontaveit ist in Hamburg topgesetzt. Sie sieht Matches in der Hitze gar als "gute Herausforderung, meine Fitness zu verbessern". Die hohen Temperaturen haben minimale, aber spürbare Auswirkungen auf das Verhalten des Balles. Die Kugel fliegt schneller durch die Luft. Und weil der Druck im Tennisball bei hohen Temperaturen höher ist, fällt auch der Absprung stärker aus. Kontaveit bespannt ihren Schläger deshalb in der Hitze auch um ein halbes Kilo schwerer als üblich. Das hilft ihr, den Ball kontrolliert zu schlagen. Dass sie dabei etwas an Tempo verliert, fällt bei Kontaveit, die für harte Grundschläge bekannt ist, kaum ins Gewicht. Taktisch versucht sie, die Ballwechsel kürzer zu halten.

Kollegin Petković sagt: "Nach längeren Ballwechseln ist man müder als sonst. Nach fünf, sechs Schlägen bin ich eigentlich nicht platt." An heißen Tagen schon.

Ab Donnerstag ist im Norden Deutschlands ein Wetterumschwung vorhergesagt. Es soll bei immer wieder einsetzendem Regen um etwa 15 Grad kühler werden als tags zuvor. (Lukas Zahrer aus Hamburg, 21.7.2022)