Nicht einmal 70 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme fuhr 1993 auf der Bahnstrecke zwischen Kiel-Hassee und Kiel-West der letzte Güterzug. Und es sollte noch einmal 25 Jahre dauern, bis diese Strecke wieder befahren wird. Inzwischen aber nicht mehr von der Eisenbahn, sondern von Radlerinnen und Radlern. Im Sommer 2018 wurde das erste Teilstück des neuen Radwegs quer durch Kiel eröffnet. Seit 2019 ist die alte Bahntrasse ein großer, durchgehender Teil der Veloroute 10, des ersten Kieler Premiumradwegs.

In Kiel wurde auf einer aufgelassenen Bahntrasse ein Radweg installiert, auf dem man über die Autos hinwegfährt.
Foto: Farah Claußen / Uni Kiel

Das Besondere daran ist, dass man auf den 4,2 Kilometer Radweg völlig unbehelligt vom Autoverkehr vom Süden der Stadt bis zum Hollstein-Stadion im Norden fahren kann. Die alten Eisenbahnbrücken wurden erhalten. So quert man nun mit dem Rad die Autobahn und drei Hauptverkehrsstrecken, ohne den motorisierten Verkehr überhaupt wirklich mitzubekommen. Die Stadt Kiel verspricht, dass man nun, selbst bei moderat gefahrenem Tempo, in 20 Minuten von Hassee beim Stadion und damit schneller als mit dem Auto unterwegs sei.

Eisenbahnsteigungen

Ein weiterer Vorteil des Radwegs ist, dass er keine besonderen Steigungen hat, was darauf zurückzuführen ist, dass es sich ja um eine alte Bahntrasse handelt und die Eisenbahn mit Steigungen bekanntlich sogar noch mehr Probleme hat als manch untrainierter Radler.

Mehrere Auf- und Abfahrten führen auf die Veloroute 10 und sind vor allem dort gebaut worden, wo es logisch erscheint: bei der Schule, beim Bahnhof, beim Gewerbegebiet, der Uni, dem Wissenschaftspark und bei der Shoppingmeile etwa.

Entlang des Radweges gibt es viel zu sehen, von Bäumen bis hin zu Graffitis, die ja quasi zu einem Bahngelände gehören.
Foto: Alexandra Brecht

Obwohl – ganz neu ist die Idee natürlich nicht, auf alten Bahntrassen Radwege zu errichten. In Deutschland gibt es rund 600 Radrouten, die auf alten Bahntrassen gebaut wurden. Und auch in Österreich führt etwa der Salzkammergut-Radweg über die alte Ischlerbahn, 18 Kilometer der Feistritztalbahn sind heute ein Radweg, der Traisental-Radweg befindet sich auf der alten Trasse der Leobersdorfer Bahn. Mehr als zehn solcher Radwege gibt es in Nieder- und Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark. In wenigen Wochen kommt im Burgenland einer dazu, der von Rechnitz nach Oberschützen führt. Gerade bei diesem Projekt ist die Freude aber keine ungetrübte. Vor allem die Grünen und die ÖVP übten starke Kritik. Denn mit dem Radweg und dem Abtragen der alten Gleise ist die Wiederbelebung der Ostbahn zwischen Szombathely und Oberwart endgültig Geschichte.

Radweg im Südburgenland

Verkehrslandesrat Heinrich Dorner (SPÖ) begründet die Entscheidung damit, dass hierfür Investitionskosten von 350 Millionen Euro nötig gewesen wären. Hinzu kämen jährlich fünf Millionen Euro für Instandhaltungskosten. Am Ende war die Wiederaufnahme des Bahnbetriebs finanziell einfach nicht zu stemmen. Die Gesamtkosten für den Radweg belaufen sich auf 3,5 Millionen Euro – über den Preis, zu dem das Land Burgenland die Strecke der Südburgenländischen Regionalbahn übernommen hat, wurde Stillschweigen vereinbart. Die Hälfte der Gesamtkosten übernimmt der Bund über die "klimaaktiv-Förderung". Eröffnet wird der Radweg am 9. September 2022. Kiel hat rund fünf Millionen Euro in die Veloroute 10 investiert.

"Über die Kosten der einzelnen Projekte haben wir nicht viel gesprochen", sagt Stephan Auer-Stüger (SPÖ). Er ist Mitglied des Gemeinderatsauschusses der Stadt Wien für Innovation, Stadtplanung und Mobilität, im Städtebund beschäftigt er sich mit der Innenstadtentwicklung und am Ende dann eigentlich doch mit Wirtschaftsfragen. Er war einer der Teilnehmer einer Reise, die der Städtebund gemacht hat, um sich Radprojekte in Hamburg, Bremen und Kiel genauer anzusehen. Der Österreichische Städtebund versteht sich als kommunale Interessenvertretung von 259 Städten und größeren Gemeinden – und so auch von Wien.

Die Krux im Detail: Wie selbstverständlich stehen auch in den Rad-Highway in Bremen parkende Autos hinein.
Foto: Eliza Brunmayr

"Die Veloroute 10 ist das, was man früher als Radautobahn bezeichnet hat und wir nun in der Praterstraße Radhighway nennen", erklärt Auer-Stüger. "Der ist in Kiel aber noch angenehmer, weil man vom Autoverkehr nichts mitbekommt."

Hoheitsrechte

Radhighway ist auch das Erste, was einem einfällt, wenn man die neuen Markierungen auf mancher Fahrradstraße in Bremen sieht. Aktuell arbeitet man dort an einer Schnellverbindung "mit besonderen Hoheitsrechten" für Radfahrerinnen und Radfahrer rund ums Zentrum, um den Wallring. Der Projektabschluss ist für Ende 2023 geplant. Schon jetzt dürfen im Stadtteil Blockland nur Autos mit Sondergenehmigung fahren.

In Hamburg gibt es eine grüne Welle für Radfahrerinnen und Radfahrer, wenn sie die Geschwindigkeit von 18 km/h dertreten.
Foto: Eliza Brunmayr

"Bremen hat aber nicht nur einen Radschwerpunkt", erinnert sich Auer-Stüger, "sondern ein umfassendes Verkehrskonzept." In diesem werde versucht, dem Autoverkehr weniger Spuren zur Verfügung zu stellen, um so weniger motorisierten Verkehr zu generieren. Ähnliches setzt gerade Hamburg um. Dem Autoverkehr werden Spuren weggenommen, die dann all jenen zur Verfügung gestellt werden, die zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren. Hamburg setzt dabei auf "Protected Lanes", baulich getrennte, breite Radwege.

Die Erkenntnisse

"Ich habe für mich von der Reise mitgenommen, dass es wichtig ist, die Radinfrastruktur auszubauen, zu verbessern und diesen Weg konsequent zu verfolgen. Vor allem Schnellverbindungen sind wichtig." Aber auch die Einbindung der Bevölkerung sei entscheidend. Dennoch gab es in Hamburg erst viele Beschwerden, weil der Autoverkehr Nachteile hatte, inzwischen gibt es aber auch viel Lob. "Je weiter der Fortschritt ist, desto eher erkennen die Menschen den Nutzen." (Guido Gluschitsch, 21.7.2022)