Die EZB leitet ihren Kampf gegen die hohe Inflation ein. Nach mehr als zehn Jahren werden die Zinsen wieder angehoben.

Foto: IMAGO/IlluPics

Im Zuge der Finanzkrise im Jahr 2008/2009 haben die Notenbanken die Leitzinsen schrittweise auf das Niveau von null Prozent gesenkt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat dieses Niveau fast ein Jahrzehnt gehalten. Während andere Währungshüter, etwa die Fed in den USA, die Zinsen in den vergangenen Monaten wieder deutlich angehoben haben, um der steigenden Inflation Herr zu werden, blieb die EZB in der Warteposition.

Diese dürfte heute, Donnerstag, enden: Die EZB wird nun wohl ihre erste Zinsanhebung seit mehr als einer Dekade verkünden. Erwartet wird, dass der EZB-Rat den Einstieg in die geldpolitische Straffung beschließen wird. Fraglich ist allerdings, wie stark die Anhebung ausfällt. Eine Anhebung um 0,25 Prozentpunkte gilt angesichts der Signale, die aus dem EZB-Umfeld zuletzt wahrnehmbar waren, als ausgemachte Sache. Allerdings ist auch ein deutlicherer Schritt um einen halben Prozentpunkt nicht ausgeschlossen.

Wiederbelebung der Zinslandschaft

Die EZB hält ihren Leitzinssatz seit März 2016 bei 0,0 Prozent. Seit 2014 liegt zudem der Einlagensatz im Minusbereich, was für Banken Strafzinsen bedeutet, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Liquidität parken. Seit Herbst 2019 steht der Satz bei minus 0,5 Prozent. Das Nullzinsumfeld haben vor allem Sparer zu spüren bekommen, weil es für ihre Einlagen keine Verzinsung mehr gibt. Im Gegenteil: Durch das Nullzinsumfeld und die steigende Inflation, die zuletzt die Grenze von acht Prozent überschritten hat, verlieren Spareinlagen an Kaufkraft.

Die EZB hat als Inflationsziel einen Wert von zwei Prozent. Bei diesem Wert sieht sie die Kaufkraft gesichert. Mittlerweile ist die Inflation seit Monaten weit weg von dem EZB-Ziel. Die Inflation ist derzeit so hoch wie noch nie seit Einführung des Euro. Mit einer Zinsanhebung wird zunächst die Nachfrage gedämpft, weil damit die Finanzierungskosten für private Haushalte und Unternehmen steigen. Das wiederum soll sich auf die Energiepreise und mittelfristig eben auf die Inflation auswirken und die Preise dämpfen.

Neues Instrument

Marktteilnehmer erwarten von der EZB aber auch Details zu einem neuen Instrument, mit dem die Kapitalmarktzinsen in der Eurozone begrenzt werden sollen. Hintergrund sind zeitweise deutlich auseinanderlaufende Marktzinsen zwischen den einzelnen Euroländern. Die EZB sieht darin eine Beeinträchtigung ihrer Geldpolitik und will dagegen vorgehen.

Mit dem neuen Instrument sollen ungerechtfertigte Zinsanstiege im Euroraum verhindert werden. Mit einer ähnlichen Argumentation hatte der damalige EZB-Chef Mario Draghi im Jahr 2012 seine legendäre Euro-Garantie "Whatever it takes" abgegeben. Ganz so geschichtsträchtig dürfte es dieses Mal wohl nicht werden. Zumal sich Experten unsicher sind, wie weit die Arbeiten an dem "Antifragmentierungstool" überhaupt gediehen sind. Sie erhoffen sich aber zumindest einige Neuigkeiten, wie die EZB gegen das Auseinanderdriften der Kapitalmarktzinsen vorgehen will.

Ukraine-Krieg verändert die Situation

Ein weiterer Punkt spricht für ein vorsichtiges Vorgehen: Nach Ansicht vieler Ökonomen sind Europa und der Währungsraum wesentlich stärker durch den Ukraine-Krieg betroffen als andere große Wirtschaftsräume wie beispielsweise die USA. Als entscheidender Grund gilt die hohe Abhängigkeit Europas von Energielieferungen aus Russland, die möglicherweise bald komplett wegfallen könnten. Kritisch ist vor allem der hohe Anteil russischer Erdgaslieferungen, da ein Ersatz – soweit kurzfristig überhaupt möglich – teuer ist und daher die hohe Inflation weiter anheizen würde.

Darüber hinaus argumentieren vor allem EZB-Kritiker, dass die Zentralbank Rücksicht auf schwächere Euroraum-Mitglieder nehmen müsse. Hier fällt das Scheinwerferlicht umgehend auf Italien, wo derzeit eine Regierungskrise tobt und die politische Zukunft des weithin angesehenen Ministerpräsidenten Mario Draghi am seidenen Faden hängt.

Gegen 14.15 wird die EZB verkünden, um wie viel sie den Leitzins anhebt. Dann ist klar, ob die Zinsanhebung kleiner oder größer ausfällt. Derzeit ist nicht klar, ob sich im EZB-Rat eine Mehrheit für einen großen Zinsschritt findet. Bisher haben sich dafür nur solche Notenbanker ausgesprochen, die für eine besonders straffe geldpolitische Haltung bekannt sind. Dazu zählen die Zentralbankchefs aus den Niederlanden und Österreich, Klaas Knot und Robert Holzmann. Ein Argument für einen vorsichtigen Einstieg lautet dagegen, dass man erst die Reaktion der Finanzmärkte abwarten wolle, bevor man auf der nächsten Sitzung im September entschiedener vorgehen könne. (dpa, bpf, 21.7.2022)